Bauen

Wilhelm von Kaulbach, „Die von König Ludwig I. mit der Ausführung monumentaler Bauwerke betraut gewesenen Künstler“, um 1850. (Foto: Bayerische Staatsgemäldesammlungen – Neue Pinakothek München)

19.10.2012

Weltenschöpfer mit zeichenstift und Zirkel

Eine Ausstellung refelktiert das Berufsbild des Architekten im Wandel der Zeit

Mit seiner genauen Aufzählung von Fertigkeiten eines Architekten entwarf vor zwei Jahrtausenden der römische Dichter Vitruv ein Berufsbild, das bis heute im Zeitalter computergenerierter 3D-Raumwelten generalistisch angelegt ist. Von der Zeichenfertigkeit bis zur Sternenkunde und von der Geometrie bis zu Musik, Geschichte, Philosophie und Heilkunde schlug Vitruv im ersten seiner insgesamt zehn Bücher über Architektur einen gewaltigen Bogen der Vielseitigkeit des Architektenberufs.
In der Renaissance, welche die Antike wieder aufleben ließ, wurde dieser Allrounder zum „huomo universalis“: Ein Universalgelehrter mit dem Selbstverständnis eines Wissenschafters, der mitunter ganze Traktate verfasste und sich grundlegend unterschied vom mittelalterlichen Werkmeister, der in der Regel ein anonymer Handwerker blieb.
Mit Skulpturen, Gemälden, Zeichnungen, Modellen, Fotos sowie Exkursen wie „Architektur und Musik“, „Architektur und Literatur“ sowie „Architektur und Film“ erzählt die Ausstellung „Der Architekt – Geschichte und Gegenwart eines Berufsstandes“ des Münchner Architekturmuseums in der Pinakothek der Moderne die spannende Geschichte eines Berufsstands, der auf den Wandel der Gesellschaft reagiert hat wie kein anderer. Beim Thema Ausbildung blickt sie weit über die europäischen Ländergrenzen hinaus bis nach Indien, Japan und China.
Große Namen der Neuzeit wie Alberti, Brunelleschi, Michelangelo, Leonardo wurden bereits zu Lebzeiten gefeiert. Ihre an Vergöttlichung heranreichende Bewunderung förderte auch ihre Selbstvermarktung. Bei der eigenen Imagepflege scheute sich beispielsweise Alberti nicht, in seinem Signet mit dem Motiv des göttlichen Auges in der Variante mit Flügeln zu werben.

Einheitspseudomoderne

Auch das Sprachrohr der Moderne, Le Corbusier, glaubte an die Geistesgegenwart und begriff Architektur als individuelle Schöpfung des Geists. Damit manifestierte der einflussreichste Architekt des 20. Jahrhunderts nach der Aufspaltung von Architekt und Bauingenieur im 19. Jahrhundert noch einmal die tradierte Vorstellung vom Multitalent des Architekten, der längst in den Himmel der Künste aufgenommen ist.
Die über alle Zeitenwenden hinweg dem Metier entgegengebrachte überschwängliche Euphorie disharmoniert bisweilen empfindlich mit der derzeit eher ernüchternden Realität des Gebauten. Die Architektur, die Mutter aller Künste, ist an einem Punkt angelangt, wo renditeorienterte Investoren bestimmen, wo, was und wie gebaut wird. Die weltweit boomenden Megacities werden mit einer größtenteils gesichtslosen Einheitspseudomoderne flächendeckend zubetoniert. Meist geschieht dies auf Kosten klein strukturierter, geschichtsträchtiger Einheiten mit qualitativ hochwertiger, guter und nachhaltiger Architektur.
Neben den Global Playern, wie beispielsweise das 300köpfige Architekturbüro Norman Foster, das derzeit unter anderem den Neubau des Münchner Lenbachhauses zu verantworten hat, können es sich nur wenige Architekten leisten, an öffentlichen Wettbewerben teilzunehmen, aus deren Vielfalt kreativer Lösungen sich potente Bauherren die Beste herauspicken – in einem an sich demokratisch gedachten Verfahren, das sich erst Ende des 18. Jahrhundert entwickelte.
Die Konkurrenz belebt aber nicht nur das Geschäft, sondern treibt seit alters her auch den Neid wie einen Pfahl ins Fleisch der Architekten, womit in einem Querverweis einer von sieben Stereotypen des Berufsstands in der Mythologie angesprochen ist. Neid wird der Sage nach auch dem Alleskönner und Urvater der Architekten Daidalus nachgesagt. Dieser stürzte seinen ihn an Erfindungsreichtum übertreffenden Schüler Perdix von der Akropolis.
Berühmt berüchtigt sind auch die Querelen zwischen den Architekten Leo von Klenze und Friedrich von Gärtner, die um die Gunst ihres Auftraggebers König Ludwig I. kämpften. Ihre Rivalität ging so weit, dass Gärtner zum Begräbnis von Klenzes Kind ging, um sich am Leid des Vaters zu weiden.
Wer sich in einer Ausstellung mit dem Architektenberuf in allen seinem Facettenreichtum im Rückblick auf fünf Jahrtausende beschäftigt, hat sich Großes vorgenommen. Der nun scheidende Direktor des Architekturmuseums Winfried Nerdinger – nach 35-jähriger Ausstellungstätigkeit selbst ein Titan der Architekturgeschichte – hat mit dieser letzten seiner insgesamt 43 Architektur-Schauen sich selbst ein Abschiedsgeschenk gemacht.

Schwerpunkte setzen


Die kostbaren Leihgaben, die nur selten ihre angestammten Häuser verlassen dürfen, wie beispielsweise die den Hohepriester und Architekten von Theben im Personalunion darstellende, altägyptische Würfelfigur des Bekenchons aus Karnak um 1240 v. Chr., krönen in dieser Jubiläumsschau seine Verdienste in der Wissenschaft. Und wer jetzt denken könnte, der 68-jährige verlegt sich aufs Altenteil, hat weit gefehlt. Der gebürtige Augsburger wechselt lediglich den Chefsessel. Als Gründungsdirektor des im Bau befindlichen NS-Dokumentationszentrums am Münchner Königsplatz wird er künftig hier die inhaltlichen Schwerpunkte setzen. (Angelika Irgens-Derfregger) (Le Corbusier, 1956 - Foto: Architekturmuseum der TU München/André Villers)
Die Ausstellung ist noch bis 3. Februar 2013 in der Pinakothek der Moderne, Barer Straße 49 in München zu sehen.

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