Ausschreibung und Vergabe

Um die Ausschreibung von Fertignasszellen gab es Streit. Foto SANIKA

20.04.2018

Ärger bei der Vergabe von Fertignasszellen

Oberlandesgericht Frankfurt zum Erfordernis bauaufsichtlicher Prüfzeugnisse

Ein öffentlicher Auftraggeber schrieb im offenen Verfahren die Herstellung, Lieferung, Mon-tage und Inbetriebnahme von insgesamt 348 Fertignasszellen für den Ersatzneubau eines Klinikums europaweit aus. Zuschlagskriterium war allein der Preis. Nebenangebote waren nicht zugelassen. Nach dem Leistungsverzeichnis (LV) hatten die Bodenelemente der Fertignasszellen unter anderem die folgende konstruktive Eigenschaft zu erfüllen: „Abdichtung gemäß den gültigen Richtlinien und Normen (DIN 18195, DIN 18157 und gültigen ZDB-Merkblättern usw.“). Auf eine Bieterfrage hin erklärte die Vergabestelle, dass ein geprüftes und zugelassenes Abdichtungssystem anzubieten und mit dem Angebot nachzuweisen sei.

Nachprüfung angestrengt

Ein nichtberücksichtigter Bauunternehmer wandte sich mit einem Nachprüfungsantrag gegen die Vergabeentscheidung. Nach seiner Ansicht müsse der Bestbieter zwingend ausgeschlossen werden, weil ihm aus vergleichbaren Vergabeverfahren bekannt sei, dass dessen Fertignasszellen aus glasfaserverstärkten Kunststoffen hinsichtlich der Boden- und Deckenelemente und aus korrosionsgeschützten verzinkten Stahlblech-Paneelen bezüglich der Wände bestünden. Der für den Zuschlag vorgesehene Bieter verfüge somit über kein nach dem LV erforderliches Abdichtungssystem beziehungsweise Abdichtung.
Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (Beschluss vom 26. September 2017 – 11 Verg 11/17) bestätigte die Auffassung des nichtberücksichtigten Bieters. Das Angebot des preislichen Bestbieters ist nicht gemäß den Vorgaben des § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 VOB/A auf der Grundlage der Vergabeunterlagen erstellt worden. Es enthält unzulässige Änderungen, sodass es gemäß § 16 EU Nr. 2 VOB/A auszuschließen war.
§ 13 EU Abs. 1 Nr. 5 VOB/A dient der Transparenz des Vergabeverfahrens und der Gleichbehandlung der Bieter. Es soll nur das angeboten werden, was der öffentliche Auftraggeber auch tatsächlich nachgefragt hat. Ein Bieter darf sich keinen Wettbewerbsvorteil dadurch verschaffen, dass er von den Ausschreibungsvorgaben abweicht. Eine unzulässige Änderung in diesem Sinne liegt vor, wenn das Angebot von den Vergabeunterlagen abweicht, der Bieter also etwas anderes anbietet, als vom öffentlichen Auftraggeber nachgefragt wurde. Das Vorliegen einer Änderung ergibt sich aus einem Vergleich der Vergabeunterlagen mit dem Angebot.
Ausgehend hiervon wich das Angebot des für den Zuschlag vorgesehenen Bieters von den Vergabeunterlagen ab, weil seinen Darlegungen und den Unterlagen nicht zu entnehmen war, dass die angebotenen Fertignasszellen über ein den gültigen Richtlinien und Normen gemäßes Abdichtungssystem verfügten. Denn im Rahmen der abgefragten Bieterangaben zum Abdichtungssystem verwies der preisliche Bestbieter allein auf die Materialien „B/Laminat“. Seine schriftlichen und mündlichen Erläuterungen blieben ebenfalls unklar. So meinte er zum einen, dass im Hinblick auf das Vorliegen eines dichten Baukörpers jede Form der Abdichtung entbehrlich sei und sein System überhaupt nicht der DIN 18195 oder anderen Regelwerken für Abdichtungen unterfallen würde.

Widersprechende Angaben

Zum anderen verwies er aber darauf, dass sein Baukörper die DIN 18195 erfüllen würde. Die sich widersprechenden Angaben des für den Zuschlag vorgesehenen Bieters erschwerten deshalb die Feststellung der nach dem LV geforderten Normenkonformität, weil nicht eindeutig feststellbar war, ob und wenn ja, welche gültigen Normen und Richtlinien im Sinne des LV auf das angebotene Fertignasszellensystem anwendbar sein sollte.
Nach Auffassung der Frankfurter Richter gilt gerade für Produkte, die – wie vom preislichen Bestbieter behauptet – innovativ sind und für die noch keine Regeln existieren, das Erfordernis, ihre Gebrauchstauglichkeit für den vorgesehenen Verwendungszweck mit einem allgemeinen bauaufsichtlichen Prüfzeugnis oder einer europäischen technischen Bewertung nachzuweisen. Allgemeine bauaufsichtliche Prüfzeugnisse sind für alle Abdichtungsprodukte erforderlich, für die keine allgemein anerkannten Regeln der Technik bestehen. Solche Prüfzeugnisse lagen der Vergabestelle aber nicht vor. Der Ausschluss des Angebotes des preislichen Bestbieters war somit zwingend.
> Holger Schröder
Der Autor ist Fachanwalt für Vergaberecht bei Rödl & Partner in Nürnberg.

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