Bauen

Heinrich Schroeter, Präsident der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau. (Foto: B. Gleixner)

15.05.2015

"Ingenieure als Generalisten"

Ingenieurekammer-Bau-Kolumne: Präsident Heinrich Schroeter zur Frage "Ist der Ingenieur von morgen überhaupt noch berufsfähig?"

Gab es früher im Bauingenieurwesen drei Studienrichtungen – nämlich Konstruktiver Ingenieurbau inklusive Geotechnik und Baubetrieb sowie Wasser und Verkehr –, so gibt es heute mindestens 74 „Vertiefungsrichtungen“. Die Studenten können zum Beispiel die Bachelor-Studiengänge Bahnbau, Bauphysik, Baustellenmanagement und Rohrleitungsbau oder die Master-Studiengänge Advanced Construction and Building Technology, Bauen im Bestand, Nachhaltiges Bauen, Denkmalpflege sowie Ressourcen schonendes Bauen wählen.
Diese „Vertiefungsrichtungen“ darf man nicht mit der Vertiefung in der Vor-Bologna-Zeit verwechseln. Damals gab es für alle ein umfassendes Grundstudium und in zwei Fächern eine zusätzliche Vertiefung. Ich habe als Vertiefer in Stahlbau und Statik sehr wohl die Grundvorlesungen unter anderem in Wasserbau und Verkehrsplanung gehört und darin auch eine Prüfung abgelegt. Heute dagegen erfährt ein Student der Studienrichtung zum Beispiel Bahnbau nichts mehr von Städtischem Ingenieurbau.
Durch die vielen Vertiefungsrichtungen werden die Vergleichbarkeit und die Anerkennung woanders erworbener Module praktisch unmöglich. Bei dieser Atomisierung der Bauingenieurstudiengänge obliegt es nun den Ingenieurekammern, zu entscheiden, welche dieser Studiengänge noch so viele technische Inhalte haben, dass man auf das Produkt „Ingenieur“ schreiben kann. Ganz konkret kann das bedeuten, dass ein Student erst nach dem Studium erfährt, dass er die Voraussetzungen für den Eintrag in zum Beispiel die Liste der Nachweisberechtigten für Standsicherheit nicht erfüllt und daher nur für einen begrenzten Teil des Berufs überhaupt berufsfähig ist.

Forderung nach breit angelegter Ausbildung

Die Spezialisierung beginnt teilweise schon im Bachelorstudium. Damit hat man an vielen Hochschulen das Prinzip verlassen, Ingenieure als Generalisten auszubilden, die das naturwissenschaftliche technische Rüstzeug für ein etwa 40-jähriges Berufsleben haben. Die Arbeitgeber müssen in Zukunft sehr genau hinschauen, was sich in der Verpackung „Bauingenieur“ versteckt. Wer von uns Ingenieuren hätte bei der Wahl seines Studiums eine derartige Vielfalt an Studiengängen im Bauingenieurwesen bewerten und daraus aussuchen können? Was tun wir damit den jungen Leuten an? Was tun wir der Bauingenieurausbildung an?
Hochschulen und Kammern haben eine gesellschaftliche Verantwortung. Junge Menschen müssen sich darauf verlassen können, dass wir sie nachhaltig und zukunftsfähig ausbilden und dann im Berufsleben begleiten, wenn sie sich in Spezialgebieten weiterbilden möchten. Dieser gesellschaftlichen Verantwortung stellt sich die Bayerische Ingenieurekammer-Bau. Sie veröffentlicht daher die Resolution Bauingenieurstudiengänge. Die Kammer fordert eine grundständige, breit angelegte Ausbildung im Studium Bauingenieurwesen. Die zunehmend ausufernde Ausdifferenzierung von Studiengängen muss kritisch hinterfragt werden. Bei einer Einengung auf ein aktuell diskutiertes, zu eng begrenztes Spezialgebiet des Ingenieurwesens besteht die Gefahr, dass die erworbenen Kompetenzen und die zugehörige Berufsbezeichnung aktuell modisch und perspektivisch nicht tragfähig sind.
Derzeit gesellschaftlich diskutierte Attribute der Ergebnisse von Ingenieurarbeit dürfen nicht überwiegende oder gar alleinige Inhalte des Bauingenieurstudiums sein. Eine Spezialisierung von Studiengängen lediglich auf Schlagworte wie zum Beispiel die aktuell positiv besetzten Begriffe „nachhaltig“ oder „ressourcenschonend“ sind weder fachlich sinnvoll noch im Interesse der Absolventinnen und Absolventen.
Der Schwerpunkt im Bachelorstudium muss auf dem Erwerb grundständiger Fähigkeiten und Fertigkeiten der Absolventinnen und Absolventen liegen. Das Masterstudium dient der vertieften Ausbildung in einem Gebiet des Bauingenieurwesens. Es ist keine berufliche Weiterbildung und befähigt zu einer weiteren Spezialisierung und zum lebenslangen Lernen während der Berufstätigkeit.
Denn: Wir Ingenieure – aber auch die Politik, die Wissenschaft und die Bauindustrie – müssen uns verdeutlichen, dass der Trend zur Kompetenzvermittlung statt zur Wissensvermittlung für uns Ingenieure fatal enden kann.

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