Bauen

Die Fassade schimmert pastellfarbig. (Foto: Wiegand)

12.11.2010

Ein gewolltes Provisorium

Zwei Architekten aus Bayern planten Galerieneubau in Berlin

Laut ist es, ständig braust der Verkehr durch die Brunnenstraße in Berlin. Etwas schäbig wirkt diese ehemalige Arbeitergegend, so wie die zerschrammten Stühle vor einem Café Ecke Rosenthaler Straße. Ein Stück weiter fällt ein schimmerndes Gebäude auf, eine pastellfarbene „Pralinenschachtel“. Daneben ein Altbau mit der Aufschrift: „Dieses Haus stand früher in einem anderen Land“. Gemeint ist wohl die ehemalige DDR. Das zart leuchtende Haus steht nun in diesem Land. Und genau in der Gegenwart. Der offizielle Name des Neubaus: Galerie- und Ateliergebäude Brunnenstraße 9.
Ein Hingucker ist dieser Bau trotz der ungewöhnlichen Fassade oder gerade deswegen. Ein Lückenfüller in bewusster Billigbauweise, errichtet vom Architektenteam Brandlhuber + ERA, Emde, Schneider. Das Rezept: Man nehme eine Investorenruine, die vorher keiner haben wollte. Warum wohl? „Die Baugrube war total verdreckt, voller Wasser und Müll. Das sah so fies aus, dass sich niemand rangetraut hat“, sagt Markus Emde, der seit 1995 mit Arno Brandlhuber, dem Bayern in Berlin, zusammenarbeitet. Der Aschaffenburger ist Architekt, Bauherr und Eigentümer in einer Person.

Raumhöhen von
bis zu 7,50 Meter


Nach dem Säubern hat man das Vorhandene integriert, das heißt die Kelleraußenwände, den Aufzugsschacht bis Oberkante Kellerdecke und die vorhandenen zwei Drittel der Bodenplatte des Erdgeschosses. Das fehlende Drittel wurde nicht geschlossen, man hat die Lücke einfach mitgenutzt. Die Galerie Koch Oberhuber Wolff, die sich an der Planung des Hauses beteiligte, hat dadurch eine Raumhöhe von zum Teil 7,50 Metern gewonnen. Außerdem lässt sich die Fassade im Erdgeschoss ausschwenken, so dass eine Kunsthalle entsteht. Idealer geht es kaum.
„Möglichst einfach und preiswert zu bauen, war das Ziel“, unterstreicht Emde. Das passt zu Berlin, das angeblich „arm, aber sexy“ ist. Doch sexy wirkt dieser minimalistische Lückenbüßer, der sich konsequent allem Schick und Schnörkel verweigert, keineswegs. Weggespart wurde alles, was nicht unbedingt nötig ist.
Das Rezept: Man nehme ruppigen Sichtbeton und lasse ihn ohne Putz und Estrich. „Beton ist ein träges Material und somit ein guter Wärmespeicher“, betont Emde. Anstatt eine Steinfassade hochzuziehen, nehme man Polycarbonat-Mehrfachstegplatten, also Kunststoffpaneele, wie im Industriebau üblich. Erfahrungen damit hat Brandlhuber beim Bau eines Sportzentrums in Kopenhagen gesammelt.
Die 40 Millimeter starken Platten haben neun Luftkammern und besitzen dadurch einen sehr guten Wärmeschutz. „Das entspricht der Wirkung von drei Isolierglasscheiben, kostet aber nur ein Viertel davon“, präzisiert Emde. Ihre Sonnenschutzbeschichtung verursacht dieses pastellfarbige Schimmern und verleiht den Räumen ein weiches Licht. Das Dach ist abgeschrägt, damit der Hinterhof und die rückwärtigen Gebäude Sonnenlicht erhalten. Statt ein Treppenhaus einzubauen, wurden die Stiegen Raum sparend nach außen verlegt, an die Rückseite des Gebäudes, die dadurch stärker gegliedert ist als die Vorderfassade.
Knapp ein Jahr lang hat Brandlhuber mit den Berliner Behörden um diese Lösung gekämpft und schließlich eine fiktive Baugenehmigung erhalten. Bauzeit: 2008 bis 2010.
Die Heizungszentrale mit Brennwerttherme befindet sich unter dem Dach, dadurch ist die Kaminlänge auf ein Minimum reduziert. Die Heizungsrohre sind offen verlegt und dienen gleichzeitig als Strahlungskörper. Die Elektroinstallation wurde mit Leerrohren in den Rohbau integriert. Maßnahmen, die sämtlich zur Kostenreduzierung beigetragen haben. Das Resultat: Ausgehend von der 1000 Quadratmeter betragenden Bruttogeschossfläche (BGF) und einer Nutzfläche (NF) von 890 Quadratmetern (Balkone/Terrassen zu 25 Prozent eingerechnet) belaufen sich die reinen Bauwerkskosten der Bruttogeschossfläche auf 690 Euro pro Quadratmeter. Auf die Nutzfläche bezogen betragen sie 1015 Euro. Die Gesamtkosten, für die sich zumeist die Endverbraucher interessieren, belaufen sich für den Quadratmeter Bruttogeschossfläche (ohne Grundstück) auf 835 Euro und für die Nutzfläche auf 1230 Euro (inklusive Nebenkosten, aber ohne Grundstück). Das sind beeindruckend niedrige Kosten.

Flexibilität wird
großgeschrieben


Außerdem ist der Galerieneubau als nutzungsneutrales Gebäude konzipiert und ein gewolltes Provisorium. Jeder Mieter kann die Räumlichkeiten seinen Bedürfnissen anpassen, beispielsweise weitere Fenster und eine Schalldämmung einbauen oder die rohen Wände verkleiden.
Arno Brandlhuber, der 2006 von Köln nach Berlin umgezogen ist, bewohnt die oberen Etagen und besitzt dort ebenfalls ein Atelier. Er hat übrigens einen Lehrstuhl für Architektur und Stadtforschung an der Akademie für Bildende Künste in Nürnberg. Markus Emde, Professor an der Hochschule Regensburg, unterrichtet Entwerfen und Konstruieren. Die Liste ihrer mit zahlreichen Auszeichnungen bedachten Projekte ist lang, doch im barocken Bayern haben die beiden bisher noch nichts gebaut.
(Ursula Wiegand)

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