Bauen

Die beiden Röhren des Gotthard-Basistunnels am Abend. (Foto: Alp Transit Gotthard/Swiss)

23.06.2017

Sicher, schnell, erlebnisreich

Architektonische Entdeckungsreise in der Schweiz: Der neue Gotthard-Basistunnel und das Tessin

Seit dem 11. Dezember 2016 sausen die Züge der SBB, der Schweizerischen Bundesbahnen, fahrplanmäßig und eidgenössisch pünktlich durch die beiden Tunnelröhren des neuen Gotthard-Basistunnel. Dieser Tunnel ist die erste Flachbahnstrecke durch die Schweizer Alpen und damit eine Pioniertat. Die Steigungen bei der Gebirgsunterquerung liegen im zweistelligen Promille-Bereich und erlauben den Personenzügen Geschwindigkeiten bis zu 250 km/h, den Güterzügen von maximal 160 km/h. Schon die millimetergenaue Vermessung der Strecke war eine Herausforderung, denn „vor der Hacke ist es immer duster“, zitiert ein Beteiligter das altbekannte Sprichwort. Die Bohrung der Röhren erfolgte zu 75 Prozent mit Tunnelbohrmaschinen, zu 25 Prozent durch Sprengvortrieb. Insgesamt 2600 Menschen haben dort geschuftet und mit Maschineneinsatz 28 Millionen Tonnen Ausbruchmaterial wegbefördert, mitunter gar 377 Tonnen täglich. Andererseits wurden vier Millionen Tonnen Beton verbaut. Nach 17 Jahren Bauzeit in teils schwierigem geologischen Gelände war der 57 Kilometer lange Tunnel vorigen Sommer fertig. Ein Jahrhundertbauwerk.

Ernstfall geprobt

Und die Sicherheit? Da keine Pkws und Lastwagen den Tunnel durchqueren, ist schon das ein wesentlicher Sicherheitsfaktor. Auch gibt es Nothaltestellen und solche zum Spurwechsel in die andere Röhre. Darüber hinaus hat man ein halbes Jahr mit 1000 Fahrgästen den Ernstfall geprobt, ehe grünes Licht für den Betrieb gegeben wurde. Furcht scheint jedenfalls niemand zu haben, denn die Strecke durch den Gotthard-Basistunnel ins Tessin wird lebhaft genutzt. Zwar beträgt der Zeitgewinn bisher nur rund 30 Minuten, doch viele lassen die Autos nun stehen und schonen die Nerven und die Umwelt. Noch stärker tragen die 220 bis 260 Güterzüge, die den Tunnel passieren können, zur Verkehrs- und Luftverbesserung bei. Wenn 2020 der anschließende, 15,4 Kilometer lange Ceneri-Tunnel bis Lugano fertig ist, erhöht sich die Zeitersparnis für Personenzüge auf 60 Minuten. Doch auf der Strecke Zürich–Lugano warten schon vor dem Gotthard-Tunnel architektonische Überraschungen. Entdeckungsfreudige steigen im Städtchen Zug aus dem Zug und staunen über den 2003 – nach Plänen des Zürcher Architekten Klaus Hornberger – modernisierten Bahnhof. Seine abendlichen Lichtinstallationen sind ein echter Hingucker. Die komplett erhaltene Altstadt mit dem 52 Meter hohen Zytturm aus dem 13. Jahrhundert ist ein weiteres Highlight, insbesondere der Blick von seiner Aussichtsplattform auf die 500 Jahre alten Häuser und ihre pittoresken Dächer. Doch in der Nähe wartet schon die Moderne, zum Beispiel das Uptown-Gebäude von 2010, kombiniert mit der Eishalle, ein Entwurf von Scheitlin Syfrid Architekten AG, Luzern. Zug kann außerdem mit dem von Johnson & Johnson angemieteten „Foyer“ punkten, dem umweltfreundlichsten Bürogebäude der Schweiz, prämiert mit dem internationalen Nachhaltigkeitslabel „Leed Platinum“. Noch staunenswerter ist das im Januar 2010 eröffnete Hotel City Garden, erstellt in nur 40 Wochen in Holzbauweise, umhüllt von Chromstahlplatten (EM2N Architekten AG plus Renggli AG). Eigentlich war es als Provisorium während eines Tunnelbaus gedacht. Die Zuger stimmten dagegen und so wurde das glitzernde 4-Sterne-Haus mit seinen 82 Zimmern zum „Povidurium“.
Dennoch geht nichts über den bahnhofsnahen weißen Grafenau-Komplex der Architekten Heinz Bosshard und Werner Sutter aus Zug, errichtet 1992 bis 2000. Rechts die wirklich ansehnlichen Bürogebäude, gegenüber nach Schweizer Vorschrift die Wohnbauten und mittendrin die alte Eiche, die stehenbleiben musste. Nun aber weiter per Bahn Richtung Gotthard-Basistunnel. Eine Frauenstimme vom Band verkündet vorab dass der 57 Kilometer lange Tunnel der längste der Welt ist und die Fahrt durch ihn rund 20 Minuten dauert. Da die Fenster nicht zu öffnen sind, ist nichts vom Tunnel zu sehen, er ist jedoch eh stockdunkel und wird nur im Notfall beleuchtet. Wer aber die Sicht auf die Berge bevorzugt, kann noch bis 22. Oktober an Wochenenden und offiziellen Feiertagen den Gotthard Panorama Express von Luzern nach Lugano und retour nehmen. Erster Halt nach dem Tunnel ist Bellinzona im Tessin. Große Palazzi künden von Handel und Wandel. Die wuchtige Festung Castelgrande gleich über den Häusern kennzeichnet Bellinzona als einstige Grenzstadt. Oben angekommen sind auch das Schloss Montebello und der kleinere Sasso Corbaro zu sehen. Sie alle bildeten eine in dieser Art einmalige Dreier-Verteidigungskette und zählen seit 2000 zum UNESCO-Weltkulturerbe.

Grüner Marmor

Mit dem neuen Ticino-Ticket, das übernachtenden Gästen Gratis-Bahnfahrten bietet, reisen Architektur-Fans gerne weiter nach Lugano. Dort lockt das spektakuläre, im September 2015 eröffnete, LAC, das neue Kunst- und Kulturzentrum, das größte im Kanton Tessin. Geplant hat es Ivano Gianola aus der sogenannten Tessiner Schule, zu der von Beginn an Mario Botta gehörte. Wie ein Schiffsbug ragt das mit grünem Marmor verkleidete LAC Richtung See und der wiederum leuchtet durch die hohen Fenster der Eingangshalle. Drinnen gibt es viel Platz für Ausstellungen und Events. Besonders schön ist der 1000 Plätze bietende, variabel nutzbare Theatersaal in lichtem Birnenholz. Für den guten Klang sorgten die Bau- und Akustikexperten von Müller-BBM, München. Bleibt noch ein Abstecher nach Locarno und dort der Besuch der Madonna del Sasso, des bedeutendsten Wallfahrtsziels im Tessin. Hoch über der Stadt und dem Lago Maggiore thront das 1480 errichtete Kloster und seine inzwischen üppig barockisierte Kirche mit der verehrten Madonna. Eine Standseilbahn und ein restaurierter, rund 30-minütiger Kapellenweg führen hinauf. Gleich neben der Standseilbahn-Bergstation fährt eine im Jahr 2000 erneuerte Gondelbahn weiter, auf den 1340 Meter hohen Cardada. Die hat mitsamt der Tal- und Bergstation Stararchitekt Mario Botta entworfen, und das sieht man ihr auch an. (Ursula Wiegand) (Das neue Kunst- und Kulturzentrum LAC in Lugano und die Bergstation der Cardada-Seilbahn. Die Festung Castelgrande in Bellinzona und das Uptown-Gebäude- Fotos: Ursula Wiegand)

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