Bauen

Das Kirchenschiff der Bayreuther Stadtkirche. (Foto: Staatliches Bauamt Bayreuth)

27.02.2015

Runderneuertes Gotteshaus

Weil akute Einsturzgefahr bestand, wurde die Bayreuther Stadtkirche generalsaniert

Als sich in der Nacht vom 10. auf den 11. Mai 2006 ein Mörtelbrocken aus einer Fuge zwischen den Rippensteinen des Gewölbes der Bayreuther Stadtkirche löste und zu Boden fiel, ahnte noch niemand, welche Größenordnung die baulichen Maßnahmen in der Folge dieses Ereignisses annehmen würden.
Da das Gewölbe in einer Höhe von rund 18 Metern nicht spontan zugänglich war, wurde zunächst über eine Sichtprüfung versucht, Schadensumfang und Schadensursache einzuschätzen. Hierauf wurden bereits erste Teilbereiche des Gestühls vorsichtshalber abgesperrt. Die genauere Erkundung der Schäden mit einem Hubsteiger erbrachte ein dramatisches Schadensausmaß und lieferte auch gleichzeitig Hinweise auf die Schadensursache: Nachdem die Kirche beim Brand im Jahr 1605 gänzlich zerstört worden war, wurde beim Wiederaufbau in den Jahren 1611 bis 1614 auf Anweisung des Markgrafen ein Gewölbe anstatt der vorherigen Flachdecke eingebaut.
Aufgrund des Gewölbedrucks entwickelte sich seither kontinuierlich über einen Zeitraum von fast 400 Jahren eine Verkippung beider Außenwände nach außen. Die festgestellte Lotabweichung betrug auf beiden Seiten je 17 Zentimeter. Die Folge war in allen Gewölbeteilen die Ausbildung von „Gelenken“ (Bruchstellen) im Scheitelbereich und in der Nähe der ausweichenden Auflager. Aufgrund der durch die klaffenden Risse wesentlich verringerten Auflageflächen wurden die darunter befindlichen Auflagersteine stark geschädigt (Abscheren der Flanken). Besonders gravierend waren hierbei die Abrisse im Bereich des Chorbogens, da dieser zusätzlich noch durch eine doppelschalige Sandsteinwand mit einem geschätzten Gewicht von rund 60 Tonnen belastet war.
Aufgrund dieser Erkenntnisse musste die Kirche wegen akuter Einsturzgefahr für die Benutzung komplett gesperrt werden und in einer Notmaßnahme provisorische Zuganker in jeder Achse eingebaut sowie der Chorbogen mit einem Leergerüst nach oben über zwei Stahlträger auf die Außenwände abgelastet werden.
Die folgenden Untersuchungen förderten weitere Schadensbilder verschiedenster Art zu Tage. So waren in den 1960er Jahren nahezu alle Balkenköpfe der Deckenbalkenlage und die Mauerschwellen vom Dachraum aus unsachgemäß „repariert“ worden, sodass keinerlei durchgehende Mauerlatten und damit auch keine Verbundwirkung mehr vorhanden waren.
Auch die Reparaturen selbst wurden handwerklichen Ansprüchen nicht gerecht. Weiterhin fehlten in jeder Binderachse des Dachstuhls eine ganze Reihe konstruktiv erforderlicher Hölzer. Dieser in der Tragfähigkeit eingeschränkte Dachstuhl ruhte auf der Kante des nach außen ausweichenden Mauerwerks. Das Mauerwerk war zudem in genau diesem Auflagerbereich oberhalb des Gewölbes durch einen erneuten Brand des Dachstuhls im Jahr 1621 in der Oberfläche stark entfestigt worden.
Wohl bereits im 19. Jahrhundert hatte man das Ausweichen der Wände aufgrund des Gewölbedrucks erkannt und versuchte, die Kräfte mit großen Stahlstreben in die seitlichen Mauerpfeiler abzuleiten. Hierdurch änderte sich jedoch das statische Gefüge, wobei die Schwibbögen entlastet und damit in ihrer Stabilität eingeschränkt wurden.
Auf der Basis der vorliegenden Schadensanalyse erarbeitete man ein statisches Sanierungskonzept mit möglichst zurückhaltenden Eingriffen in die historische Substanz. Dieses Konzept ermöglichte den Verzicht auf Gründungsnachbesserungen und sah neben konstruktiven Erneuerungen folgende grundsätzliche Maßnahmen vor: Einbau von Zugankern im Mittelschiff und in den Seitenschiffen sowie die Entfernung der Stahlstreben von 1871 aus den Dachräumen der Seitenschiffe.
Um möglichst zügig mit den Sanierungsmaßnahmen beginnen zu können, wurde die Maßnahme in die kostenmäßig relativ schnell zu ermittelnden Maßnahmen oberhalb des Gewölbes (Bauabschnitt 1), in alle weiteren statischen Sanierungen einschließlich der Instandsetzung der Gebäudehülle (Bauabschnitt 2a) und in die Innensanierung (Bauabschnitt 2b) aufgeteilt.
Der 1. Bauabschnitt (Fertigstellung Ende 2009) beinhaltete die Ertüchtigung des Dachtragwerks, die Sanierung der Mauerkrone, das Verspannen und Verpressen der Obergadenwände sowie des Chorbogens und die Erneuerung der Dacheindeckung.
Im 2. Bauabschnitt, Teil a (Fertigstellung Ende 2011) erfolgte die Gewölbesanierung, der Ersatz der provisorischen durch die endgültigen Zuganker im Mittelschiff und den Seitenschiffen, das Vernadeln und Verpressen der Strebebögen und Strebepfeiler, die Überarbeitung der Fassade des Kirchenschiffs (Fugen), die Erneuerung der Seitenschiffdächer und Sanierung der Glocken sowie der Glockenstühle. Ferner die Erneuerung der Turmdächer und Überarbeitung der Turmfassaden, die Sanierung der Turmbrücke und Erneuerung der Raumschale im Gewölbe.
In Teil b des 2. Bauabschnitts (Fertigstellung Ende 2014) fand die komplette Innenraumsanierung statt. Im Zuge dieser Sanierung wurde die ursprünglich Farbigkeit des Kircheninnenraums sowie der Ausstattung (Gestühl /Kanzel) fast unverändert übernommen. Auf Wunsch der Kirchengemeinde wurden jedoch folgende konzeptionelle Änderungen vorgesehen:
– Vorziehen des erhöhten Fußbodenniveaus aus dem Chorraum in das erste Joch des Kirchenschiffs;
– Umsetzen der Kanzel vom Chorbogen an den ersten Pfeiler der Nordseite sowie Nachfertigung einer gewendelten Kanzeltreppe nach dem Vorbild des geradläufigen, neugotischen Originals;
– Konstruktion und Einbau von Rollwagen in die beiden vorderen Blöcke des Bankgestühls für verschiedene Gestühlsanordnungen;
– Einbau von Bankheizstrahlern, einer Fußbodenheizung in der vorderen Hälfte des Mittelschiffs als Ergänzung zur Warmluftheizung und elektrischen Bankheizung;
– Schaffung eines neuen, frei zugänglichen Gruftvorraums hinter dem Hochaltar mit zurückhaltenden Sichtöffnungen in die Markgrafengruft „ sowie
– Erweiterung der beiden Orgeln um je zehn Register.
Durch das Hineinziehen des Chorraums in das erste Joch des Kirchenschiffs wird die enorme Länge des Kirchenschiffes reduziert und durch das Versetzen der Kanzel der Abstand zwischen Pfarrer und Gemeinde für den Gottesdienst wesentlich verkürzt. Da der historische Hochaltar aus dem Jahr 1614 an seinem ursprünglichen Platz im Zentrum des östlichen Chorraumabschlusses verblieb, wurden über einen Kunstwettbewerb Altartisch, Ambo und Kerzenleuchter neu gestaltet. Die Kirchengemeinde entschied sich für die sehr zurückhaltenden Entwürfe der Künstlerin Sabine Straub aus München.
Die beiden entsprechend verkürzten, vorderen Gestühlsblöcke können nun mittels unter die historischen Bankpodeste montierten Rollwagen in die Seitenschiffe gefahren und dort aufgestellt werden. Durch einen ausgeklügelten Klapprollenmechanismus ist das Bewegen der Bankpodeste für ein bis zwei Personen innerhalb kurzer Zeit problemlos möglich. Mit dem Verschieben der Bänke wird die darunterliegende Fußbodenfläche frei für gottesdienstliche Aktionen. Dank der eingebauten Fußbodenheizung wird nicht nur die Situation der Kirchenmusiker verbessert; darüber hinaus können zum Beispiel auch Krabbelgottesdienste durchgeführt werden.
Durch die Erweiterung der Gottesdienstfläche in das vordere Joch des Mittelschiffs verschärfte sich jedoch die Konfliktsituation mit dem dort bisher bestehenden, leicht seitlich von der Mittelachse versetzt liegenden Treppenabgangs zur Markgrafengruft. Dieser Abgang wurde nun durch einen hydraulisch anhebbaren Deckel verschlossen, welcher jedoch nur im Servicefall benutzt werden soll. Um jedoch interessierten Besuchern dennoch dezente Einblicksmöglichkeiten in die Gruft zu gewähren, wurde ein neuer Gruftvorraum mit einem Treppenabgang hinter dem Hochaltar konzipiert. Ziel der Planung war dabei, das Betreten der engen Gruft durch Besucherverkehr und damit mögliche Beschädigungen der wertvollen Särge in Zukunft auszuschließen.
Vor der Schaffung des neuen Gruftvorraums und der damit verbundenen Eingriffe in die Substanz waren langandauernde und intensive Abstimmungen mit dem Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege erforderlich. Durch entsprechende Vorsichts- und Schutzmaßnahmen gelang der Einbau des Vorraums ohne jegliche Beeinträchtigungen der umgebenden Bausubstanz oder der Ausstattung. Insbesondere die wertvollen Zinnsärge blieben unversehrt an Ort und Stelle.
Durch die äußerst zurückhaltende Planung wurden die modernen Einbauten auf die statisch beziehungsweise zur Erschließung notwendigen Bauteile reduziert. Insbesondere die Sichtbeton-Falttreppe stellt in ihrer Gestaltung als schlichte, zurückhaltende Skulptur eine Bereicherung der Situation dar, ohne die optische Wirkung der kunstvollen Zinnsärge zu schmälern. Details der gereinigten und konservierend behandelten Zinnsärge sowie Namen, Bildnisse und Lebensgeschichte der in der Gruft bestatteten Mitglieder der Markgräflichen Familie werden über eine Touchscreen-Präsentation interaktiv vermittelt. Eine dezente, ebenfalls über das Touchscreen-Menü gesteuerte Beleuchtung der Särge rundet das gelungene Projekt ab.
Mit der Einweihungsfeier am 1. Advent 2014 kam die Sanierung der Stadtkirche Bayreuth fast auf den Tag genau 400 Jahre nach der Wiedereinweihung der bei dem Stadtbrand im Jahr 1614 zerstörten und wieder aufgebauten Kirche zum Abschluss. Ein Besuch lohnt sich. (BSZ) (Das generalsanierte Gotteshaus; der Gruftvorraum und der Neubau der Kanzeltreppe; Blick ins Kircheninnere und hinauf zur Orgel - Fotos: Staatliches Bauamt Bayreuth)

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