Bauen

Die Südfassade des Krankenhauses. (Foto: Bergmann)

12.08.2011

Ein Bau der Neuen Sachlichkeit wird abgerissen

Schweinfurt: Weg mit der Moderne

Schweinfurt bietet, man darf das so sagen, eine überschaubare Zahl von Sehenswürdigkeiten. Das Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler, der berühmte Dehio, nennt gerade mal vier Gebäude. Eines davon, das Renaissance-Rathaus, entstand gar nach einem Brand im Jahr 1959 neu. Ansonsten hatte das Bombardement im letzten Krieg von der Stadt wenig übrig gelassen. Schweinfurt, das war lange nur ein Synonym für Industrie, später für Arbeitslosigkeit. Da kam Bilbao als Vorbild zur rechten Zeit: Frank Gehrys Spektakelarchitektur machte das hässliche spanische Industriekaff zum Tourismusziel mit märchenhaften Besucherzahlen.
Genauso sollte das Museum Georg Schäfer Schweinfurts ramponiertes Image aufpolieren. Tatsächlich hat sich Volker Staabs klotziger Architektursolitär, im Jahr 2000 mit viel Tamtam eröffnet, zum Publikumsmagneten entwickelt. Insofern weiß man am Main um Macht und Möglichkeiten von Architektur. Doch noch während der Bauarbeiten wäre gegenüber der prächtige Ebracher Hof ums Haar abgerissen worden. Einem Schülerwettbewerb ist die Rettung des Renaissance-Ensembles zu danken. Galt damals die vorgeschlagene Umnutzung der engagierten Gymnasiasten den Stadtverwaltern als abwegig und das Gebäude als unrettbar, preisen sie heute das umgenutzte Gebäude als Sehenswürdigkeit an.
Obwohl man beim Ebracher Hof ein Einsehen hatte und die Abrisspläne in letzter Minute stoppte, hat man daraus offenbar nichts gelernt. Denn nun ist wieder der Abriss eines Gebäudes von bauhistorischem und kulturgeschichtlichem Wert beschlossene Sache: Schweinfurts „Altes Krankenhaus“ soll einem so genannten Gesundheitszentrum mit Arztpraxen, Tageskliniken und weiteren Einrichtungen weichen.
Krankenhäuser waren seit dem ausgehenden Mittelalter Ausdruck städtischer Wohlfahrtspolitik und Zeugnisse architektonischer Entwicklung. Das „Alte Krankenhaus“ aus der Zeit der Weimarer Republik ist formal unmittelbar dem Dessauer Bauhaus und seinem Leiter Walter Gropius verpflichtet. Aber die zugrunde liegende Haltung reicht weiter zurück, bis zu Josef Hoffmanns berühmtem Sanatorium in Purkersdorf (1904 bis 1906) bei Wien: Die Architektur selbst mit ihrem sorgfältig gestalteten Interieur war nun als Bestandteil der Therapie gedacht und sollte die Genesung der Patienten mitbefördern.
Bei Architektur aus solcher Haltung, das lässt sich in Schweinfurt – noch – studieren, geht es so entschieden ums große Ganze wie um jedes kleine Detail. Die reduzierte Noblesse, die Sparsamkeit auf hohem gestalterischem Niveau, ist nicht Ausdruck einer Mode, sondern Ausformung einer Geisteshaltung mit dem Mittelpunkt Mensch. Deshalb bot das Krankenhaus den Patienten sogar durchlaufende Südbalkone als Liegeterrassen mit Blick über den abfallenden Park. Ein bescheidener Zauberberg.
Unterschiedliche Aufgaben und Funktionen benennt die Architektur über verschiedene Formen und Formate. Zur energischen Horizontalen des Haupthauses kontrastiert der seitlich aufragende Treppenturm. Dieses sachliche Bauen der Weimarer Republik verstand sich auch ausdrücklich als Ausdruck sozial reformerischer Ideen. Dass selbst die Sozialdemokraten im Schweinfurter Stadtrat für den Abriss des bedeutenden Kulturdenkmals aus jener Zeit votierten, zeigt nur einmal mehr, dass sich die Partei auch auf lokaler Ebene von den eigenen Grundsätzen und der eigenen Geschichte restlos verabschiedet hat.
Dabei ist es ein Glücksfall, dass das Gebäude den Krieg überstand; dass darüber hinaus die originalen Kastenfenster, Türen, Griffe, Beschläge, Geländer, selbst die schönen Bauhauslampen noch vorhanden sind, ist ein kleines Wunder. Generell befindet sich das 6200 Quadratmeter große Gebäude wie die zugrunde liegende Stahlbetonkonstruktion in „erstaunlich guten Zustand“, urteilt eine Expertin.

Große Koalition
der Abrissverfechter


Die große Koalition der Abrissverfechter argumentiert dagegen mit den ewig gleichen Schlagworten: „Arbeitsplätze“ und „Standortvorteil“ sind Verheißungen, die man später in aller Regel klammheimlich beerdigt. Außerdem gilt ihnen der Umstand fehlenden Denkmalschutzes als Nachweis minderer Qualität der Architektur. Nun fand generell die Moderne der zwanziger Jahre schnell den Weg in die Architekturgeschichte, aber nur langsam in den Blickwinkel der Denkmalpflege. Erst Ende der siebziger Jahre begann man, genauer auf die Pionierbauten der klassischen Moderne zu schauen.
Bei der Listenerfassung in Bayern in den siebziger Jahren spielte sie so gut wie keine Rolle; an dieser Haltung hat sich im Landesamt für Denkmalpflege wenig geändert. Gerade das eröffnete nun aber die Möglichkeit für eine ambitionierte Umnutzung im Rahmen des Neubauprojekts ohne kleinliche und kostspielige Auflagen durch die Behörde. Dass dies angesichts des Zustands der Bausubstanz mindestens 2,2 Millionen Euro teurer käme als Abriss und Neubau, wie die Stadt behauptet, ist schwer nachvollziehbar.
Im Januar stimmten die Schweinfurter bei einem Bürgerentscheid mehrheitlich ebenfalls für den Abriss. Möglicherweise haben sie sich damit einen Bärendienst erwiesen: So wie jedes Outletcenter an der Peripherie zu einem Geschäftssterben im Zentrum führt, wird auf lange Sicht das „Gesundheitszentrum“ die ärztliche Versorgung aus der Innenstadt abziehen. Jedenfalls opfert Schweinfurt eines seiner wenigen sehenswerten Gebäude einer banalen Investoren-Allerweltsarchitektur, die im Menschen lediglich noch ein Anhängsel des Marktes sieht.
(Rudolf Maria Bergmann)

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