Bauen

Die Konzerthalle "Großer Bernstein". (Foto: Wiegand)

13.10.2017

Hier wird Geschichte lebendig

Auf Architekturenspurensuche in Lettland

Ein Überblick tut immer gut und den bietet in Riga der 136 Meter hohe Turm der St. Petrikirche (von 1209). Ein Fahrstuhl fährt zur 72 Meter hoch gelegenen Aussichtsplattform. Voilà. Riga aus der Vogelperspektive. Hier der wuchtige Backstein-Dom, gegründet 1211 und noch immer das größte Gotteshaus im Baltikum. Jenseits des Flusses Daugava die Moderne in Gestalt der Z-Towers, geplant von Helmut Jahn, zweieiige Zwillinge, misst doch der Südturm 123 Meter, der Nordturm nur 117 Meter.
Ganz anders Lettlands National Bibliothek, Rigas neues Wahrzeichen, eröffnet 2014. Silbrig schimmert das relativ flache, fein gegliederte Bauwerk übers Wasser, ist wohl eines der letzten Werke des in Riga geborenen US-Architekten Gunnars Birkerts, der am 15. August 2017 im Alter von 92 Jahren verstarb. Er galt als Meister des Lichts. Die Letten haben das sofort erkannt und ihre National Bibliothek das Lichtschloss genannt, was sich auch in der Eingangshalle bestätigt. „Für ihre National Bibliothek haben die lettischen Steuerzahler 240 Millionen Euro aufgebracht“, sagt Kommunikationschefin Anna Muhka in perfektem Deutsch. Darüber hinaus haben sie am 18. Januar 2014 bei minus 18 Grad stundenlang auf der Akmens-Brücke gestanden und die zuvor an mehreren Stellen untergebrachten Bücher von Hand zu Hand weiter gereicht. „15 000 Menschen hatten sich angemeldet, rund 30 000 sind gekommen“, erinnert sich Anna.

Geheimtipp
Alt-Riga

„Diese National Bibliothek ist unser Licht, unsere Stärke, unser Gedächtnis und unsere Freiheit und außerdem der bedeutendste Kulturbau seit der Gründung der Republik Lettland am 18. November 1918“, wird von offizieller Seite betont. Und sie hütet einen sehr kostbaren Schatz, den zum UNESCO-Welterbe zählenden Daina-Schrank. Auf den ersten Blick ein simples Holzschränkchen mit vielen Schubladen, die die Dainas enthalten, „Vierzeiler, notiert auf dünnem Zigarettenpapier“, erklärt Anna. Es sind uralte lettische Volkslieder, die der Astronom und Schriftsteller Krisjanis Barons gesammelt und von 1894 bis 1915 veröffentlicht hatte, insgesamt 217 996. Auch anderweitig tun die Letten alles, um ihre Geschichte zu bewahren oder wieder zu gewinnen. Aus diesem Grund haben sie auf dem Rathausplatz ein im Krieg zerstörtes Architektur-Juwel originalgetreu wieder errichtet: das Schwabe-Haus und das noch aufwendigere Schwarzhäupterhaus. Über der astronomischen Uhr stehen in goldenen Lettern auf blauem Grund die Baudaten: 1334 und 1999, waren doch diese ungleichen Pracht-Zwillinge zu Zeiten der Hanse der Treffpunkt lediger, zumeist deutscher Kaufleute. Anlass für den Wiederaufbau war Rigas 800. Geburtstag im Jahr 2001. Vorzeitig war das hochfeine Ensemble fertig. In ursprünglicher Schönheit zeigt sich nun auch Rigas berühmtes Jugendstil-Viertel, errichtet von 1901 bis 1908, zu bewundern in der Elizabetes iela und der Alberta iela. Prächtige, üppig dekorierte, hohe Bauten, Haus an Haus. Architekten, Maurer und Stuckateure müssen rund um die Uhr geschuftet haben. Girlanden und Gitterwerk, Fabeltiere und Fantasie-Kapitelle schmücken die Fassaden. Am tollsten trieb es Michael Eisenstein, Vater des Filmemachers Sergej Eisenstein. Zarte Gesichter und böse Fratzen blicken auf die verblüfften Besucher. Wie schön Ziegelbauten auch sein können, beweisen die gekonnt sanierten ehemaligen Speicher an der Daugava, die nun Platz für Büros, Läden und kleine Restaurants bieten, wo passend dazu regionale Spezialitäten angeboten werden. Und echt Ursprüngliches findet sich jenseits der Daugava in Alt-Riga, nicht zu verwechseln mit der seit 1997 zum UNESCO-Weltkultur zählenden Altstadt, in der sich die Touristen tummeln. Alt-Riga ist noch fast ein Geheimtipp. Dort lebten und leben die weniger Betuchten in traditionellen, lang gestreckten Mehrfamilien-Holzbauten. Seit einiger Zeit ziehen junge Leute gerne dorthin und das Kalnciema-Viertel mit seinem Samstagsmarkt ist inzwischen zum Hit geworden. Ein Hit ganz anderer Art ist das kürzlich modernisierte und deutlich erweiterte interaktive Motormuseum, geplant von Architekt Viktors Valgums. In dem mehrteiligen Gebäude mit dem schicken Glasanbau finden sich Oldtimer-Raritäten diverser Autobauer. Im bekannten Badeort Jurmala lassen sich historische Holzhäuser der feineren Art mit Schnitzwerk oder auffällig gestalteten Fassaden entdecken. Das Tüpfelchen auf dem „i“ ist jedoch der fein restaurierte Dzintaru Konzertsaal von 1936. Sein großer hochmoderner Bruder steht in der weiter westlich gelegenen Küstenstadt Liepaja: der „Große Bernstein“. In seinem leuchtenden Rot erinnert dieser vom Grazer Architekten Volker Giencke konzipierte Musiktempel eher an einen Rubin. In dem mit Treppen, Schrägen, Balkonen und Balustraden fantasievoll gestalten Innenraum überwiegt jedoch das bekannte Bernsteingelb.

Die Konzerthalle, ein Glas-Stahl-Beton-Bau

Ein Schmuckstück ist der nach nur zweijähriger Bauzeit im November 2015 eröffnete „Große Bernstein“ auf alle Fälle. Durch die getönten Scheiben geht der Blick in die Stadt und umgekehrt. Die Akustik in diesem multifunktionell nutzbaren Glas-Stahl-Beton-Bau, ausgetüftelt durch den weltbekannten Experten Karlheinz Müller vom Ingenieur-Büros BBM in Planegg, verdient großes Lob. So zu erleben in der hohen Eingangshalle, die über mehrere Stockwerke reicht, sowie in dem nach dem Weinberg-Prinzip gestalteten großen Saal mit seinen rund 1000 (auch versenkbaren) Sitzen. Für kleinere Aufführungen eignen sich der Kammermusiksaal mit 200 Plätzen und der Experimentier-Saal mit maximal 150 Sitzen. Der beste Blick auf den Großen Bernstein bietet sich vom Turm der Dreifaltigkeitskirche. Dass dieser Musiktempel zehn Stockwerke hat, davon zwei unterirdisch, sieht man ihm auch von hoher Warte nicht an. Doch seine Schrägstellung ist unverkennbar. „In Liepaja ist der Wind geboren“, sagen die Bewohner. Vermutlich wird der leicht gekippte Große Bernstein allen Stürmen besonders gut trotzen. (Ursula Wiegand) (Die Konzerthalle von innen. Die Architekturjuwele Schwabe-Haus (links) und Schwarzhäupterhaus. Lettlands National Bibliothek, Rigas neues Wahrzeichen - Fotos: Wiegand)

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