Bauen

Die Jugendherberge, früher Villa Ebell. (Foto: Wiegand)

16.02.2018

Idyllische Holzhäuser

Wolgasthäuser: Die heimlichen Perlen der Bäderarchitektur an der Ostsee

Usedoms Bäderarchitektur, entstanden hauptsächlich zwischen 1850 und 1914, ist berühmt und von einmaliger Vielfalt. Zwar gibt es einige ähnliche Bauten auch auf Rügen und in manch anderem Ostseebad, doch nirgends in solch fantasievoller Fülle wie in den drei Usedomer Kaiserbädern Heringsdorf, Ahlbeck und Bansin. Ein einheitlicher Stil ist das keineswegs. Die wohlhabenden Bauherren – Adlige, Unternehmer und Banker – ließen das errichten, was ihnen gefiel und sie sich als Ferien-Villa leisten konnten oder wollten. Nach dem Motto „erlaubt ist, was gefällt“, verwirklichten sie ihre Träume. Hier Historismus und Neobarock, dort Klassizismus, Neorenaissance, Jugendstil, Gründerzeit oder Schwarzwald-Look. Dazu jeweils säulengeschmückte Fassaden, Balkone und Loggien, Freitreppen mit Balustraden, Türmchen und Ornamentik. Jede Villa ein Unikat, sei es in Holz oder aus Stein. Zu den „Starbauten“ zählt die 1883 an Heringsdorfs Strandpromenade errichtete Villa Oppenheim. Das schneeweiße, mit vier korinthischen Säulen geschmückte Domizil in palladianischer Anmutung zeigt den klassisch geprägten Geschmack dieser gebildeten Banker-Familie. Vermutlich war es der Architekt Hermann von der Hude, der ihre Ideen verwirklichte. Für den deutsch-amerikanischen Maler Lyonel Feininger, der Usedom ab 1908 mehrfach im Sommer besuchte, wurde die protzfreie Villa Oppenheim zu einem seiner Lieblingsmotive. Ganz anders die im gleichen Jahr errichtete Villa Oechsler, die ehemalige Villa Berthold, die sich Hermann Berthold, Gründer der Berthold Messing AG in Berlin, von Antonio Salviati bauen ließ. Der Italiener hatte es vom Juristen zum weltbekannten Fabrikanten von industriell produziertem Murano-Glas gebracht, hatte zuvor auch die Kuppelmosaiken im Aachener Dom gefertigt. Nun schmückte er Bertholds Villengiebel mit dem Glasmosaik „Badende Grazien“. Nicht zuletzt deswegen steht die aufwendig restaurierte Villa Oechsler – so genannt nach einem späteren Eigner – unter Denkmalschutz. Das alles schätzt Ortschronist und Buchautor Hans-Ulrich Bauer sehr, doch sein besonderes Interesse gilt schon seit Jahren den Wolgast-Häusern. Eines davon ist Heringsdorfs hübsche Jugendherberge, die ehemalige Villa Ebell, an der Strandpromenade. „Wolgasthäuser sind die Stammväter der Fertighäuser und gehören zu den Ikonen der Bäderarchitektur“, erklärt er bei einer Führung. Selbst geschichtskundige Zuhörer staunen, wurden doch schon in der Antike Tempel aus anderenorts vorgefertigten Teilen errichtet. Für umherziehende Heere war das die ideale Methode zum schnellen Auf- und Abbau von Unterkünften. Vorfertigung und Transport von Teilen war auch bei Fachwerkbauten üblich. Leonardo da Vinci hatte sogar die Idee, eine ganze Stadt aus wieder zerlegbaren Häusern zu bauen. Ähnliche Gedanken hegte 1931 der Bauhaus-Architekt Walter Gropius und entwickelte ein Bausystem aus vorgefertigten Wandtafeln mit einer inneren Holzkonstruktion zum Bau von Montagehäusern. Alle in einer Fabrik gefertigten Einzelteile könnten auf Lastwagen verladen, zum Bauplatz gefahren und dort zu jeder Jahreszeit in kürzester Zeit montiert werden, gab er 1931 zu bedenken. Realisiert wurde das jedoch nicht. Die Wolgast-Häuser, die ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gefertigt wurden, zeigen einen anderen Weg. Sie waren eine echte Neuentwicklung und kamen keineswegs von der Wolga, sondern aus Usedoms Nachbarstädtchen Wolgast, das zum Namensgeber wurde. Dort hatte 1865 der Schiffsbaumeister Heinrich Kraeft die „Wolgaster Actien-Gesellschaft für Holzbearbeitung“ gegründet. Doch bald baute er nicht nur Boote, sondern auch serienmäßig Holzhäuser, aber nicht im Einheitslook. Nach den Plänen seines Hauptarchitekten Johannes Lange wurden aus wetterfesten Tropenhölzern diverse Haustypen gefertigt, die sich die Kunden per Katalog bestellten, reichlich verzierte oder eher schlichte Modelle, ganz nach Geschmack und Geldbeutel. Das war eine Pioniertat. Von 1890 bis 1910 boomte das Geschäft, an die 150 Facharbeiter zimmerten seinerzeit die Wolgasthäuser. Auf historischen Fotos sind mehrere Fertigungshallen zu sehen. Die Nachfrage wurde auch „durch den aufkommenden Schwarm für alles Nordische stimuliert“, sagt Bauer und erinnert an die jährlichen Nordlandreisen von Kaiser Wilhelm II., der von 1889 bis 1914 insgesamt 26 Mal auf seiner Yacht durch Norwegens Fjorde schipperte. Sogar Auslandsaufträge stellten sich in Wolgast ein, nachdem 1892 ein dreisprachiger Katalog die Zerlegbarkeit und Qualität dieser Häuser dargelegt hatte. In präzise gefertigte Einzelteile zerlegt, wurden diese Häuser bis nach Deutsch-Ostafrika und Südamerika exportiert. Aufsehen erregte darüber hinaus, dass ein in Teile zerlegtes Wolgasthaus sogar zur Weltausstellung 1893 nach Chicago verschifft und dort wieder errichtet wurde. Österreichs Kaiser Franz Josef II., davon fasziniert, erwarb es. Erneut zerlegt, wurde es nach Ende der Ausstellung zurück nach Europa gebracht und in Ischgl als Kaisers Jagdhütte wieder aufgebaut. Nun ist es schon länger in Privatbesitz. „Wenn Sie mal ins Salzkammergut reisen, müssen Sie sich unbedingt dieses Wolgasthaus anschauen“, empfiehlt Bauer.

Versteckt hinter Bäumen

Diese Häuser auf Usedom zu entdecken, ist jedoch einfacher. Oder auch nicht. Einige verstecken sich hinter alten Bäumen und sind Architekturperlen im Verborgenen. So die Villa Busse und die Villa Florence. Letztere ließ sich Dr. Sylvester bauen, der Zahnarzt von Wilhelm II. Auf sein großes Grundstück stellte er auch noch einen niedlichen Pavillon. Weit schlichter gibt sich gleich um die Ecke (Eichenweg 9) die Villa Waldfrieden. „Auch dies ist ein Wolgasthaus und steht wie die meisten von ihnen unter Denkmalschutz. Sie könnte als Pförtnerhaus gedient haben“, sagt Bauer.
Aus Holz war auch Heringsdorfs erster Seesteg, die 500 Meter lange Kaiser-Wilhelm-Brücke, entworfen von Architekt Johannes Lange. In nur zwei Jahren, von 1891 bis 1893, wurde sie gebaut. Ob ihre Teile von der Wolgaster Actien-Gesellschaft gefertigt wurden, ist eine noch ungeklärte Frage. Wie alte Fotos zeigen, wirkt das türmchenreiche Bauwerk an der Landseite wie eine Aneinanderreihung von Wolgasthäusern. Zwei Weltkriege hatte sie überdauert, wurde jedoch 1957 durch ein Feuer komplett zerstört. Heringsdorfs heutige Seebrücke, geplant von den Architekten Sievers, Piatschek und Partner, greift in etwa die Formensprache der ehemaligen Seebrücke auf. Anders als diese ist sie jedoch eine moderne Stahlglaskonstruktion ohne Betonverwendung, gegründet auf offenen Stahlpfeilern, die mit Sand gefüllt wurden. Sie ist das moderne Wahrzeichen von Heringsdorf. Mit 508 Metern Länge übertrifft sie ihre Vorgängerin um acht Meter und gilt als längste Seebrücke Kontinentaleuropas. Genau genommen befinden sich nur 300 Meter über der Ostsee, 200 Meter über dem Strand. Dieser Teil beherbergt eine Einkaufspassage und Ferienhäuschen. Ein Glasdach und eine gläserne Scheidewand schützen die Brückenbesucher gegen Regen und Wind auf dem Weg zum Schiffsanleger und zum pyramidenförmigen Restaurant auf dem Brückenkopf. Etwa 50 Meter links von ihr ragen noch die Holzpfeilerstummel der ersten Seebrücke aus dem Wasser und bewahren mitsamt den Möwen Heringsdorfs Baugeschichte. (Ursula Wiegand) (Die Villa Waldfrieden und die Villa Florence, das Haus des Zahnarzts von Kaiser Wilhelm II. - Fotos_ Wiegand)

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