Geschichte(n): 100 Jahre Bayern

Ein Kranz und ein Foto von Kurt Eisner: Am 8. November 1918 proklamierte er den Freistaat Bayern. Er wurde 1919 in München erschossen. (Foto: dpa)

06.04.2018

Ein bayerischer Held

Der Freistaat Bayern wird hundert – doch sein Begründer, der Sozialdemokrat Kurt Eisner, war für die CSU lange Zeit eine Unperson

Hundert Jahre Freistaat! – „Wir feiern Bayern“ heißt die regierungsamtliche Parole 2018. Der Haken an der Sache ist nur der, dass der Freistaat 1918 nicht von der CSU aus der Taufe gehoben wurde, denn die gab es damals noch nicht. Es war auch nicht die Bayerische Volkspartei (BVP), die mehr oder weniger als Vorgängerpartei der CSU gilt. Tatsächlich wurde die BVP im November 1918 als Gegenreaktion zur Ausrufung des Freistaats gegründet. Die Begeisterung über das Jubiläum hält sich bei vielen CSU-lern in Grenzen. Proklamiert wurde der Freistaat Bayern in der Nacht vom 7. auf den 8. November 1918 von Kurt Eisner, einem Sozialdemokraten, der aus der SPD ausgetreten war, weil die ihm zu rechts war. Vor allem störte Kurt Eisner an seiner Partei, der SPD, dass sie 1914 vor König und Kaiser eingeknickt war und nun schon vier lange Jahre in deren Krieg mitmarschierte. Nichts war Kurt Eisner so verhasst wie Nationalismus und Krieg, und damit traf er 1918 den Nerv der Bayern. „Die Dynastie Wittelsbach ist abgesetzt. Hoch die Republik!“, las man am 8. November 1918 an den Plakatwänden, Unterschrift: Kurt Eisner.

Die Anti-Eisner-Front in der CSU bröckelt. Nur Söder mag ihn nicht loben.

Ohne das beherzte Zupacken von Kurt Eisner wäre Bayern womöglich heute noch eine Monarchie. Und das hieße, dass das Amt des Ministerpräsidenten genauso unwichtig wäre, wie es das bis zum 8. November 1918 war. Bis dahin war der bayerische Ministerpräsident der Büttel des Königs und nicht groß der Rede wert; in der breiten Bevölkerung war sein Name unbekannt.

Kurt Eisner rief also nicht nur den Freistaat Bayern aus, sondern er schuf auch des Amt des bayerischen Ministerpräsidenten in seiner heutigen Form. Grund genug für seinen designierten Nachfolger hundert Jahre danach, einen Satz zu Kurt Eisner zu verlieren, könnte man meinen. Nachfrage bei der Pressestelle von Bayerns Finanzminister und Regierungschef in spe Markus Söder – Antwort: Söder äußert sich nicht. Nachfrage: Ist mit dieser Nicht-Antwort Söders Verhältnis zu Eisner gültig umrissen? Die Pressestelle: Nein, auch das nicht. Es gibt nur einfach kein Statement von Söder zu Eisner. Man darf gespannt sein, ob sich der künftige bayerische Ministerpräsident im Jubeljahr noch etwas einfallen lässt. Für den 8. November ist ein Staatsakt angesetzt, an dem er ja doch teilnehmen wird.

Denn immerhin: Die Anti-Eisner-Front innerhalb der CSU, auf die man sich jahrzehntelang verlassen konnte, sie bröckelt in letzter Zeit. Da fragte SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher im Mai 2017 pünktlich zu Kurt Eisners 150. Geburtstag die Staatsregierung, wie sie „die historische Rolle Kurt Eisners in der bayerischen und deutschen Demokratiegeschichte“ bewerte – und erhielt eine erstaunliche Antwort.

„Außerordentlich positiv“ werde Eisner von der Staatsregierung gesehen, hieß es da, und zwar nicht nur, was seine Rolle „bei der Beendigung des Ersten Weltkriegs, beim Ende der Monarchie und der Einführung einer demokratischen Verfasstheit in Bayern“ angehe, sondern auch „beim Bemühen, den künftigen deutschen republikanischen Bundesstaat föderal auszugestalten“. Man würdige nicht zuletzt Eisners „Bereitschaft, auch die (Mit-)Verantwortlichkeit des Deutschen Reiches beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges als Grundlage für eine neue Friedensordnung in Europa anzuerkennen“.

Die Antwort auf Rinderspachers Anfrage kam freilich nicht aus dem Finanz-, sondern aus dem Kultusministerium. Dort hatte im Lauf der Jahre doch jemand mitbekommen, dass es seit 2001 ein Standardwerk über Kurt Eisner gibt. Auf 650 Seiten hat der Münchner Historiker Bernhard Grau das Leben Kurt Eisners ausgebreitet, und er hat dabei alle in Frage kommenden Archive so gewissenhaft ausgeschöpft, dass das Zerrbild, das Eisners Feinde von ihm zeichneten („weltfremder Literat“ war noch das harmloseste Etikett, das man ihm anpappte), für alle Zeiten als Propaganda entlarvt ist. Kurzum, in Ludwig Spaenles Haus ist bekannt, dass man Kurt Eisner nicht mehr als „linken Spinner“ abtun kann, wie es bei der CSU seit eh und je Brauch war. Weil die historische Forschungslage schlicht nicht mehr zu ignorieren ist.

Auf den Stand der historischen Kenntnis beruft sich die Antwort des Kultusministeriums ausdrücklich, wenn sie von Eisner als einer „Symbolgestalt für aufgeklärt-demokratische Kräfte gegenüber den chauvinistisch-antisemitischen“ spricht. Konkret heißt es, dass Eisner „den Kampagnen des rassistischen Antisemitismus ausgesetzt“ war. Eisner wurde geschmäht und schließlich ermordet, weil er aus einer jüdischen Familie stammte (von der jüdischen Religion hatte er sich längst abgewandt).

Kultusminister Spaenle ist nicht das einzige Regierungsmitglied, das einen anderen Ton anschlägt, wenn es um die Revolution von 1918/19 geht. Auch Innenminister Joachim Herrmann ließ sich unlängst dazu hinreißen, „die Ausrufung der Republik vor hundert Jahren eine tiefe und positive Zäsur in der Geschichte Bayerns“ zu nennen. Das ist geradezu revolutionär gegenüber dem Nichtverhältnis, das die CSU bis vor Kurzem zur Geburtsstunde des Freistaats hatte. Eine ziemlich knifflige Sache: Einerseits stellt sich die CSU immer so dar, als sei sie identisch mit dem Freistaat. Andererseits kam die Proklamation dieses Freistaats in der bayerischen Schöpfungsgeschichte, wie sie die CSU erzählte, nie vor.

Eindrucksvolles Dokument dafür ist der Ausstellungskatalog Freistaat Bayern, der 1976 von der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung zusammen mit der Staatsregierung zu der gleichnamigen Wanderausstellung herausgebracht wurde. 224 jubelnde Seiten über den Freistaat, doch dessen Begründer sucht man vergebens. Im Kapitel „Daten aus der bayerischen Geschichte“ geht es nach König Ludwig II. weiter mit der Weißen Rose. Dafür schwadroniert der Historiker Benno Hubensteiner klagend von einer „großen Krise“, die 1918 über Bayern gekommen sei, und von „wirren Jahren“. Mit der „Krise“ meint er die Ausrufung des Freistaats.

Wirr war in Wahrheit nur einer: Benno Hubensteiner.
(Florian Sendtner)

Kommentare (1)

  1. HeGe am 10.08.2018
    Wie sehr sich unser FREISTAAT BAYERN in den vergangenen 25 Jahren verändert hat, lässt sich mit diesem Gedanken-Experiment belegen:
    Wäre es im Jahr 1993 möglich gewesen, dass die BAYERISCHE STAATSZEITUNG (im ersten Amtsjahr von Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber) solch einen Jubiläums-Artikel "Geschichte(n): 75 Jahre Bayern" veröffentlicht hätte?
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