Bayern forscht

Perücke muss sein: Zumindest optisch machen britische Richter im Vergleich zu deutschen Kollegen einfach mehr her. (Foto: Supreme Court of the United Kingdom)

20.07.2012

"Die Mörderin hat sehr weise gehandelt"

Eine Tagung in Regensburg vergleicht die Vor- und Nachteile unterschiedlicher Rechtskulturen

Ein Büro. Hinterm Schreibtisch der Richter, ohne Talar, im Hemd. Davor sitzt der Angeklagte. Ihm wird vorgeworfen, eine schwangere Hausangestellte die Treppe hin-untergeschubst zu haben, die Frau hat eine Fehlgeburt erlitten, sie klagt den Mann an, daran schuld zu sein. Direkt daneben sitzen: der Mann der Klägerin, die Frau des Angeklagten, sowie wechselnde Zeugen und Polizisten. Kein Anwalt, jeder vertritt sich selbst. Und manchmal schreien alle durcheinander, bis der Richter dann wieder den größten Schreier rausschmeißt. Dennoch, selbst in diesem großen Palaver schält sich am Ende eine durchaus sinnvolle Rechtsfindung heraus, auch wenn sich das Recht nicht hundertprozentig mit der Wahrheit deckt.
Die Szene stammt aus dem mehrfach preisgekrönten Film „Nader und Simin“, und dass sie in Teheran spielt, bestätigt natürlich sämtliche Vorurteile gegenüber dem Orient: emotionales Durcheinanderreden wie auf dem Basar statt wohlgeordnetem Verfahren und kühl-rationaler Beweisaufnahme. Dass diese Dichotomie ein Klischee ist, beweist nicht nur der unvermutet nachvollziehbare Ausgang des Palavers. Auch ein zweitägiger Juristenkongress an der Universität Regensburg hat jetzt ergeben, dass das gesprochene Wort im Gerichtssaal zu Unrecht unter den Generalverdacht der Unzuverlässigkeit und Emotionsgeladenheit gestellt wird. Unter dem Titel „Die Mündlichkeit im Rechtsleben“ hatte der Arbeitskreis Sprache und Recht der Uni Regensburg zu seiner vierten internationalen und interdisziplinären Tagung geladen.
Richtig spannend wurde es im Großen Sitzungssaal der Regensburger Uni als drei Strafverteidiger zu einem simulierten Plädoyer in einem Musterfall sozusagen gegeneinander antraten. Der Regensburger Strafrechtler Tonio Walter hatte den Fall zuvor kurz dargelegt: eine Frau hat ihren Mann mit mehreren Schüssen getötet. Vorausgegangen war ein jahrzehntelanges Martyrium der Frau – kurzum: ein ziemlich klarer Fall von dem, was man im deutschen Recht als Tyrannenmord bezeichnet. Dazu wurden nun drei Plädoyers gehalten: ein deutsches, ein englisches und ein französisches, gefolgt jeweils von einer sprachwissenschaftlichen Analyse. Die dabei zutage tretenden Unterschiede waren frappierend.
„Strafen heißt absichtlich ein Übel zufügen. Wer in diesem Sinne strafen will, muss sich eines höheren Auftrags zuversichtlich bewusst sein.“ Der Regensburger Strafrechtler Jan Bockemühl operierte in seinem Plädoyer unter anderem mit einem Zitat des Juristen Gustav Radbruch. Die Tat seiner Mandantin rekonstruierte Bocke- mühl so: Nachdem sich die Frau vorübergehend von dem Mann getrennt hätte, habe ihr dieser für den Wiederholungsfall damit gedroht, den gemeinsamen Töchtern etwas anzutun. Von staatlicher Seite habe die Angeklagte „keinerlei Hilfe zu erwarten“ gehabt. Dementsprechend habe seine Mandantin keine andere Alternative gehabt als „die finale Trennung“ von ihrem Mann. Bockemühl forderte Freispruch und Entschädigung für die U-Haft.
Allerdings bemängelte die Sprachwissenschaftlerin Gabriele Klocke anschließend eine gewisse Verhaltenheit Bockemühls: von großer Empathie sei seine Verteidigungsrede nicht geprägt gewesen; immerhin habe er durchgehend von „meiner Mandantin“ gesprochen und nie von der „Angeklagten“. Die Kritik Klockes wurde nachvollziehbar, als anschließend His Honour Judge Owen Davis aus London mit Perücke und weißem Stehkragen in den Ring trat und die Angeklagte auf englisch verteidigte. Da fielen Sätze wie: „She was doing her best“, und: „Look at the wisdom of that woman!“ Die „Weisheit“ einer Frau zu preisen, die ihren Mann getötet hat, wäre in einem deutschen Gerichtssaal undenkbar.
Hinter diesem flammenden Plädoyer kaum zurück blieb Philippe Greciano, Avocat à la Cour d’Appel de Paris. Günther Ruckdäschel, Präsident des Regensburger Landgerichts, attestierte dem französischen Strafrechtsspezialisten: „Ich habe von Ihrem (auf französisch gehaltenen) Plädoyer zwar kein Wort verstanden, aber ich habe Ihnen jedes Wort geglaubt!“ Gleichzeitig verteidigte Ruckdäschel Jan Bockemühl gegen die Kritik, sein Plädoyer sei zu verhalten gewesen. Das habe wohl an der simulierten Situation gelegen, im Gerichtssaal komme kaum Langeweile auf, wenn Bockemühl plädiere. Dieser selbst nannte einen weiteren Grund: Für die Tagung habe er sein Plädoyer vorab schriftlich fixieren müssen, was er in der Praxis nie tue: „Ein Plädoyer schriftlich vorlegen ist eine Zumutung!“ Womit er nochmal bewies: Das gesprochene Wort, die improvisierte mündliche Rede ist auch im deutschen Recht ein entscheidender Faktor. (Florian Sendtner)

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