Kommunales

In den nächsten fünf Jahren, das prognostiziert die Kassenzahnärztliche Vereinigung Bayerns, werden 500 Praxen im Freistaat geschlossen. (Foto: dpa)

24.10.2014

Bald droht auch ein Zahnarztmangel

Nach den Hausärzten warnt nun der nächste Medizinerverband mit rapide sinkender Versorgungsleistung vor allem im ländlichen Raum

Dass in Bayern in einer nicht allzu fernen Zukunft ein Mangel ans Hausärzten droht – gerade im ländlichen Raum –, davor warnen Medizinerverbände ja bereits länger und die Gesundheitspolitiker versuchen sich inzwischen an mehr oder weniger erfolgversprechenden Gegenmaßnahmen. Aber wenigstens die zahnmedizinische Versorgung, so dachten Patienten bisher in Bayerwald, Allgäu und Oberfranken, die müsste doch gesichert sein. Zahnärzte gibt es doch wie Sand am Meer, oder?
Noch, möchte man antworten, noch beträgt der Versorgungsgrad in Bayern überall über 100 Prozent – aber nicht mehr lange, zumindest nach Aussage von Stefan Böhm, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Bayerns (KZVB). Seitens seines Verbands schlug der Lobbyist jetzt Alarm und malte ein Szenario des dramatischen Zahnärztemangels in weiten Teilen des Freistaats. Laut einer eignen Umfrage des KZVB wollen in den nächsten fünf Jahren nahezu alle der heute über 60-jährigen Mitglieder in Rente gehen – das entspricht etwa 1800 Zahnärzten. „Nun kommen zwar genügend junge Kollegen nach“, erläutert Böhm, „aber es ist die Frage, ob diese zum einen eine eigne Praxis übernehmen wollen und ob sie darüber hinaus im ländlichen Raum praktizieren wollen. Dort wird es nämlich für sie immer unattraktiver.“ Schon heute kämen in manchen Städten Niederbayerns auf einen Zahnarzt rund 1400 Patienten, in München seien es etwa halb so viele.

Selbstständigkeit wird unbeliebter bei Berufsanfängern


Für diesen Kassandraruf spricht beispielsweise, dass das Interesse an einer Selbstständigkeit immer weiter abnimmt. Allein in den vergangenen fünf Jahren hat sich nämlich die Zahl der angestellten Zahnärzte um 150 auf heute 1500 erhöht. Da die Gesamtzahl von 9900 in etwa gleich geblieben ist, gibt es demzufolge noch rund 8400 selbstständige niedergelassene Zahnärzte. Von den glaubt mittlerweile mehr als jeder Vierte, dass er später mal keinen Nachfolger für seine Praxis finden wird. Das würde bedeuten, dass bis zum Ende des Jahrzehnts fast 500 bayerische Zahnarztpraxen schließen.
Schuld ist aus Sicht des Verbands zum einen die schlechte Verdienstmöglichkeit in den kleinen Dörfern, wo es eben nur wenige gut situierte Privatpatienten gibt – die das Gros der Einnahmen bringen –, dafür umso mehr Kassenpatienten. Bis zu 80 Prozent der Menschen sind in manchen Landstrichen bei der AOK versichert. Und denen haben Bundespolitiker aller Parteien in den vergangenen Jahren fast alles zusammengestrichen, was über eine reine Schmerzbehandlung hinausgeht. Kronen beispielsweise kosten längst extra. Zusatzversicherungen, die dies abdecken, sind entweder mit happigen Gebühren verbunden oder beinhalten so viele Vertragshintertürchen, dass der Patient erst mal jahrelang nur einzahlen darf, aber keine Leistung sieht. In Konsequenz verzichten viele einfache Arbeitnehmer und laufen eben mit einer Lücke im Gebiss rum – und dem Zahnarzt brechen die lukrativen Zusatz-Verdienstmöglichkeiten weg.
Dezent weist Stefan Böhm allerdings auch darauf hin, dass vor allem die Jung-Mediziner mittlerweile eine andere Work-Life-Balance anstreben als ihre älteren Berufskollegen. „Die wollen geregelte Arbeitszeiten und ausreichend Freizeit und sich nicht mehr für eine Praxis krummbuckeln“, bedauert der Vizevorsitzende, selbst noch Vertreter einer eher traditionellen Arbeitsauffassung. Obendrein würden die Banken bei Krediten für die notwendigen Modernisierung von Praxen erbarmungslos auf den Cash-Flow schauen. Auch seien die Lebenspartner von Medizinern nicht mehr bereit, eigene Karrierewünsche aufgrund eines Landlebens zurückzustellen.Mancher bayerischen Zahnarztgattin ist es eben außerhalb von München nur schrecklich fad.

"Mehr Geld ins System pumpen"


Nun könnte man die Niederlassung natürlich gezielt lenken. Der Aufkauf von Praxen durch die öffentliche Hand beispielsweise wäre eine erfolgversprechende Methode. Doch für Zahnärzte gilt – anders als für Ärzte – derzeit noch keine Niederlassungsbeschränkung, es gibt keine gesperrten Bereiche. Dass die Politik hier entsprechend eingreift, das freilich fürchten die Zahnärzte. Sich niederlassen wo sie wollen, das möchten sie schon gern beibehalten. Auch andere Modelle einer gezielten Lenkung – etwa die Anstellung von Ärzten bei der Kommune, wie es eine österreichische oder skandinavische Gemeinden praktizieren oder Ärztehäuser nach dem Vorbild der Polikliniken in der ehemaligen DDR – lehnt der Verband strikt ab. „Ein bei der Kommune angestellter Zahnarzt hat keinen Antrieb, deutlich länger als seine regulär vereinbarte Arbeitszeit zu bleiben, sondern wird in der Regel Dienst nach Vorschrift machen“, warnt KZVB-Sprecher Leo Hofmeier. Dass etwa die tausenden Krankenhausärzte an kommunalen Kliniken ein durchaus anspruchsvolleres Arbeitsethos praktizieren, wird bei dieser Sicht der Dinge ebenso ausgeklammert wie der Eid, den schließlich auch die Zahnärzte vor Berufsbeginn geschworen haben. „Unsere Freiberuflichkeit ist uns heilig“, bilanziert der Verbandssprecher.
Nein, beim Nachdenken über Lösungsmodelle sind die Zahnärzte dann doch zielgerichtet auf den für sie bequemsten Vorschlag gestoßen: „Es muss deutlich mehr Geld ins System fließen“, so Stefan Böhm. Beitragserhöhungen für die gesetzlich Versicherten müsse dass nun nicht gleich bedeuten. Es würde schon ausreichen, wenn gerade die AOK ihre Millionengewinne aus den vergangenen Jahren wieder ins System zurückführen würde. Dass die AOK dass mit den Gewinnen nun freilich wieder ganz anders sieht, dokumentiert nur, dass wohl auch in den nächsten Jahren die einzige Konstante im deutschen Gesundheitssystem konsequent weiter gelten wird: höhere Ausgaben – sinkende Leistungen.
(André Paul)

Kommentare (1)

  1. KZV am 17.03.2015
    Die Funktionäre haben saftige Gehälter. Je mehr Zahnärzte es gibt, umso mehr Beiträge an KZV und Kammer entrichten sie. Die Funktionäre fühlen sich wie Maden im Speck. Geht die Zahl der Zahnärzte Zurück, kommen weniger Beiträge rein und die Maden fühlen sich nicht mehr wohl.
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