Bauen

Das sanierte olympische Dorf in München. (Foto: Christoph Stepan)

09.02.2018

Kultur als Lebensmittel

Werner Wirsing, Architekt der Nachkriegsmoderne und Pionier des studentischen Wohnbaus

Werner Wirsing war einer der bedeutendsten Architekten der Nachkriegsmoderne und gilt als Pionier des studentischen Wohnbaus. Zu seinen bekanntesten Werken zählen die in Wohnwürfeln organisierte heutige Studentenwohnanlage im Olympiadorf und die Wohnheimsiedlung am Maßmannplatz in München. Im Juli 2017 verstarb Wirsing im Alter von 98 Jahren. Ihm zu Ehren widmete die Bayerische Architektenkammer eine Veranstaltung, um den Architekten und die Person Wirsing zu würdigen.
„Kultur als Lebensmittel“ war das Leitmotiv von Wirsings Lebenswerk. Er sah soziales Engagement, Gestaltung und Formgebung als soziale Aufgabe. Bei seinen Bauten hatte Wirsing immer den umfassenden Anspruch, mit jeder Form der Gestaltung auf ein größeres Ganzes hinzuwirken und dabei Kunst und Technik, Mensch und Natur zu verbinden. Wirsing stand für eine Architektur, die sich einmischt, die Stellung bezieht, um etwas zu verbessern. Klassen- sowie Bildungsschichten sollten abgebaut werden und soziale Kultur und Traditionen in der Umgebung miteinbezogen werden.
Wirsings Stil war dabei geprägt von der Verschlankung auf das Wesentliche, der maximalen Präzisierung der künstlerischen Aussage. Möglichst wenig Raum sollte verbraucht werden und möglichst wenig Material dabei verschwendet – eine Verbindung von industrialisierten Bautechniken und der Vorstellung sozialer Gemeinschaftlichkeit. Die Wohnheimsiedlung am Maßmannplatz gilt als Pionierarbeit des sehr sparsamen sozialen Bauens und steht heute unter Denkmalschutz. Wirsing erhielt damals noch als Architekturstudent den Auftrag für das geplante Studenten- und Lehrlingswohnheim nahe dem Maßmannpark und realisierte es als H-förmigen zweigeschossigen Bau mit einem geräumigen Garteninnenhof. Der selben Grundidee des modernen, verdichteten sozialen Bauens folgt das zusammen mit Günther Eckert entworfene Olympische Dorf, welches ebenfalls zu Wirsings bedeutendsten Arbeiten gehört. Das im Rahmen der Olympischen Spiele 1972 realisierte Bungalowdorf ist ein Vorzeigebeispiel für das, was Le Corbusier – einer der einflussreichsten Architekten des 20.Jahrhunderts – einmal als die hohe Kunst des Zusammenspiels von einsam und gemeinsam bezeichnete. Der Charakter der Planung des Olympiadorfs bestand darin, dass jeder Sportler seine eigene kleine Maisonettewohnung hat mit eigener Tür, eigenem Bad und eigener Küche sowie einer kleinen Terrasse. Die Wohnwürfel finden sich dann mit schmalen Straßen und begrünten Plätzen zu einem kleinen Dorf zusammen. Nach den Spielen wurde die Anlage für Studentenwohnungen genutzt und jeder Mieter durfte seine Fassade individuell selbst gestalten.

Planungscharakter
blieb erhalten

Auch nach der vierjährigen Sanierung ab dem Jahr 2006 – an der Wirsing beteiligt war – blieb der vielfach gelobte, aber kaum nachgeahmte ursprüngliche Planungs-charakter, zwischen für sich sein und gleichzeitig gemeinsam leben, erhalten. Das Leben des 1919 geborenen Kriegsheimkehrers und verspäteten Architekturstudenten Werner Wirsing war geprägt von vielfältigem kulturellen und politischem Engagement, unter anderem als Landesvorsitzender des Bundes Deutscher Architekten (BDA) Bayern, als Vorsitzender im Werkbund Bayern, als Mitglied der Vertreterversammlung der Bayerischen Architektenkammer oder als Vorsitzender des Ausschusses für visuelle Gestaltung der Olympischen Spiele 1972.
Darüber hinaus gab er mit Leidenschaft sein Wissen in der Lehre an die jüngere Generation weiter. Neben einer mehrjährigen Dozententätigkeit an der Hochschule für Gestaltung in Ulm unterrichtete er zwischen 1974 und 1978 vier Jahre lang an der Akademie der Bildenden Künste München und anschließend mehr als 20 Jahre an der heutigen Hochschule München, wo er 1991 zum Honorarprofessor ernannt wurde. Darüber hinaus erhielt er Auszeichnungen, darunter den Förderpreis für Architektur der Landeshauptstadt München 1958 oder den Bayerischen Architekturpreis für sein Lebenswerk im Jahr 2007. Als Lehrender sorgte Wirsing stets für ein Verhältnis auf Augenhöhe, er wollte keine klassische Meister-Schüler Rollenverteilung. Meist stellte er Themenaufgaben aus dem sozialen Bereich, die oft mit studentischen Wohnfragen zu tun hatten. Entwürfe kritisierte er stets streng und hinterfragte alles gründlich – genauso, wie er es auch bei seinen eigenen Entwürfen tat. Sowohl bei Kollegen als auch bei Studenten genoss Wirsing hohes Ansehen. Andreas Meck, Dekan der Architekturfakultät der Hochschule München, beschreibt ihn als „aufrechten, integren, außerordentlich geschätzten und gänzlich uneitlen Kollegen“. Ritz Ritzer, der Wirsing als einer der Inhaber des Architektenbüros bogevischs buero im Rahmen der Zusammenarbeit bei der Sanierung des Olympiadorfs kennenlernte, bezeichnet ihn als „äußerst freundlichen, zurückhaltenden Kollegen, der immer interessierte Fragen stellte und messerscharfe, klare Kommentare zu den Planungen abgab“.
Auch hier setzte Wirsing auf eine Zusammenarbeit mit dem jüngeren Kollegen, keine Bevormundung, und der Bewohner stand stets im Mittelpunkt seines Interesses. Aus einer freundschaftlichen Kollegialität sei laut Ritzer schnell eine kollegiale Freundschaft geworden. Außerdem stellte Wirsing mit seiner Kondition so manchen jungen Kollegen in den Schatten, wenn er damals noch mit 86 schwungvoll, mit Lederjacke und Sonnenbrille aus dem Sportwagen stieg. Werner Wirsing – ein zurückhaltender, moderner und gleichzeitig pragmatischer Architekt, der immer das Zusammenspiel von Individualität und Zusammenleben suchte. Seine Realisierungen gelten vielfach als Musterbeispiel für soziales Bauen und die Aktualität seiner Gedanken, seiner Thesen und seines Werks besteht fort. (Daniela Preis) (Die Wohnwürfel im Olympiadorf - Foto: Christoph Stepan)

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