Kommunales

Unabhängig von allen wirtschaftlichen Überlegungen: Die meisten bayerischen Klinikärzte fühlen sich keineswegs unausgelastet. (Foto: Bilderbox)

13.01.2012

„30 Prozent der Kliniken schreiben rote Zahlen“

Nicht alle finden den Vorschlag von Barmer-Chef Straub zur Schließung unrentabler Kliniken daneben

Mit seiner Äußerung, unrentable Kliniken zu schließen, hatte Christoph Straub, Chef der Barmer Ersatzkasse, ordentlich Salz in die Wunde der krankenhausbetreiber gelegt. Zwar ruderte der Funktionär nach teilweise heftigem Protest auf Bundesebene zurück – doch aus Bayern erfährt Straub auch Zustimmung.
„Wir leisten uns Strukturen, die größer und teurer sind als in anderen Ländern“, hatte Straub im Interview mit der Zeitung Die Welt gesagt. „Es gibt heute zu viele Krankenhäuser und vor allem zu viele Krankenhausbetten.“ Das saß. Später wollte Straub freilich nur so verstanden worden sein, dass er „Strukturänderungen und Kapazitätsabbau“ gefordert habe, aber eben keine generellen Schließungen.
Die erste heftige Replik auf den Vorstoß kam trotzdem – vom Vorstand der Deutschen Krankenhausgesellschaft. „Die Kliniken sind keineswegs die Kostentreiber im Gesundheitswesen, sondern schon ausgepresst wie eine Zitrone“, schimpfte Thomas Reumann. Straubs Forderung sei „völlig daneben“.
Zustimmung erhielt der Barmer-Chef allerdings vom Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung. „Das ist keine Einzelmeinung“, heißt es dort. Sprecher Florian Lanz verweist darauf, dass jedes fünfte Krankenhausbett in Deutschland leer stehe. Doch wie diese Betten abgebaut werden – also, ob dafür Kliniken geschlossen werden müssen – solle vor Ort entschieden werden.


Optimierte innere Abläufe


Bei der Bayerischen Krankenhausgesellschaft verweist man darauf, dass dieser Kapazitätsabbau ja schon seit einiger Zeit andauere. „Vor zehn Jahren hatten wir in Bayern noch 85 000 Betten, heute sind es gerade mal noch 73 000“, erläutert Geschäftsführer Siegfried Hasenbein. Und das alles sei trotz eines generellen Einwohnerzuwachses im Freistaat geschehen und obwohl auch die Patientenzahlen seit Jahren kontinuierlich steigen. Von wegen also fehlende Effizienz, oder?
Bayern ist hier kein Einzelfall, auch in anderen deutschen Ländern wurde massiv abgebaut. So weist die Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit darauf hin, dass es in der Hauptstadt 1991 noch 104 Krankenhäuser mit rund 39 900 Betten gegeben habe – 2010 nur noch 79 Kliniken mit etwa 19 800 Betten.
Verantwortlich dafür sei aber, das gibt Hasenbein zu, vor allem „der enorme technisch-medizinische Fortschritt“. Gerade bei leichteren operativen Eingriffen wie beispielsweise Mandel- oder Blinddarmoperationen könne man heute viel stärker minimalinvasiv vorgehen. Die Patienten brauchen deshalb nicht wie noch Ende der 1990er Jahre eine ganze Woche im Krankenhaus zu bleiben, sondern oft nur noch ein bis zwei Tage. „Auch haben viele Krankenhäuser ihre internen Abläufe optimiert“, berichtet Hasenbein. Früher wurde etwa ein Patient internistisch komplett untersucht und wenn dann klar war, dass eine Operation nötig sein würde, wären viele Tests in der Chirurgie wiederholt worden.
Auch kooperierten die Kliniken inzwischen viel stärker, das kleine Provinzkrankenhaus, das alles aber oft unzureichend vorhalte, sei inzwischen die Ausnahme, statt dessen dominiere die Scherpunktsetzung bei den einzelnen Behandlungsgebieten, Kompetenzzentren wurden gebildet. „Doch dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen, da stecken wir noch mittendrin“, gesteht der Geschäftsführer ein. Insofern habe Straub auch nicht völlig Unrecht.
Hasenbein freut sich sogar über einen speziellen Punkt, den der Barmer-Chef in seiner Kritik ansprach und der auch den Kliniken auf den Nägeln brennt, den diese aber nicht so gern selbst erwähnen – die unbedingt notwendige bessere Verzahnung von ambulanter und stationärer Behandlung. „Wenn wir das fordern, hat das immer ein G’schmäckle“, bedauert Hasenbein.
Langfristig führe jedoch kein Weg an einer stärkeren Verzahnung vorbei. Der Grund: Zum einen wird sich der Mangel an niedergelassenen Fachärzten aus demografischen Gründen weiter erhöhen, das heißt, die Kliniken werden immer öfter auch deren Arbeiten übernehmen müssen. Zum anderen mangelt es aber inzwischen auch in vielen Krankenhäusern an Fachärzten, die Kooperation mit den niedergelassenen Kollegen ist also unumgänglich.
Von den derzeit rund 360 bayerischen Krankenhäusern befinden sich nach Angaben des Verbandsgeschäftsführers 25 bis 30 Prozent in den roten Zahlen. Deutschlandweit waren es im vergangenen Jahr sogar 65 Prozent. „Dieser Prozentsatz war in den vergangenen Jahren rückläufig aber jetzt wird es wieder schlimmer“, klagt Hasenbein.
Verantwortlich dafür seien die neueren Gesetzte der schwarz-gelben Bundesregierung zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen. So sollen beispielsweise die Kosten, welche sich die Krankenhäuser von den Kassen zurückerstatten lassen dürfen, in diesem Jahr nur um maximal 1,48 Prozent steigen. „Wir führen derzeit Tarifverhandlungen mit der Ärztegewerkschaft Marburger Bund und denen schweben Gehaltserhöhungen von rund 9 Prozent vor“, rechnet der Chef des bayerischen Krankenhausverbands vor. Ähnliche Forderungen habe auch Verdi. Unterdessen kündigte der Marburger Bund Warnstreiks an mehreren Krankenhäusern an.


Bürger gegen Privatisierung


Zu den wichtigsten Betreibern von Krankenhäusern in Bayern gehören die Kommunen. 62 der 71 bayerischen Landkreise sind Eigner von Kliniken. Allerdings sind nicht alle besonders glücklich mit diesem Besitzstand, viele Landräte würden die Kostenfresser gern los werden. Dagegen wendet sich aber der Wille der Bevölkerung, die von einer Privatisierung meist nichts wissen wollen.
Die Landräte sind zu einem Drahtseilakt gezwungen: sparen und gleichzeitig die medizinische Versorgung stabilisieren und ausbauen. „Die Bemühungen der vor Ort Verantwortlichen muss aber auch durch die Politik unterstützt werden. Wenn Krankenhäuser mehr ambulante Leistungen erbringen sollen, müssen die Vergütungen dafür so ausgestaltet werden, dass die Krankenhäuser im Vergleich zu niedergelassenen Ärzten nicht drauf zahlen“, meint Jakob Kreidl, der Präsident des Bayerischen Landkreistags.
Nachdrücklich gewarnt werden müsse nach Kreidls Ansicht „vor der Vorstellung auf Bundesebene, dass die rein betriebswirtschaftliche Betrachtung des Gesundheitsbereichs zu sinnvollen Strukturanpassungen führt“. Gerade im ländlichen Raum greife „die Grundregeln des Wettbewerbs und der betriebswirtschaftlichen Effizienz nicht in der idealtypischen Weise“. Der Verbandschef nennt ein anschauliches Beispiel: „Die Vorhaltekosten für eine OP-Bereitschaft, sieben Tage die Woche, 24 Stunden, mit zwei Chirurgen, zwei Anästhesisten und mehreren OP-Schwestern können mit vielleicht zwei Notfall-OP’s pro Woche im ländlichen Raum nicht refinanziert werden.
„Wir haben auf dem Land keine Überversorgung, zum Teil sogar eine Unterversorgung“, sagt auch Irene Vorholz vom Deutschen Landkreistag. Die Menschen müssten in zumutbarer Nähe ärztliche Hilfe finden, das sei auch mit Blick auf die immer älter werdende Gesellschaft wichtig. „Die Versorgungssicherheit muss überall gewährleistet bleiben, sonst gibt es eine Zwei-Klassen-Versorgung auf dem Land und in der Stadt.“


„Schatullen öffnen“


Beim Verband der Krankenkassen spielt man derzeit den Ball ohnehin mit voller Wucht zurück ins gegnerische Feld. Die Kassen sollten nicht an den Kliniken sparen, sondern „ihre Schatullen öffnen. Statt der ursprünglich prognostizierten Milliardendefizite hätten sich Überschüsse bei den Kassen von 3,5 Milliarden Euro angehäuft. „Da die Patienten langsam unter dem Mangel an persönlicher Zuwendung leiden, müsste das Geld in das Personal gesteckt werden“, fordert Florian Lanz.
In die Debatte hat sich jetzt auch die Verbraucherzentrale eingeschaltet. „Die Patienten werden zum Teil zu schnell eingewiesen, insofern gibt es zu viele Betten und möglicherweise auch zu viele Kliniken“, sagte der Gesundheitsexperte der Verbraucherzentrale, Christoph Kranich. Es seien Fälle bekannt, in denen Krankenhäuser niedergelassenen Ärzten Prämien für Einweisungen zahlten. Kranich erinnerte an die Risiken einer Krankenhauseinweisung. „Das Krankenhaus macht ja auch krank“, sagte er mit Blick etwa auf Krankenhauskeime, an denen bis zu 15 000 Menschen jährlich sterben.
Allerdings dürfe die Alternative zu weniger Einweisungen nicht sein, dass Kranke ohne Behandlung zu Hause lägen. Die Krankenkassen müssten die ambulanten Pflegedienste üppiger ausstatten. Dies könnten sie sich leisten, wenn weniger Menschen ins Krankenhaus kämen. Die Verzahnung zwischen stationärer und ambulanter Versorgung müsse besser werden, fügte der Experte hinzu. (André Paul)

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