Bauen

Das Müllersche Volksbad. (Foto: Voss)

20.05.2016

Filigrane Brüstungen und goldglitzernde Mosaiken

Baustilkunde: Der Jugendstil in Bayern

Die Epoche des Jugendstils ist für Architekten, Künstler und Designer eine wichtige Phase auf der Suche nach neuen Formen. Ziel dieser internationalen Bewegung ist die Ablösung vom industriell geprägten Historismus. Kennzeichnend für den Jugendstil ist daher das Experimentieren in nahezu allen Kunstgattungen. Der Wunsch nach dem „Gesamtkunstwerk“ als einer Einheit aus Design, Kunst und Architektur bringt viele großartige Schöpfungen hervor, provoziert aber ebenso Widersprüche und Skandale. Trotz vieler Gemeinsamkeiten im künstlerischen Ausdruck ist der Jugendstil, der sich in der kurzen Zeitspanne von etwa 1890 bis 1914 entwickelt, keine homogene Bewegung.
Der Tendenz des ausgehenden 19. Jahrhunderts, wonach sich verschiedene Stilrichtungen in Architektur, Dekor, Möbeln und Keramik zu einem eklektizistischen Ganzen im Leben des Bürgertums vereinigen sollten, stellt der Jugendstil ein neues Ideal gegenüber: das stilistisch einheitliche Ganze. Möbel und Tapeten, Glas und Porzellan, Skulptur und Plastik, Drucke und Gemälde verschmelzen mit den sie umgebenden Räumen, ja sogar die Kleidung der Bewohner soll dem Ambiente angepasst sein. Man sucht Verbindungen zwischen Tönen, Farben, Stimmungen, Düften und Worten. Ein gehobenes, kunstinteressiertes Bürgertum ist die Gesellschaftsschicht, in welcher der Jugendstil am besten erblühen kann – und damit kann in Bayern gerade die „Kunststadt München“ bestens dienen. Die von 1896 bis 1940 in München erscheinende Zeitschrift Jugend wird in Deutschland zur Namensgeberin für den neuen Stil. Die Bezeichnung „Jugend“ steht symbolisch für den Aufbruch in Kunst, Architektur und Gesellschaft. Prägend für den Münchner Jugendstil sind vor allem die Künstler und Architekten Richard Riemerschmid, August Endell und Martin Dülfer.

Achteckige Halle
und ovaler Turm


Das erste Beispiel für eine Jugendstilvilla in München steht in der Maria-Theresia-Straße 27 am Isarhochufer, die „Villa Bechtolsheim“. Die von 1896 bis 1898 für Freiherr Clemens von Bechtolsheim erbaute Villa mit achteckiger Halle und ovalem Turm zählt zu den ältesten erhaltenen Bauwerken des Jugendstils in Deutschland. Architekt war Martin Dülfer, die ausschweifende Ornamentik am Turm geht auf Entwürfe von Richard Riemerschmid zurück. Flächenhaft gestaltete Pflanzenornamente sowie der Verzicht auf Symmetrie zeichnen das Haus aus.
Ganz in der Nähe befindet sich die Holbeinstraße, sie wird von zahlreichen Wohnhäusern im Jugendstil gesäumt. Ein besonders farbenfrohes Beispiel ist das Haus in der Holbeinstraße 3/5, Architekt Max Kirschner, fertiggestellt 1909/1910. Geschwungene Balkone mit filigranen Brüstungen und goldglitzernde Mosaiken schmücken die Fassade. Typisch Jugendstil, gehören doch zu seinen gestalterischen Elementen dekorativ geschwungene Elemente und geometrische Muster, in denen das Quadrat eine wesentliche Rolle spielt. Ein weiteres schönes Beispiel für Jugendstildekor findet sich in München an ganz anderer Stelle, nämlich am Harras, an der Fassade von Haus Nr. 13. Hier schweben zwei Drachen über die Hauswand, mit ihren prächtigen Schweifen wedelnd. Leider sind es die letzten ihrer Art an einer Münchner Fassade.
Am Jugendstilgitter der Eisenbahnbrücke über die Lindwurmstraße gibt es aber noch entferne Verwandte: Brückendrachen. Ein anderer geschwungener Drache zeigte sich einst fassadengroß am legendären „Fotoatelier Elvira“ in der Münchner Von-der-Tann-Straße. Architekt war August Endell. Im 1898 fertiggestellten Gebäude lebte und arbeitete das Fotografinnenpaar Anita Augspurg und Sophia Goudstikker. Der Jugendstil zog sich hier auch ins Innere des Hauses, seine Formen schmückten Treppengeländer und Wände. Alle Elemente der Außengestaltung und des Interieurs bildeten ein zusammenhängendes dekoratives Ensemble. Die Grenzen zwischen den einzelnen Künsten wurden aufgehoben, Kunst und Leben konnten so miteinander verschmelzen. 1937, mit dem Bau des nahe gelegenen „Haus der (deutschen) Kunst“ von Paul Ludwig Troost, wurde der Drache von der Fassade abgeschlagen, der 2. Weltkrieg zerstörte das Gebäude unwiederbringlich.
Thomas Mann beschreibt in seiner Novelle Gladius Dei die neuen Bauten Münchens: „Manchmal tritt ein Kunstbau aus der Reihe der bürgerlichen hervor, das Werk eines phantasievollen jungen Architekten, breit und flachbogig, mit bizarrer Ornamentik, voll Witz und Stil. Und plötzlich ist irgendwo die Tür an einer allzu langweiligen Fassade von einer kecken Improvisation umrahmt, von fließenden Linien und sonnigen Farben, Bacchanten, Nixen, rosigen Nacktheiten…“

Adam und Eva
als Blickfang


Eine große Anzahl dieser „kecken“ Bauwerke, hervorstechend aus der Reihe herkömmlicher Häuser, befindet sich in Schwabing. Am bekanntesten ist sicher das Wohnhaus in der Ainmillerstraße 22, erbaut 1899. Das Haus hat einen ganz besonderen Blickfang am Eingang, denn hier werden „Adam und Eva“ auf ganz erfrischende Weise dargestellt. Eva lockt Adam mit dem Apfel, beide blicken sich an und sehen keineswegs schuld-, sondern eher selbstbewusst aus. Die Architekten waren der Amerikaner Henry Helbig und der Deutsche Ernst Haiger, die auch für die Gestaltung des zur selben Zeit in der Römerstraße 11 entstandenen Jugendstilhauses verantwortlich sind.
Während die Fassade an der Ainmillerstraße von goldenen Kriegermasken und einem Blütendekor in leuchtendem Türkis auf rotbraunem Untergrund dominiert wird, präsentiert sich das Haus an der Römerstraße mit ägyptisierenden Darstellungen und goldenen Pharaonenmasken.
Die Forderung des Jugendstils geht zwar dahin, dass sich der architektonische Entwurfsprozess grundsätzlich von der Funktion her entwickeln und der Grundriss die äußere Form eines Gebäudes bestimmen soll. Im bürgerlichen Wohnhausbau werden jedoch vor allem die Fassaden mit Jugendstilornamenten dekoriert. Manchmal erfolgen die Veränderungen im Grundriss später – oder auch gar nicht. So werden viele Häuser einfach mit einer Art „Jugendstilhaut“ aus Ornamenten überzogen. Das zeigt sich auch beim üppigen Dekor der Franz-Joseph-Straße Nr. 19, ebenfalls in Schwabing. Hier sind es Pfauen mit langen glänzenden Schwanzfedern, Früchte, Blüten- und Blattornamente, die zur Straße hin und auch auf der rückwärtigen Fassade prangen.
Unbedingt sehenswert ist das Wohnhaus von Martin Dülfer, das direkt an der Münchner Freiheit in der Leopoldstraße 77 steht. Es ist geschmückt mit kugeligen und pyramidenförmigen Barockbäumchen, die rote-goldene Blüten tragen, und mit riesigen geschwungenen Blättern und goldenen Rosetten.

Farbige
Fliesenbänder


Zum neuen Kunst- und Lebensstil gehört nicht allein die Gestaltung der Wohnhäuser, es gibt auch neue Bauaufgaben, wie zum Beispiel Volksbäder. So wundert es nicht, wenn das 1901 durch Carl Hocheder erbaute Müller’sche Volksbad in München neben neobarocken Zitaten auch zahlreiche Elemente des Jugendstils auf sich vereint. Das Bad spielt auch mit Formen der Antike, denn das antike Rom und seine Badekultur gehören eng zusammen. So werden beim Müller’schen Volksbad die großen Badesäle durch dreigeteilte römische „Thermenfenster“ belichtet, die durch abgerundete Ecken formal in die Zeit des Jugendstils geholt werden. Eine vergleichbare Badeanlage gibt es in Augsburg, mit dem Alten Stadtbad. Geplant wurde es durch Oberbaurat Fritz Steinhäußer und eröffnet 1903. Den Besuchern zeigt es sich im Jugenstilschmuck, mit geschwungenen Brüstungsgeländern, farbigen Fliesenbändern und Wandbemalungen mit stilisierten Pflanzen. Nach und nach werden auch öffentliche Bauten durch Formen des Jugendstils bereichert, in München zum Beispiel das Hauptzollamt an der Donnersberger Brücke (1912) oder das Innere der Kammerspiele (1911). Hier werden die Theaterräume zum aufwendigen Gesamtkunstwerk. Richard Riemerschmid entfacht ein Feuerwerk an Farben und Formen, legt größten Wert auf jedes Detail, von der Türklinke bis zur Lampenhalterung. Doch schon bald entzieht der Erste Weltkrieg dem farbenfrohen Treiben die materielle Basis, die Unbeschwertheit des Bauens ist vorbei, die Neue Sachlichkeit steht vor der Tür.
(Kaija Voss) (Wohnhaus in der Holbeinstraße; Fassadendetail der Ainmillerstraße 22 und das Wohnhaus an der Münchner Freiheit, in der Leopoldstraße 77, sowie die Villa Bechtolsheim - Fotos Voss)

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