Bauen

01.10.2010

OBB-Kolumne: "Eine Frage des Denkens, nicht des Geldes"

Josef Poxleitner, Leiter der Obersten Baubehörde (OBB), über barrierefreies Bauen

„Gegen bauliche und geistige Barrieren – für zugängliche Menschen und Gebäude!“ Mit diesem Appell forderten Menschen mit Behinderung Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts ein grundlegendes Umdenken der Gesellschaft ein. Inzwischen sind insbesondere in den Bereichen Bauen, Wohnen und Verkehr die gesetzlichen Grundlagen geändert worden, die auf die Herstellung einer weitreichenden Barrierefreiheit abzielen.
Die Notwendigkeit, barrierefrei zu bauen, ist mehr und mehr auch mit der demografischen Entwicklung zu begründen: Prognosen zufolge wird bereits im Jahr 2030 etwa ein Viertel der Bevölkerung 65 Jahre und älter sein. Ein Großteil dieser Menschen wird im Laufe der Zeit mit körperlichen Einschränkungen, beim Gehen, Sehen oder Hören, konfrontiert sein.
Die Belange der Menschen mit Behinderung werden nicht immer ausreichend berücksichtigt. Auch wird barrierefreies Bauen allzu schnell mit hohen Mehrkosten in Verbindung gebracht. Die Oberste Baubehörde sieht sich deshalb in der Verantwortung – über das Schaffen eines gesetzlichen Rahmens hinaus – bei Bauherren und Planern durch Aufklärung und Unterstützung das erforderliche Bewusstsein zu schärfen und mit beispielgebenden Maßnahmen die praktische Umsetzung der Barrierefreiheit voranzutreiben. Auf die bewährte Zusammenarbeit mit der Bayerischen Architektenkammer ist hier besonders hinzuweisen.


Kein zusätzlicher Flächenbedarf


Seit über 20 Jahren initiieren wir Modellprojekte im Rahmen des Experimentellen Wohnungsbaus, die bauliche Antworten auf demografische und gesellschaftliche Herausforderungen geben. Die Auswertung dieser „Praxistests“ hat zu der Erkenntnis geführt, dass Wohnungen, die entsprechend der einschlägigen Planungsnorm DIN 18025-2 barrierefrei ausgeführt sind, bei intelligenter Grundrissgestaltung keinen zusätzlichen Flächenbedarf und deshalb auch keine Mehrkosten verursachen.
Inzwischen werden die für den sozialen Mietwohnungsbau zur Verfügung stehenden Mittel nur noch unter der Vorraussetzung vergeben, dass alle Wohnungen normgerecht barrierefrei gestaltet sind und die Nachrüstmöglichkeit für einen Aufzug gegeben ist. Aber auch für den freifinanzierten Wohnungsbau sind die Weichen gestellt: Seit 2003 schreibt die Bayerische Bauordnung für neue Gebäude mit mehr als zwei Wohnungen anteilig auch stufenlos erreichbare und barrierefrei nutzbare Wohnungen vor.
Damit Menschen trotz Behinderung am gesellschaftlichen Leben teilhaben können, ist neben der eigenen Wohnung die Gestaltung des öffentlichen Raums und der öffentlich zugänglichen Gebäude von zentraler Bedeutung. Im Rahmen der Städtebauförderung gibt die Oberste Baubehörde hierzu entscheidende Impulse und unterstützt die Kommunen bei der Umsetzung. Der Grundsatz einer „Stadt für alle“ – wie bei der Neugestaltung der Stadtplätze in Altdorf bei Nürnberg oder in Landau realisiert – sollte zu den Erneuerungszielen und zur Baukultur jeder Kommune gehören.
Unseren staatlichen Bauämtern fällt die Aufgabe zu, mit gutem Beispiel voranzugehen. Viele Bauten des Freistaats – vom Museum bis zum Finanzamt – müssen aufgrund ihrer Funktion einer breiten Öffentlichkeit zugänglich sein.
Während Barrierefreiheit bei neuen öffentlichen Gebäuden heute eine selbstverständliche Voraussetzung ist und im Rahmen des Gesamtkonzepts wirtschaftlich integriert werden kann, erfordern Änderungen im Baubestand kreative Lösungsansätze.
Die vom Staatlichen Bauamt Regensburg gerade begonnene Baumaßnahme an der Walhalla zeigt, wie sich Barrierefreiheit mit dem Denkmalschutz vereinbaren lässt. Im Zuge der Sanierung des von Leo von Klenze im Auftrag König Ludwigs I. errichteten „Ruhmestempels“ wird noch in diesem Herbst ein barrierefreier Zugang über eine filigrane Rampe hergestellt.
Künftig werden wir nicht nur im Hochbaubereich, sondern auch beim Ausbau und der Instandhaltung der von uns betreuten Verkehrsanlagen die Aufmerksamkeit noch mehr auf das Thema Barrierefreiheit richten. Angeregt durch die positiven Erfahrungen mit Verkehrssicherheitsaudits entwickeln wir derzeit in Abstimmung mit der Hauptvertrauensperson für Menschen mit Behinderung der Staatsbauverwaltung ein Konzept zur Auditierung der Barrierefreiheit für alle von der Staatsbauverwaltung betreuten Hoch- und Straßenbaumaßnahmen.
Unser Ziel ist, mit diesem in den Planungsprozess integrierten Verfahren alle am Bau beteiligten Akteure für das Thema zu sensibilisieren und die erreichten Erfolge angemessen zu dokumentieren.
Dass die gebaute Umwelt nicht von heute auf morgen barrierefrei sein kann, dürfte jedem von uns klar sein. Doch wenn wir unsere Kreativität für überzeugende barrierefreie Lösungen nutzen, können wir auch mit vertretbarem finanziellem Aufwand viel erreichen. Barrierefreies Bauen ist in erster Linie eine Frage des Denkens, nicht des Geldes.

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