Kommunales

Über diese Linksabbiegespur, die nach einem Tunnel an der Bundesstraße 12 Staus im Berufsverkehr vermeidet, erregen sich derzeit die Gemüter in Passau. Das staatliche Bauamt will das Provisorium entfernen. Die Lokalpolitik stemmt sich dagegen. (Foto: Mediendenk)

31.01.2014

Auf der Suche nach der staufreien Stadt

Passau ist Bayerns heimliche Kabaretthauptstadt – daran fühlt man sich angesichts mancher Kandidaten im Wahlkampf gelegentlich erinnert

In sechs Wochen, am 16. März, stehen in Bayern Kommunalwahlen an. In einer Serie stellt die Staatszeitung die Bewerber für das Amt des Oberbürgermeisters und die Themen und Probleme in den wichtigsten Städten des Freistaats vor. In Passau dominiert die Bewältigung der Hochwasserschäden vom Sommer 2013.
Was die meisten immer wieder vergessen: Bayerns anmutige Dreiflüssestadt im südöstlichsten Zipfel des Landes wird seit der letzten Kommunalwahl 2008 nicht Schwarz, sondern Rot regiert. Wie München, Nürnberg und Würzburg. Es passt zum großstädtischen Hochmut der Passauer. Vereint doch ihre Stadt wie keine andere in Bayern alle Ingredienzien: Bischofs- und Universitätssitz, Hafen- und Residenzstadt, eine eigene Burg. Gemessen an der Einwohnerzahl rangiert Passau hinter Rosenheim, Kempten und Schweinfurt. Die offizielle Einwohnerzahl sank deutlich unter 50 000, trotz des neuen Rekords von derzeit 11 000 Studenten. Vermutlich haben die wenigsten Hochschüler ihren Studienort als Erstwohnsitz gemeldet.
Sozialdemokrat Jürgen Dupper (52) – ein Schwergewicht auf der Waage wie im Rathaus – hat 2008 nach einer Stichwahl (die er mit 61 Prozent gewann) das Zepter über diese lebendige Provinzmetropole bekommen. Er konnte nicht ahnen, dass seine erste Amtszeit in den Geschichtsbüchern mit einer Naturkatstrophe verbunden werden wird: dem verheerendsten Hochwasser, das die Stadt seit dem Mittelalter erlebt hat. Während unter dem CSU-Vorgänger ein umstrittener Stadtteil mit Einkaufszentrum, Hochhaus und Schulden wuchsen, verzichtete Dupper darauf, sich städtebauliche Denkmäler zu setzen. Weniger Schulden, mehr Vernunft, scheint seine Devise zu sein. Kritiker behaupten jetzt, er habe zu wenig vorangetrieben. Bewahrer der Barockstadt sind froh darum. „Den stößt keiner so schnell vom Thron“, sagen sie über den roten Riesen an Stammtischen. Dort ist auch das Hochwasser nach wie vor ein Thema. Die Beseitigung der Schäden werden Bürger und Kommune noch Jahre beschäftigen.
Im März könnte es trotzdem erneut zur Stichwahl kommen. An der Stärke des neuen Gegenspielers von der CSU liegt es nicht, sondern an der Vielzahl der Bewerber. Vier weitere Oberbürgermeisterkandidaten treten an: von der ÖDP Urban Mangold, der Vizebürgermeister; von den Grünen Karl Synek, Stadtrat und Finanzbeamter; von den Piraten Jiri Cihula, im Alltag Wirt einer Burgschänke; und von der Passauer Liste (Uschi Karl-Hellwing, Stadträtin und frühpensionierte Lehrerin.

Schmuck im Stil der offiziellen Amtskette

Der „überraschende Schachzug“, wie die CSU ihre Kandidatin ankündigte, ist dieser: Duppers Gegenspieler ist eine politische Quereinsteigerin. Rechtsanwältin Rosemarie Weber, 57 Jahre alt, Spezialistin für Scheidungsrecht, Vize-Vorsitzende der Festspiele „Europäische Wochen“. In der Kommunalpolitik ist sie relativ unerfahren, tritt dafür aber öffentlich umso auffälliger auf. Modische Kostüme in Kardinalsrot oder Königsblau sind ihr persönlicher Stil. Sie schmückt sich gern mit schweren, silbernen Halsketten, die einer offiziellen Amtskette verdächtig ähnlich sind. Selbstbewusst verkündet Weber, sie werde im ersten Anlauf „35 Prozent“ schaffen. Sinn für Humor hat sie auch. „Rosemarie wer?“ greift sie das Zitat eines Passauer Satire-Blogs auf, der sich über die relativ unbekannte CSU-Kandidatin lustig machen wollte. Bis dato war die Juristin auch im Netz ein völlig unbeschriebenes Blatt. „Rosemarie wer?“ prangt es jetzt als Logo auf ihren Flugblättern und Veranstaltungsplakaten.
Der amtierende ÖDP-Vizebürgermeister Urban Mangold tritt zum zweiten Mal an. Er ist kein Öko-Revoluzzer, eher eine ehrliche Haut, die für Transparenz in der Politik und um den Schutz des historischen Stadtbildes kämpft. Als Mitstreiter hat er sich den pensionierten obersten bayerischen Denkmalpfleger, Professor Egon Johannes Greipl, ins Boot geholt. Dieser steht auf Platz 9 der ÖDP-Liste.
Dass die Dreiflüssestadt ein guter Nährboden für freche Kabarettisten und unbequeme Journalisten ist, spiegelt sich auch in den Kandidatenlisten wider. Die Linken führt Hermann Schmidt an, ein Redakteur im Ruhestand, der einst Feuilletonschreiber der Heimatzeitung war. Eine andere bekannte Feder von Passau, Satire-Blogger Karl-Heinz-Hasenöhrl, will offenbar die Fronten wechseln und das Rathaus von innen beleuchten. Als Parteiloser kandidiert er für „Starkes Passau/FDP“. Die Liberalen hatten in Passau einen Sonderstatus durch eine angesehene Leitfigur, Max Stadler. Der Bundestagsabgeordnete ist im Mai des Vorjahres an einem plötzlichen Herzversagen gestorben.

Rechtspopulisten locken mit Freibier


Die Wahlkampfthemen drehen sich – vom alles überlagernden Hochwasserproblem mal abgesehen – wie seit Jahrzehnten um Lösungen für den knappen Verkehrsraum. Autofahrer, Radfahrer, Fußgänger, in Reihenfolge ihrer Bedeutung, sollen gefahrlos, staufrei und für die Anwohner umweltverträglich zwischen den Stadtteilen, zwischen sechs Ufern pendeln können. Mangels Umgehungsstraßen – sie würden den grünen Gürtel um Passau zerstören – kommen Durchgangs- und Schwerlastverkehr hinzu. Die großen Lösungen – etwa einen Autotunnel unter den Flüssen – sind offenbar unbezahlbar. Aktuell ist wieder ein Tunnel im Gespräch, der einen Bergrücken durchstoßen soll. Die letzten Tunnelpläne hat ein Bürgerentscheid im vorigen April mit deutlicher Mehrheit verworfen. Diese Röhre sollte ausschließlich Fußgänger und Radfahrer bedienen, damit für die Autofahrer mehr Platz bleibt, vor einer Kreuzung eine Bundesstraße aufgeweitet werden kann.
Obwohl das Veto der bayerischen Landesdenkmalpfleger unverrückbar ist, wird in der Stadt zum wiederholten Mal der Ruf nach einer Seilbahn laut. Die Gondeln sollen die Altstadt mit der Burg, der Veste Oberhaus, verbinden. Fast alle Parteien freunden sich erneut mit diesem Thema an. Eine Erklärung liegt auf der Hand: Keiner möchte es sich im Wahlkampf mit der einflussreichen Passauer Neuen Presse verscherzen. Denn die Seilbahn, dass muss man wissen, ist ein brennender Wunsch der Verlegerfamilie Diekmann, die in Kooperation mit einer Münchner Brauerei am Oberhausberg ein ansehnliches Panoramarestaurant eröffnet hat.
Der weitere Wahlkampf dürfte spannend werden: Zehn Parteien und Gruppierungen, so viele wie noch nie, treten am 15. März in Passau an. Kleinparteien müssen bis zum 3. Februar Unterstützerunterschriften sammeln. Die Not muss groß sein, denn der Stimmenfang treibt seltsame Blüten. Die Liste Pro Passau, entstanden aus dem Dunstkreis der rechtspopulistischen Republikaner, spendiert für die ersten 250 Unterschriften Freibier. Ein Flugblatt, das in manchen Briefkästen landete, wirbt für den Handel: Gegen Unterschrift gibt es ein Biermarkerl, gültig für eine Maß Bier beim nächsten Volksfest.“ (Hubert Denk)

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