Bauen

Villa auf der Insel Stenungsön bei Stenungsund/Westschweden, wo sich im 19. Jahrhundert eine Künstlerkolonie und ein Badekurort entwickelte. Ihnen folgten erholungsuchendende reiche Bürger aus Göteborg und errichteten hier ihre Privatvillen. (Foto: Irgens-Defregger)

02.08.2013

Schöner Wohnen für alle

In Schweden orientiert sich die Architektur an der Natur

Wohnst du noch oder lebst du schon?“ Mit diesem Werbeslogan wirbt das Unternehmen Ikea. Seit über einem halben Jahrhundert hat das Möbelhaus mit seinen Fialen in 39 Ländern unser Bild von Schweden mitgeprägt. Und es hat Sehgewohnheiten vom „Schöner Wohnen für alle“ verfestigt, bei denen Nostalgie sich paart mit Funktionalität und Formwillen. Ein Erfolgsrezept, das sich bis dato auszahlt. Zugleich verweist der Möbelgigant auf das politische Modell Schwedens: regulierte freie Marktwirtschaft, verbunden mit dem größtmöglichen Wohlstand für möglichst viele.
Typisch für das Land im hohen Norden sind die schmucken Schwedenhäuser aus Holz mit ihren faluroten, langlebigen Fassaden, weißen Giebeln und Fenstern im Bullerbü-Stil. Das kleine rote Landhäuschen mit gehisster blau-gelben Fahne drückt nationale Identität aus. Und es hat die schwedische Wohnraumtradition bewahrt, die sich aus dem Grundriss der „sparstuga“ entwickelt hat, bei dem sich die Wohnräume einem zentralen Eingang anschließen. Der ländliche Typus mit Erker und Veranda über diesem festen Grundriss, der sich im schwedischen Klima bewährt hat, wo es gilt, die Wärme im Haus festzuhalten, färbte ab auch auf die Villen des 19. Jahrhunderts. Oft in Kombination mit Natursteinfundamenten.

Neue Maßstäbe geschaffen


Im dünn besiedelten Schweden wurde der Bausektor erheblich angekurbelt zwischen den 1930er und 1960er Jahren. Erst Ende des 19. Jahrhunderts setzte in Schweden die Industriealisierung und der damit verbundene Zuzug in die Städte ein. Eisen und Holz als grundlegende Wirtschaftszweige ersetzten die Landwirtschaft. Rasant entwickelte sich die Neubaugesellschaft Schweden von einem Land mit ursprünglich der kleinsten zur größten durchschnittlichen Wohnfläche innerhalb Europas.
Geometrische Architektur in Stahl und Glas brachte den Durchbruch der Moderne und die künstlerische Befreiung von der akademischen Stilarchitektur des 19. Jahrhunderts. Schwedens international renommiertester Architekt, Gunnar Asplund, entwarf Anfang des 20. Jahrhunderts große öffentliche Gebäude. Mit seinem Anbau des Göteborger Rathauses im elegant leichten, modernen Stil schuf er neue Maßstäbe. Für den Eigengebrauch setzte er auf gemütliche Atmosphäre vor offenen Kaminen und ließ sich von der Ästhetik angelsächsischer Art & Craft-Bewegung beeinflussen.
Als in den 1980er Jahren die Wirtschaft vermehrt in den Vordergrund drängte und die Gemeinden ihre starke Position in der Städteplanung verloren, die um die Jahrhundertwende von den Österreichern Sitte und Loos mit beeinflusst wurde, entdeckte ihn die Postmoderne wieder.
Ein wichtiges Element des schwedischen Bauens bis heute: Die Architektur orientiert sich an der Natur. Sie öffnet sich der Landschaft. Mit zunehmender Freizeit bauten sich immer mehr Familien einfache Ferienhäuser, um das einfache, freie Leben in der Natur zu genießen. Handwerkliche Kompetenz beim Bauen mit Holz sowie die volkstümliche Bautradition blieben so bewahrt. Dass heute etwa die Hälfte der Bevölkerung ein Sommerhaus besitzt, sagt viel über den Wohlfahrtsstaat und die ökologische Gesellschaft Schweden aus.
Modernes Bauen bedeutet auch, sich das Erbe zunutze machen. Bauen im Bestand. Weiterbauen im bereits Vorhandenen. Verbessern, ohne zu zerstören. Eine Idee, die im Deutschen Pavillon der 13. Architektur-Biennale in Venedig angestoßen und breit diskutiert wurde.

Individuelle Wohnlösungen

Wie anpassungsfähig die Architektur ist, zeigen individuelle Wohnlösungen durch Beteiligung der Bewohner beim Bauen. Das eigenwillige Wohnungsbauprojekt Bo 100 in Malmö von Ivo Waldhör hat es 1991 vorgemacht. Was mit seinen unterschiedlichen Fassaden ein wenig an die „Villa Kunterbunt“ erinnert, ist ein sehr erfolgreiches Konzept aus 39 unterschiedlichen, den eigenen Wohnbedürfnissen angepassten Wohnmodellen.
An der Schwelle zum 21. Jahrhundert hat sich auch in Skandinavien ein Markt aufgetan für exklusive Wohnungen in attraktiver Lage im Zentrum der Großstädte. Künstlerisch wie bautechnisch gleichermaßen hervorstechend ist beispielsweise der sich mit 54 Etagen 190 Meter in die Höhe schraubende Wohnturm „Turning Torso“ in Malmö vom spanischen Stararchitekten Santiago Calatrava. Der mehrfach ausgezeichnete, höchste Wolkenkratzer Skandinaviens ist das Wahrzeichen der Stadt und setzt im westlichen Hafengebiet markant ein Zeichen, wie wichtig den Nordländern gutes Wohnen ist. Und er ist zugleich eine architektonische Hymne an den Stil des Dekonstruktivismus.
Diesen einzelnen Ikonen der Architektur gegenüber stehen Häuser von der Stange: Normierte Fertighäuser in Holzrahmenbauweise, über Nacht aufgestellt, boomen im Speckgürtel größerer Städte wie hierzulande die Ein- und Mehrfamilienhäuser im Toskanastil. „Schöner Wohnen im Schwedenhaus“ – dieser Traum könnte für Schwedenbegeisterte auch in der eigenen Heimat in Erfüllung gehen, denn die Häuser sind per Katalog bestellbar.
(Angelika Irgens-Defregger) (Alte Fischerhäuser im Kyrkesund, heute Ferienhäuser der Städter aus Göteborg und Umgebung - Fotos: Irgens-Defregger)

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