Kommunales

Die Finanzkrise stellt sämtliche Gewissheiten in den Rathäusern infrage. (Foto: Bilderbox)

19.02.2010

Alles wird möglich

Je knapper das Geld, desto kreativer müssen Kommunen denken. Neueste Idee: eine zweite Parlamentskammer speziell für Städte und Gemeinden

Wer auf schillernde Akteure, provokante Thesen und dramatische Entwicklungen Wert legte, war bisher mit einem Blick in deutsche Rathäuser und Landratsämter schlecht beraten. Der Konsens wurde hochgehalten. Doch diese Zeiten sind, so scheint es, vorbei. Auch Bürgermeister sind inzwischen für jede Art von Überraschung gut.
Ein Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), der die Abschaffung der Gewerbesteuer fordert, ein Kieler Oberbürgermeister Torsten Albig (SPD), der die Bundesländer zur Disposition stellt – was, ganz nebenbei, glatter Verfassungsbruch wäre –, dazu speziell in Bayern das vom Vorsitzenden des Wirtschaftsausschusses im Landtag, Erwin Huber (CSU), beschworene Ende der regionalen Planungsverbände, immer neue Reibereien zwischen den einzelnen Spitzenverbänden und schließlich, als erster, aber bestimmt nicht als letzter, ein Fürther Oberbürgermeister Thomas Jung (SPD), der wegen der Bezirksumlage vor Gericht ziehen will: Es gibt momentan in der kommunalen Welt nichts, was unmöglich erscheint. Institutionen bröckeln, Loyalitäten lösen sich auf, man ist sich unter seinem Kirchturm nur noch selbst der nächste. Angestoßen vom Memminger Oberbürgermeister Ivo Holzinger, dem Sprecher der sozialdemokratischen Kommunalpolitiker, gewinnt der Ruf nach einer neuen zweiten Parlamentskammer als spezieller Interessenvertretung der Kreise, Städte und Gemeinden zunehmend Gehör.
Christine Kamm, die kommunalpolitische Sprecherin der Grünen im bayerischen Landtag, stößt sich vor allem an der fehlenden Transparenz, wie sie derzeit von den kommunalen Spitzenverbänden praktiziert wird. Schluss müsse vor allem sein mit den „Mauscheleien im Hinterzimmer“ zwischen den Verbandsfürsten und der Staatsregierung. Das Zustandekommen des aktuellen kommunalen Finanzausgleichs im vergangenen Herbst ist für sie ein gutes Beispiel. Den hatten Finanzminister Georg Fahrenschon (CSU) und Vertreter der kommunalen Spitzenverbände unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit miteinander ausgehandelt und anschließend, wider besseren Wissens, als gutes Ergebnis verkauft. „Die kommunalen Spitzenverbände dürfen die Städte und Gemeinden nicht länger über einen Kamm scheren“, fordert Kamm, „wir brauchen eine viel differenziertere Sicht auf die einzelnen Orte und eine Diskussion über deren tatsächlichen Bedarf.“ Leider fände, so Kamm, momentan eher das Gegenteil statt, der Staatsregierung sei vor allem daran gelegen, in den Städten Ruhe zu erhalten. So würden nach ihrer Beobachtung die Bezirksregierungen auch Haushalte genehmigen, die noch vor einem Jahr beanstandet worden wären.
In Bayern eine zweite Parlamentskammer als Vertretung der Kommunen – auf dem Weg der Verfassungsänderung – zu schaffen, wäre für den Verfassungsrechtler Peter Häberle, Professor an der Universität Bayreuth, „sinnvoll“ und „einen Versuch wert“. Diese Kammer sollte in allen Fragen, welche die Kommunen betreffen, gehört werden. Allerdings dürfte sie nur beratende Funktion haben, ein Veto gegenüber Entscheidungen des Landtags wäre der falsche Weg und „das würde die Bevölkerung auch nicht wollen“.
Josef Deimer (CSU) war 35 Jahre Oberbürgermeister von Landshut, 30 Jahre Vorsitzender des bayerischen Städtetags und ein Befürworter der Beibehaltung des Senats. „Ein Vorteil dieses Gremiums war zum Beispiel, dass es die Möglichkeit zu einem Vorab-Konsens zwischen den unterschiedlichen Verbänden und Interessengruppen gab“, erinnert er sich. „Das fehlt heute.“ Die mögliche neue zweite Kammer aber nur als eine Interessenvertretung der Kommunen zu konzipieren, davon rät er ab. „Das wäre Blödsinn. Wenn, dann gehören da alle heute in Bayern relevanten gesellschaftlichen Gruppen rein, auch solche, die früher keinen Platz fanden wie etwa der Bund Naturschutz.“ (André Paul)

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