Beruf & Karriere

Per Videokonferenz ist man selbst vom heimischen Garten aus bei jedem Meeting dabei. Nur: Wann beginnt der Feierabend? (Foto: dpa)

09.06.2017

Eigenverantwortung kann stressig sein

Dienstschluss, Arbeitsweise, Aufgaben: Viele Berufstätige entscheiden darüber inzwischen selbst – das kann zur Selbstausbeutung führen

Punkt 8 Uhr ist Dienstbeginn, jede Arbeitsanweisung kommt vom Chef – und ohne Erlaubnis fasst man am besten gar nichts an. Solche strengen Regeln gehören an vielen Arbeitsplätzen der Vergangenheit an. Selbstorganisation und Selbstführung lauten die Zauberworte: Mitarbeiter sollen selbst entscheiden, wie sie ihr Ziel am besten erreichen, wie viel und wo sie arbeiten. Doch unter Umständen ist das der direkte Weg in die Selbstausbeutung.

Immer öfter kümmern sich Mitarbeiter selbst um Dinge, für die es früher im Unternehmen Personal gab, sei es für die Reisekostenabrechnung oder die Materialbeschaffung. „Mit Eigenverantwortung hat das nichts zu tun“, sagt Vanessa Barth vom Vorstand der IG Metall. „Da geht es eher darum, Kosten einzusparen.“

Positiver sieht sie Managementtechniken wie agile Methoden. Sie stammen aus der Softwareentwicklung, kommen heute aber auch in anderen Branchen zum Einsatz. Eine der Grundideen ist, dass Teams und Mitarbeiter sich selbst organisieren, Ziele und den Weg selbst festlegen und den Fortschritt in Eigenregie überprüfen. „Grundsätzlich gibt es einen Trend zu mehr Eigenverantwortung“, sagt Barth.

Der Ursprung liegt im Silicon Valley. Dort arbeiten viele Firmen längst mit viel Eigenverantwortung – und sind auch deshalb so innovativ und schnell. Hinzu kommen die Möglichkeiten der Digitalisierung: „Ein Grund ist die technische Veränderung der Arbeitswelt“, erklärt Josephine Hofmann vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO). Per Videokonferenz ist man selbst auf dem heimischen Sofa in Meetings dabei. Wenn alle wichtigen Dokumente im Intranet abrufbar sind, erleichtert das eigenverantwortliches Organisieren und dezentrales Arbeiten.

Wo es solche Möglichkeiten gibt, verändern sich auch die Wünsche der Mitarbeiter: Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird vielen immer wichtiger. Hinzu kommt der Trend zur Wissensarbeit. „Viele Fachkräfte sind heute so spezialisiert, dass sie nur selbst wissen, wie sie am besten arbeiten“, sagt Hofmann. „Da kann ein Chef keine detaillierten Vorschriften mehr machen, weil er die Aufgabe selbst nicht überblicken kann.“

Je höher der Abschluss, desto stärker der Trend zur Selbstführung

Selbstorganisation und -führung gibt es aber noch nicht überall. „Das ist eine Frage der Branche und der Position“, sagt Karriereberaterin Svenja Hofert. „In vielen Produktionsjobs ist die kleinteilige Aufgabenteilung noch sehr verbreitet.“ Überall dort, wo kreativ gearbeitet wird, sei der Trend zu eigenverantwortlichem Arbeiten deutlich zu sehen.

Auch der Bildungsgrad spielt eine Rolle: Je höher der Abschluss, desto stärker der Trend zur Selbstführung. Doch nicht jeder komme damit zurecht, sagt Hofert. Das Arbeiten ohne direkte Anweisungen und sofortiges Feedback sei eine Typfrage: Manche Berufstätige genießen es, andere stresst die Verantwortung eher.

Wer sich von zu viel Eigenverantwortung gestresst fühlt, kann zwar versuchen, das zu ändern – etwa mit Fortbildungen. Eine Erfolgsgarantie gibt es aber nicht, warnt Hofert. „Unabhängiges Arbeiten ist für den Einzelnen lernbar, aber nur begrenzt“, sagt sie. „Zum Teil ist das eine Frage der Persönlichkeit und damit unveränderlich.“

Deshalb rät die Expertin Arbeitnehmern auch, sich Selbstführung nicht aufzwingen zu lassen: Braucht jemand konkrete Anweisungen und regelmäßiges Feedback, sollte er das in einem Mitarbeitergespräch selbstbewusst einfordern. Denn eine Schwäche sei das nicht: Wer mit klaren Anweisungen besser arbeitet, ist oft genauer bei deren Umsetzung als jemand, der gerne eigene Ziele setzt. „Da ist die Führung gefragt, die herausfinden muss, welcher Mitarbeiter was braucht“, so Hofert.

Auch Josephine Hofmann sieht die Verantwortung für erfolgreiche Selbstführung eher beim Unternehmen: Entscheidend sei, wie die Idee umgesetzt wird. „Häufig werden Leute damit überfordert, weil sie dafür die Kompetenzen nicht haben“, erklärt die Expertin. So könne es passieren, dass jemand zwar die Verantwortung für die Fertigstellung eines Großprojekts trägt, aber nicht die Entscheidungsgewalt hat, Personal- und Ressourcenengpässe auszugleichen. „Da kann ein Zwang zur Selbstausbeutung entstehen.“

Und auch die Stimmung in der Abteilung oder in der Firma muss passen, sagt Barth. Da seien auch die Mitarbeiter in der Pflicht, passende Rahmenbedingungen einzufordern: „Mehr Eigenverantwortung für Mitarbeiter ist nur dann sinnvoll, wenn es auch eine entsprechende Kultur gibt, wenn Mitarbeiter also Fehler machen dürfen.“ (Tobias Hanraths, dpa)

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