Bayern forscht

Zwei von drei Artikeln aus Fachjournalen weisen wissenschaftliches Fehlverhalten auf. (Foto: dapd)

08.03.2013

"Auch Professoren schreiben häufig ab"

Der Münchner Rechtsprofessor Volker Rieble über Internetplags, höhere Strafen für Plagiatoren und Auswege aus der wissenschaftlichen Unredlichkeit

Kopierte Dissertationen, frisierte Forschungsarbeiten: In den letzten Jahren sind zunehmend Plagiate aufgeflogen. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg war nur einer der Fälle. Die Frage ist aber: Wird inzwischen nur genauer hingesehen – oder tatsächlich mehr betrogen in der deutschen Wissenschaft? BSZ Herr Professor Rieble, wird jetzt nur genauer hingesehen oder tatsächlich mehr geistiges Eigentum kopiert?
Rieble Es gibt eine stärkere Aufmerksamkeit vor allem durch die Internetblogs. Im Bereich des Dissertationsplagiats wird es aber weniger, weil der ganze Hype um prominente Fälle eine Abschreckungswirkung hat. Auf der anderen Seite steigt die Nachfrage nach Ghostwritern. Insgesamt ist es aber nicht mehr geworden. BSZ Wie stehen Sie zu den Blogs wie VroniPlag, in denen Betrugsfälle von Internetnutzern dokumentiert und veröffentlicht werden?
Rieble Die Arbeit ist uneingeschränkt verdienstvoll. Ich sehe aber einen wesentlichen Widerspruch in der Sache: All diese Blogs wollen Redlichkeit in der Autorschaft – warum muss das dann anonym sein? Das passt für mich nicht zusammen. BSZ Bei der Dissertation von Ex-Bildungsministerin Annette Schavan teilten sich die Wissenschaftler in zwei Lager: Die einen forderten die Überprüfung einzustellen, die anderen vehement Aufklärung.
Rieble Das ist nichts Neues. Je älter ein Abschreiber ist, desto mehr Sekundanten findet er. Frau Schavan war in der Wissenschaft als Geldgeberin allerbestens vernetzt und hat viele Freunde. Dann wird so ein Problem schöngeredet. Dabei ist die Frage, ob das lange her ist, vollkommen irrelevant. Es darf auch nicht darauf ankommen, wer der Plagiator ist. Das wäre Wissenschaftsredlichkeit nach unterschiedlichen Maßstäben. BSZ Müssen akademische Fehltritte härter bestraft werden oder sollte der Gesetzgeber lieber über eine Verjährung nachdenken?
Rieble Selbstverständlich nicht. Promotion ist keine Pflicht, sondern Kür. Wenn wir alle Maßstäbe aufgeben, sind wir in einer wissenschaftlichen Bananenrepublik. Die strengen Standards für Studenten dürfen bei Vorbildern wie Wissenschaftsministern und Professoren, die übrigens auch häufig abschreiben, nicht außen vor gelassen werden. BSZ Eine Studie kam zu dem Ergebnis, dass in zwei von drei Fällen Artikel aus Wissenschaftsjournalen nicht aufgrund von Irrtümern, sondern wegen wissenschaftlichen Fehlverhaltens widerrufen werden.
Rieble Da passiert in der Tat vieles. Es geht dabei um harten wissenschaftlichen Betrug. Umgekehrt ist aber das Erstaunliche: Die ganzen Plagiate werden nicht zurückgezogen. Ein Rechtsprofessor aus Köln hat ein Juristentagsgutachten von einem seiner Schüler abgeliefert, das bis heute im Umlauf ist und nicht zurückgezogen wird. BSZ Sogar in von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Publikationen wurden Beiträge wegen Betrugs widerrufenen. Wie können sich Gutachter vor geschönten Texten schützen?
Rieble Bei Fälschungen ist es schwer: Da in der Wissenschaft das Prinzip des Grundvertrauens gilt, bleibt sie für Fälschungen und Plagiate anfällig. Wenn aber Täter etwas ernsthafter abgestraft würden, hätte das genug Abschreckungseffekt. Weil aber wenig sanktioniert wird und abschreibende Professoren nur eine geheime Rüge bekommen, greift dieser nicht. BSZ Entstehen Plagiate möglicherweise auch durch den Druck in der Wissenschaftskultur, möglichst viel und in kurzer Zeit veröffentlichen zu müssen?
Rieble Einerseits ist dieser rein quantitätsbezogene Publikationsdruck unsinnig, aber auf der anderen Seite muss man trotzdem schon substanzielle Leistungen verlangen. Wissenschaft darf nicht zur Kuschelecke des öffentlichen Dienstes geraten. BSZ Ist der Ruf der Wissenschaft durch die vielen Affären dauerhaft beschädigt?
Rieble Das ist gespalten zu sehen: Eine Öffentlichkeitserregung kommt und geht. Mittel- und langfristig gibt es aber eine ganze Reihe derjenigen, bei denen sich eine schwere Enttäuschung breitmacht. Deswegen müsste man umso schneller und beherzter eingreifen, wenn man sieht, da zeichnet sich ein Vertrauensverlust ab. BSZ Im Herbst 2012 wurde das Habilitationsverfahren des LMU-Mediziners Helmut Arbogasts anonymen Fälschungsvorwürfen ausgesetzt. Wie versucht ihre Uni wissenschaftlicher Unredlichkeit vorzubeugen?
Rieble Es gibt an der LMU einen Ombudsmann für wissenschaftliches Fehlverhalten. Das halte ich aber persönlich für ziemlich verlogen: Einerseits werden zwar unberechtigte Vorwürfe schonend rausgefiltert, andererseits werden auch berechtigte Vorwürfe unter den Teppich gekehrt. Daneben gibt es unterschiedliche Kurse und Richtlinienkataloge. Leute wissen aber doch ganz genau, was Abschreiben und was selber schreiben ist. Das sind doch alles nur Ausreden. BSZ Haben Sie eine Plagiatssoftware auf Ihrem Computer?
Rieble Nein, die brauche ich nicht. Ich kenne meine Doktoranden und merke im Gespräch, ob sie selber arbeiten. Der Doktorrand, der betrügen will, jagt seine Arbeit durch alle zehn bis zwölf Plagiatssuchprogramme und ändert die gefundenen Stellen. Soll ich mich an diesem Wettrüsten beteiligen? Dazu habe ich keine Lust (lacht). (Interview: David Lohmann)

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