Bauen

Edeka Südbayern sucht anspruchsvolle Lösungen wie zum Beispiel mit dem Ingolstädter Center an der Römerstraße. (Foto: Fotoatelier Gaimersheim)

18.02.2011

Supermärkte statt super Märkte

Anspruchsvoll gestaltete Ladenketten sind rar

Der Anteil guter Architektur am Gebauten in Bayern hat sich binnen 20 Jahren deutlich erhöht. Selbst in kleinen Orten ist der Qualitätssprung unübersehbar. Gleichzeitig wachsen seither Gewerbegebiete in einem Umfang, den sich selbst eindringliche Warner wie Dieter Wieland damals nicht träumen ließen. Mittlerweile wird in Bayern täglich die Fläche von vierzig Fußballfeldern versiegelt und zugebaut. Was dann darauf entsteht, ist allerdings unter aller Kritik. Einzelfälle belegen lediglich, dass die Verhütung des Schlimmsten offenbar schon das Maximum des Erreichbaren ist.
Diese Bauten sehen nur auf andere Art billig aus. Generell zeigen Gewerbebauten völlige Gleichgültigkeit gegenüber der Umgebung. Gibt es Architekturdetails, steigern sie nur die Lächerlichkeit des Äußeren. Der erschlagende Eindruck der Schäbigkeit setzt sich im Innern konsequent fort. Besonders trostlos sind die Bauten der Discounter und Supermärkte. Ihre einzige Botschaft: alles spottbillig hier.
Zwecks Kostenersparnis sind die Filialen sozusagen das kleinste gemeinsame Vielfache aller deutscher Bauordnungen und gleichen sich von Flensburg bis Garmisch. Im benachbarten Ausland ist die Situation nicht viel besser. Einzig in Österreich tut sich seit einigen Jahren Erstaunliches. Architektonisch lohnt der Blick über die Grenze ohnehin. Denn im Vergleich mit den Alpenstaaten sieht Bayern nicht gut aus: hier solides Mittelmaß, dort kreativer Wagemut.
Was dort Architekten vor zehn oder 20 Jahren wagten, was sich mittlerweile bewährte, wird heute in Bayern von der Bauzunft als Avantgarde verkauft: die typische Haltung der Provinz. Undenkbar wäre in Deutschland zum Beispiel, was sich Österreich im Jahr 2004 traute: Eine Supermarktkette vertrat das Land als Bauherr auf der 9. Architekturbiennale in Venedig und erregte damit weltweit Aufsehen. Der Tiroler Marktführer MPREIS betreibt rund 180 Supermärkte in Österreich und Südtirol. Das Erfolgsrezept des Familienunternehmens widerspricht allen Heilslehren der Marketing-Gurus: Angeblich braucht es ja zur Wiedererkennbarkeit einer Marke unbedingt Gleichförmigkeit. Das Gegenteil ist das Markenzeichen der Tiroler. Sie setzen bei ihren Filialen auf architektonische Vielfalt und Qualität.

Alle Bauten
sind Unikate


Frei von Beliebigkeit oder Stereotypie sind alle Bauten Unikate und doch unverkennbar immer Filialen von MPREIS. Bei aller Signatur manifestieren die Gebäude eine akribische Analyse des Standorts und daraus folgend konzise Kompositionen. Der Landschaft und dem Lokalkolorit sind sie gleichermaßen verpflichtet und reflektieren die ethische Grundhaltung des Konzerns.
Im Zusammenspiel mit einer angenehmen Raumatmosphäre entstehen so identitätsstiftende Orte, wo sich die Menschen gern treffen. Mehr als dreißig hochkarätige Architekturbüros wurden bislang verpflichtet. Selbst Dominique Perrault, Architekt der Pariser Nationalbibliothek, entwarf zwei Filialen: Offenbar finden auch weltweit agierende Architekten solche Aufgaben reizvoll, wenn man sie nur anfragt.
Anfangs wurde MPREIS von der Konkurrenz belächelt; mittlerweile ist allen das Lachen vergangen. Zwischen Bregenz und Wien entstehen immer mehr Filialen von Discountern und Lebensmittelketten, die mit fetziger Architektur um Kunden buhlen. Wohlgemerkt: Es sind dieselben Unternehmen, die Deutschland mit Verkaufsbaracken zupflastern. Was sich in Österreich vom reinen Zweckbau zur entwurflichen Herausforderung für Architekten gemausert hat, kommt hierzulande über simplen Zweckbau nicht hinaus.
Dabei vermittelt unser subjektives Empfinden für die Schönheit einer Sache uns immer auch ein Gefühl dafür, ob der Inhalt in Ordnung ist. Nicht zufällig legt deshalb die Fuldaer Firma Tegut, die auch in Nordbayern Lebensmittelmärkte betreibt, besonderen Wert auf Qualität, Nachhaltigkeit und „eine ansprechende Architektur“ (Tegut Website).
Bei den hessischen Filialen wurden dazu konventionelle Gewerbehallen aufgepeppt mit gläsernen Mittelrisaliten, flach gedeckt oder mit expressivem Bogendach, als eine Art Leitmotiv. Dergestalt im Wortsinn als Konsumtempel nobilitiert, ist die Raumaufteilung durchweg großzügig, die Atmosphäre angenehm. Weiter vor traute man sich allerdings nicht. Statt ortsspezifischer Lösungen bleibt es bei autistischer Stangenware, der dekorative Elemente etwas Individualität verleihen sollen.
Von markerschütternder Banalität sind allerdings die Filialen in Unter- und Oberfranken. Mit Ausnahme eines Marktes in Coburg unterscheiden sich diese Gebäude in nichts vom Einheitsbrei der Gewerbegebiete. Statt auf Nachhaltigkeit setzt man auf billigen Flächenbau ohne Rücksicht auf die Umgebung und ökologische Belange.

Ein Pavillon
als Grundelement


Bei Edeka Südbayern sucht man immerhin anspruchsvolle Lösungen. Mit dem Innsbrucker Architekturbüro ATP wurde ein „Corporate Design“ für alle neuen Märkte in der Region entwickelt. Dabei handelt es sich um einen Pavillon als Grundelement und verschiedene Baumodule mit Funktionseinheiten in der Firmenfarbe gelb. Das Baukastensystem lässt Spielraum für unterschiedliche, mitunter schwer nachvollziehbare Vorgaben der Genehmigungsbehörden und die finanziellen Möglichkeiten der Marktbetreiber.
Das ästhetische und funktionale Potenzial eines transparenten Pavillons wurde mit einem Prototyp in Ingolstadt ausgereizt. Die flexible Grundstruktur des Edeka-Centers an der Römerstraße greift Le Corbusiers Skelettbausystem „Dom-ino“ auf, das fast grenzenlose planerische Freiheit ermöglicht. Das Gebäude selbst zitiert reichlich unbekümmert Mies van der Rohes Berliner Nationalgalerie. Der gläserne Einkaufstempel ist direkt neben der Straße ein Hingucker, bei dem die Warenpräsentation Teil der Inszenierung ist.
Abgespeckte Versionen des Prototyps stehen in Taufkirchen und Rosenheim. In Ruhpolding dominiert der Baustoff Holz, während in Krün die Verbindung von Glaspavillon und Satteldach mit verschindeltem Giebelfeld im Trachtenlook nicht überzeugt.
Beim Versuch, dem Lokalkolorit gerecht zu werden, stößt das Baukastensystem an seine Grenzen. Wirkliche Individualität ist damit nicht möglich und es bleibt schließlich doch bei Modulationen von Gleichförmigkeit. Aber ein Anfang ist immerhin gemacht. (Rudolf Maria Bergmann)

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