Bauen

Die Skyline von Chicago. (Foto: Schuh)

14.02.2014

Experimentierfeld für Avantgardisten

Ein Architekturstreifzug durch Chicago

Wer an aufregende Gebäude in den USA denkt, denkt in erster Linie an die Ost- und die Westküste, also New York und Los Angeles. Dabei gilt Chicago als Geburtsstadt moderner Architektur. Denn hier wuchs der erste Wolkenkratzer der Welt empor. Das Home Insurance Building von William Le Baron Jenney war 1885 das erste moderne Hochhaus mit Stahlskelett. Auslöser war weniger eine große Vision, denn eine schreckliche Katastrophe: Ein Feuer zerstörte 1871 weite Teile der Stadt. Ein riesiges Unglück für die Bewohner, ein riesiges Glück für Stadtplaner: Nun konnten sie auf verbrannter, leerer Erde loslegen. Sie planten die höchsten und kühnsten Gebäude, von ersten Stahlskelettbauten der Chicago School bis zu postmodernen Glas-und-Stahl-Bauten.
Innerhalb weniger Jahrzehnte entstand die „The second city“ (Die zweite Stadt). Der Wiederaufbau schuf mit seiner Stahlbauweise die Voraussetzungen für den Siegeszug der Wolkenkratzer und legte den Grundstein für die architektonische Moderne.
Chicago ist schöner und besser als sein Ruf. Die Stadt mit ihren hunderten von schlanken Wolkenkratern ist faszinierend und innerhalb des „Loop“, in der sich das geschäftliche Leben abspielt, liegt die Innenstadt. Hier schraubt sich der Willis Tower gen Himmel, bis 1993 bekannt unter dem Namen „Sears Tower“. Er ist mit seinen 110 Stockwerken und einer Höhe von 442 Metern nach wie vor das höchste Gebäude Nordamerikas. Faszinierend ist nicht nur von dort oben der Blick auf die nach oben strebende Stadt.
Ähnlich spektakulär ist die Aussicht vom 94. Stockwerk des Hancock Centers an der Magnificent Mile, in den 1960ern war es das fünfhöchste Gebäude der Welt. Entworfen haben es Architekt Bruce Graham und Ingenieur Fazlur Khan.
Die „windy city“, wie die Metropole genannt wird, weil beständig ein Wind vom Michigansee weht, zählt zu den Orten, denen man sich vom Wasser her nähern muss. Den besten Blick auf Chicagos jetzige Skyline hat man von der Uferpromenade vor dem Adler Planetarium. Bei einer Architektur-Bootstour auf dem Chicago River zeigt sich das Panorama des Zentrums ganz unverstellt. Nur von dort begreift man, was man sonst vor lauter Häusern nicht sehen kann: die Stadt selbst.
Wer einmal nachliest, welche Architekten dort in den vergangenen 100 Jahren gearbeitet haben, stößt auf eine Bestenliste der Moderne: Mies van der Rohe hat hier ebenso gebaut wie Dankmar Adler, Louis Sullivan und Frank Lloyd Wright. Wrights Bauten sind bekannt für ihre nahtlose Integration in die Landschaft und die fließenden Übergänge zwischen Innen- und Außenraum. Bestes Beispiel hierfür ist das „Frederick C. Robie House“ auf dem Campus der University of Chicago. Es gilt als wichtigstes Beispiel des amerikanischen Prärie-Stils. Es ist der erste Wohnbaustil in der postkolonialen US-Architekturgeschichte, der bewusst keinen Bezug nimmt auf europäische Architektur und einen eigenen Weg geht. So setzt Wright im Robie House auf ein Flachdach, offene Räume und natürliche Baumaterialen.
Der deutsche Architekt Helmut Jahn hat ebenfalls ein Büro in Chicago. Er hat 1985 das Thompson Center entworfen – der asymmetrische Stahl-Glas-Bau erhebt sich wie ein gigantisches Raumschiff. Der Besitzer der Chicago Tribune, Robert McCormick, schrieb 1922 einen Wettbewerb für den Neubau seines Hauptquartiers aus, an dem sich Architekten aus aller Welt beteiligten, darunter auch einige deutsche Avantgardisten wie Walter Gropius, Ludwig Hilbersheimer und Bruno Taut. Den Zuschlag bekam das New Yorker Architekturbüro Howells & Hood, das für den Zeitungsverlag einen grauen, neogotischen Turm hinstellte. Der exzentrische Besitzer ließ sich 138 Steine von bekannten Gebäuden und Monumenten rund um den Globus kommen. Sie alle fanden ihren Platz in den Mauern des Tribune Tower. 1999 wurde sogar ein Stein vom Mond hinzugefügt, den Apollo 15 im Gepäck hatte.

110 Tonnen schwere Skulptur aus poliertem Stahl


Das Spannende an der Chicagoer Architektur ist, dass Wolkenkratzer aus dem 19. Jahrhundert – die ja noch gar keine waren – neben solchen aus dem 21. Jahrhundert stehen. Eine relativ neue Attraktion der Stadt ist der 2004 fertiggestellte Millennium Park an der Michigan Avenue zwischen Randolph und Monroe Street. Anfangs war, wie sie oft bei mutigen Projekten, die Mischung aus moderner Architektur, städtischem Park und interaktiver Kunst umstritten. Zudem kostete es viel mehr als ursprünglich geplant. Nach seiner Eröffnung hat sich der Park aber zu einem Publikumsliebling entwickelt. „Cloud Gate“ des Briten Anish Kapoor – von den Einheimischen wegen der Form immer nur „die Bohne“ genannt – ist wohl das am meisten fotografierte Motiv der Stadt. Auf der 110 Tonnen schweren Skulptur aus poliertem Stahl spiegeln sich die Häuserfronten des Loop.
Mittelpunkt des Millennium Parks ist der „Jay Pritzker Pavilion“ – eine von dem Architekten Frank Gehry entworfene Freilichtbühne. Die silbern glänzende Stahlkonstruktion wirkt verwurzelt und filigran zugleich. Der Bühnenüberbau erinnert an eine riesige Welle. Über die wie in einem Amphitheater angelegten Stuhlreihen und eine angrenzende Rasenfläche sind Hunderte von Lautsprechern spannen. So haben bis zu 11 000 Zuschauer überall das gleiche Klangerlebnis.
Gegenüber des Millennium Parks hat der italienische Stararchitekt Renzo Piano, bekannt für die Bauten am Potsdamer Platz, das Centre Pompidou oder das New York Times Building, dem Art Institute of Chicago 2009 einen gläsernen Überbau verpasst. 294 Millionen US-Dollar hat der „Modern Wing“ (moderner Flügel) mit 24 500 Quadratmetern Fläche gekostet. (Claudia Schuh) ("Die Bohne" von Anish Kapoor; Chicago von der Uferpromenade aus gesehen und der "Jay Pritzker Pavilion" - Fotos: Schuh)

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