Bauen

8,3 Millionen Euro wurden in die Sanierung der Schlossgaststätte Herrenchiemsee investiert. (Foto: Peter Lion, Rosenheim)

24.06.2011

Durchlöchert wie ein alter Käse

Sanierung der Schlossgaststätte auf Herrenchiemsee

Fährt man auf der A 8 von München aus kommend zum Chiemsee, „erschlägt“ es einen fast, wenn man plötzlich diese an eine Märklin-Eisenbahnlandschaft erinnernde Situation vor der Gebirgskulisse der Alpen erblickt. Besser kann man es auch nicht träumen, hier erscheint plötzlich ein „kleines reales Paradies“.
Großen Respekt darf man den damaligen Autobahnplanern zollen, die diese Landschaft in her-ausragender Weise dazu genutzt haben, dem Autofahrer Landschaftsgenuss zu ermöglichen. Nun ja, vielleicht ließen die damaligen Geschwindigkeiten „entspannteres Genießen“ auch erst zu.
Der Chiemsee ist zweifellos Mittelpunkt dieser wechselvollen Landschaft mit Gebirgen, Wald, Wiesen, Hochmooren und weiteren kleineren Seen. Er umschließt die Herreninsel, Fraueninsel und die zwischen den beiden liegende, unbewohnte Krautinsel. Hier wurde seit jeher bayerische Kultur betrieben, die Herreninsel prägen mehr als 1200 Jahre „bayerischer Geschichte“. König Ludwig II., der Sinn für theatralische Landschaftskulissen hatte, ließ sich hier nicht ohne Grund „sein Versailles“ errichten, rund 500 000 Besucher lassen sich hier jährlich in seine Traumwelt entführen.
Bereits in unmittelbarer Nähe des Landungsstegs liegt das ehemalige Augustiner-Chorherrenstift, oft auch „Altes Schloß“ genannt. Ein ehemaliges Kloster mit prächtigen Festsälen der Barockzeit, einigen Privaträumen König Ludwigs II. und – nicht zu vergessen – dem Tagungsort des Verfassungskonvents, der 1948 die Basis für das Deutsche Grundgesetz erarbeitet hat.

Erste große Um-
und Ausbauarbeiten


Die unmittelbar dem Augustiner-Chorherrnstift vorgelagerte heutige Schlossgaststätte wurde 1737 bis 1740 unter Propst Floridus Rappel als Seminargebäude des ehemaligen Chorherrenstifts Herrenchiemsee errichtet. Nach der Säkularisation wurde es um 1820 zum Gasthaus „Zur Schlosswirtschaft“ umgewandelt. Mit dem beginnenden Fremdenverkehr ab 1850 entstand die erste Veranda auf der Ostseite mit Blick zur Fraueninsel.
Bereits kurz nach dem Tod König Ludwigs II. im Jahr 1886 setzte der Besichtigungsbetrieb im Königsschloss ein. Damals begannen die ersten großen Um- und Ausbauten im Seminargebäude mit umfangreichen Eingriffen in den bis dahin nahezu bauzeitlich erhaltenen Grundriss. Ab 1900 erfolgte ein Ausbau des ursprünglich nur als Speicher dienenden 2. Obergeschosses zum Wohngeschoss mit Gästezimmern. Etwas später, um 1910, wurde die Veranda erneuert. Eine zweite große Umbauphase fiel in die Jahre ab 1925. In dieser Zeit wurden die wintergartenartigen Anbauten erstellt, die Veranda erweitert und das Erdgeschoss umgebaut.
Die Schlossgaststätte wurde ununterbrochen genutzt, niemals jedoch wurde sie in ihrer Gesamtschau saniert. Viele kleinere und größere Um- und Erweiterungsbaumaßnahmen „durchlöcherten“ gleichsam den altehrwürdigen Bau wie einen alten Käse, der Putz verhinderte interessierten Betrachtern die notwendigen Einblicke ins Mauerwerk.
Das Gebäude veraltete, eine nicht mehr zeitgemäße Haus- und Küchentechnik wurde zur immer unerträglicheren Belastung. Aufgrund geänderter und natürlich immer weiter verschärfter hygienerechtlicher Vorgaben waren bald sämtliche küchentechnischen Einrichtungen nicht mehr sanierungsfähig, sondern mussten komplett ausgetauscht werden. Die Statik des Gebäudes konnte die ihm aufgebürdeten Lasten nicht mehr tragen, eine über die baulichen Veränderungen der vergangenen Jahrzehnte und Jahrhunderte immer unklarer gewordene Raumaufteilung ließ die an sich gebotene Funktionalität zur Farce werden.
Eine klare Neukonzeption mit neuen Raumzuordnungen musste dringend geschaffen werden. Dieses herrlich gelegene Gastronomiegebäude stand also unvermeidlich zur Grundsanierung an. Keine Verschönerungsmaßnahmen hätten jetzt mehr ausgereicht, zu sehr war die innere Struktur des Gebäudes geschädigt, hier musste herangegangen werden. Zum ersten Mal hatte man – nach Auszug der Pächterfamilie im Jahr 2008 – die einmalige Chance zur dringend notwendigen Grundsanierung, keinesfalls hätte dieser Bau ohne umfassende Überarbeitung neu verpachtet werden können. Natürlich fehlte aber zunächst das Geld.
Das Gebäude ist – wie die gesamte Herreninsel – im Besitz der Bayerischen Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen, kurz Schlösserverwaltung genannt. Diese dem Finanzministerium nachgeordnete und bayernweit tätige Mittelbehörde ist größter Denkmaleigentümer Bayerns und auch Deutschlands. Sie hatte zunächst glücklos versucht, über eine Investorenausschreibung private Interessenten zu finden, die mit eigenem Geld die Sanierung der Schlossgaststätte einschließlich der in den Obergeschossen gelegenen Hotelzimmer hätten umsetzen sollen. Dies führte aber nicht zum gewünschten Erfolg, jetzt musste man „selbst Hand anlegen“.

Bauauftrag umfasste nur den Gastronomiebereich


Somit wurde eine staatliche Baumaßnahme erforderlich, für die der Haushaltsausschuss des Bayerischen Landtags sein „ok“ geben musste, was letztlich im Winter 2009 auch geschah. Planungs- und Bauauftrag beschränkten sich allerdings auf die Instandsetzung des Gastronomiebereichs in Erdgeschoss und Keller, die Obergeschosse mit den Hotelzimmern blieben außen vor.
Natürlich kann man sich fragen, ob es wirklich Staatsaufgabe ist, auf wirtschaftlichen Erfolg ausgerichtete Gaststätten zu sanieren, wenn schon private Investoren hier keinen Markt sehen konnten. Aus rein finanziellen Aspekten erscheint dies tatsächlich fraglich, man darf aber nicht vergessen, dass der Freistaat auch die Aufgabe hat, wichtige Kunst- und Kulturgüter zu schützen, zu bewahren und diese weiter zu entwickeln und da können nicht nur finanzielle Aspekte im Vordergrund stehen.
Die gesamte Herreninsel mit der „Traumwelt“ Ludwigs II., dem Neuen Schloss Herrenchiemsee und seinen Gartenanlagen sowie dem Augustiner-Chorherrenstift mit der heutigen Schlossgaststätte bilden ein außergewöhnlich qualitätsvolles Denkmalensemble und sind daher natürlich auch in hohem Maße schützenswert.
Der Schutz allein ist aber nicht ausreichend, auch die Funktionen auf der Insel müssen stimmen, hier muss im Gesamtzusammenhang beurteilt und gehandelt werden. Eine althergebrachte Gaststätte mit ihrem Biergarten gehört nicht nur historisch gesehen zur „Grundausstattung“ dieser Kultur- und Freizeitinsel, wie es die Herreninsel nun einmal ist, es stellt sich auch die Frage nach Alternativen. Das ehrwürdige Gaststättengebäude wäre kaum anders nutzbar gewesen und wenn man heute nur einmal seinen Blick durch die gläsernen Fassaden des sanierten Gastraums zur Fraueninsel schweifen lässt, dann spürt man, wie richtig diese Entscheidung gewesen ist.
Zudem bereitet die Schlösserverwaltung den bayerischen UNECO-Weltkulturerbeantrag vor. Die Traumwelten Ludwigs II., seine Königsschlösser Herrenchiemsee, Linderhof und Neuschwanstein, sollen künftig als „Gebaute Träume“ Aufnahme in die Welterbeliste finden. Auch Traumwelten müssen aber funktionieren und dazu gehört nun mal eine angemessene Verpflegung ihrer Besucher.
Nach dem Auszug des Pächters im Jahr 2008 konnten die notwendigen Untersuchungen erst vorgenommen werden, die jahrzehnte-, wenn nicht gar jahrhundertelang nicht möglich gewesen waren. Die Schlösserverwaltung beauftragte das Staatliche Bauamt Rosenheim mit der Entwurfsplanung. Diese war allerdings schwieriger zu erstellen, als zunächst angenommen. Gleichsam schien es so, als sträubte sich das alte Gebäude dagegen, seine Geheimnisse preiszugeben.

Die Entwurfsplanung war schwieriger als erwartet


Der vom Bauamt beauftragte Architekt Raupach ging aber mit derselben Zähigkeit ans Werk. Alle Verfahrensbeteiligte, vom Finanzministerium über die Schlösserverwaltung und das Bauamt bis hin zu den Planern, unterstützen sich gegenseitig bei ihren Bemühungen, nun endlich die richtigen Lösungen zu finden. Nach einer spannenden, ereignisreichen und durchaus anstrengenden Planungsphase, die allen Beteiligten das Äußerste an fachlichem Können, gegenseitigem Verständnis und Versöhnungsbereitschaft abnötigte, kam man schließlich zu folgenden Ergebnissen:
– Die Sanierung der inneren Tragstruktur des Gebäudes, einschließlich des historischen Dachstuhls, war zwingend erforderlich.
– Die Instandsetzung der Fassaden und der Außenanlagen war ebenso nötig wie die komplette Trockenlegung der Kellerräume.
– Es mussten eine neue Haupterschließung und ein zweiter baulicher Flucht- und Rettungsweg hergestellt werden.
– Die Erneuerung der kompletten haustechnischen Anlagen, wie der Heizungs- und Lüftungsanlage waren notwendig, die alte ölbefeuerte Heizanlage sollte – endlich – gegen eine moderne und umweltschonende Anlage (Wärmepumpe mit Seewasserenergienutzung) ausgetauscht werden.
– Der Gaststättenbereich musste unter Beachtung denkmalpflegerischer Aspekte sowie technischer Anforderungen an den Brandschutz und die Gewerbeaufsicht komplett überarbeitet werden.
– Die gesamte Küche mit ihren Nebenfunktionen musste umorganisiert und neu geschaffen werden.
– Die alten Verandaanbauten aus den 1950er Jahren, die so lange das Gesicht des Baus geprägt hatten, mussten ersetzt werden. Hier wurden viele planerische „Runden gedreht“, bis das Team aus Architekten und Beamten endlich zufrieden war.
Der „gläserne Neubau“, der die Kubatur der alten Anbauten im Wesentlichen aufnimmt, sich aber sensibler als diese an den Altbau anfügt, prägt heute wieder das Gesicht des ehrwürdigen Gebäudes, er ordnet sich trotz seiner modernen Gestaltung dem historischen Gesamterscheinungsbild unter.
(Matthias Pfeil)

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