Bauen

Die Fassade der Kapelle des hl. Sebastian besteht aus Jakobsmuscheln. (Foto: Mayring)

26.05.2017

Kuriose Architektur am Atlantik

Galizien: Der platereske Stil prägt die Fassaden der Kathedralen

Auch wenn Galizien in Spanien liegt, besitzt die autonome Gemeinschaft im Nordwesten der Iberischen Halbinsel ihren ganz eigenen Charakter. Hier lacht die Sonne nicht jeden Tag vom Himmel und statt Flamenco Musik, lieben die Galizier den Dudelsack. Unser Guide Tommi Alvarellos Laine, gebürtiger Galizier, ist von seiner Heimat voll und ganz überzeugt. „Unser Land ist eigentlich ein Paradies. Wir haben rund 1300 Kilometer Küste.“ Nicht zu vergessen die fjordähnlichen Meeresarme, die sogenannten Rias, sie sind was ganz Besonderes. Sie dringen tief ins Land ein und prägen die Küstenlandschaft zum Atlantik, wovon wir uns auf der Insel Toja überzeugen können.
Dort umgibt uns das glatte Wasser des Riasfjords und auf dem kleinen Eiland entdecken wir zudem eine ausgefallene Kapellenarchitektur. Es ist die Kirche zum hl. Sebastian, die eingerahmt von Palmen und Orleanderbüschen direkt am Wasser steht. Ihre Fassade ist ganz und gar mit weißen Jakobsmuscheln verziert. Und es heißt, es wäre die einzige ihrer Art.
Abgesehen von den zahlreichen, heilsamen, thermalen Badeoasen, mal luxuriös und mal rustikal, ist der Besuch der kleinen, typischen galizischen Orte ein unbedingtes Muss. Hier findet man ganz eigenwillige Bauten, besondere Plätze und alte, bäuerliche Traditionen.

Speicher aus Granit

Wir besuchen Combarro. Der Fischerort liegt direkt am Meer, wo uns Tommi auf eine ganz spezielle Bauweise für Getreidespeicher aufmerksam macht. „Sie heißen Hórreos und ähneln kleinen Kapellen mit einem Steinkreuz im Giebel. Sie sind einst von den Vorfahren auf Stelzen mal als rechteckige oder lang gestreckte Granithäuser gebaut worden.“ In Combarro gibt es noch 30 Speicherbauten dieser Art, die ganz ungewöhnlich zum Meer ausgerichtet sind. Heute gelten sie als Kulturgut. Die ältesten wurden bereits im 15. Jahrhundert errichtet. Eine Holzverkleidung mit schmalen Schlitzen sorgt für den Luftaustausch, damit das gelagerte Getreide, Mais oder Fisch trocken bleibt und nicht verdirbt. Mäuse, sonstige Nagetiere und Schädlinge hatten somit auch keine Chance an das Erntegut heranzukommen. In diesem typischen galizischen Ort mit Häusern aus Granitstein führt unser Weg durch schmale Gassen, die es dort sicher schon vor 200 Jahren gab. Vor mancher Haustüre steht eine „Meigas“, die gute, galizische Hexe, die seit Generationen besonders für das Glück und die Gesundheit der Frauen sorgt. Pontevedra hingegen, Hauptstadt des portugiesischen Jakobswegs, präsentiert eher den urbanen galizischen Stil. Die bronzenen Pilgerbrunnen in der Stadt dienen noch heute zur Erfrischung der Wanderer bevor sie zur letzten Etappe nach Santiago de Compostela aufbrechen. Während des 15. und 16. Jahrhunderts war Pontevedra der Haupthafen von Galizien. Silberschmiede kreierten zur Zeit der spanischen Renaissance den sogenannten plateresken (eigenartig verziert) Stil.
Ein bedeutendes Beispiel dafür zeigt die Fassade der Basilika Santa Maria Major. Wie eine filigrane Silberarbeit sind die Darstellungen mit vielen Details zu Ehren der Fischer und der Schifffahrt gearbeitet. Als Grundriss besitzt das Sanktuarium der jungfräulichen Pilgerin (Virxe Peregrina) eine Jakobsmuschel. Der kuriose, schmale und zugleich hochgezogene Kirchenbau mit seiner nach außen gewölbten Fassade wurde 1778 von Antonio de Souto erbaut. Hier mischt sich die barocke mit der klassizistischen Formensprache. Barocke Voluten, Baluster, reichverzierte Kapitelle und Rahmen erscheinen neben linearen und geometrisch ausgeführten Gesimsen und Giebeln. Im oberen Teil der Fassade ist die Maria im Pilgerkleid zu sehen. Die Heiligenfigur ist gerahmt von einer stilisierten Jakobsmuschel.
Die Altstadt von Pontevedra kann mit einer Opernkulisse verglichen werden. Kleine Plätze arrangieren sich lauschig aneinander. Säulen tragen Balkone, die als Veranden mit Fenstern verkleidet sind. Die etwas verspielte Architektur wird aber dennoch gehalten von dem massiven Mauerwerk aus Granit, das dazu einen stabilen Akzent setzt. Ourense, eine Stadt im Landesinneren, besitzt eine bemerkenswerte, historische Altstadt und bedeutende Kathedrale, die dem hl. Martin geweiht ist. Am Eingang des romanisch gotischen Gotteshauses grüßt den Besucher ein ausdrucksvoller Skulpturenschmuck. Das romanische Portal des nördlichen Querhauses erzählt figural die Geschichte von St. Martin, der seinen Mantel mit einem Bettler teilt. Den westlichen Abschluss des Langhauses bilden drei Rundbogenarkaden, die in reicher Figurensprache und mit vielen Details vom himmlischen Jerusalem erzählen. Im Inneren dominiert eine achtteilige Kuppel mit einem Sterngewölbe und den zwölf Aposteln. Reich vergoldete Altäre, Heiligenfiguren und eine Engelschar schmücken die Kathedrale.
Und das Beste kommt ja bekanntlich zum Schluss – in unserem Fall ist es die berühmte Pilger- und galizische Hauptstadt Santiago de Compostela, die den Schlusspunkt der Reise setzt. Wir bahnen uns auf alten, holprigen Quadersteinen durch die Pilgerschar einen Weg zur Kathedrale, die ab dem Jahr 1075 auf Überresten von Gebäuden früherer Epochen erbaut wurde. „Hier befindet sich das Grab des hl. Jakobus“, erklärt Tommi. „Nach den vielen verschiedenen Stilepochen dominiert heute der Barock, den wir sowohl außen an der Fassade, wie auch im Inneren sehen können.“ Hier glänzt und glitzert es in Gold und Silber von den Altären, den Decken und Wänden. Im riesigen 96 Meter langen Hauptschiff, dem 20 Meter hohen Kirchenraum erkennen wir auch das berühmte, überdimensionale „Botafumeiro“ (Weihrauchfass), das bei Beginn der Messe und zu den Andachten in einem großen Bogen von zwei Messdienern hin- und hergeschwungen wird. Pilger aus aller Welt haben bereits in der Kathedrale Platz genommen, um bei der hl. Messe dabei zu sein. Denn jetzt und hier ist das Ziel ihrer langen, mühsamen Reise erreicht. (Eva-Maria Mayring) (200 Jahre alter Getreidespeicher aus Granit; die Basilika Santa Maria Major ist ein Beispiel für den plateresken Stil - Fotos: Eva-Maria Mayring)

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