Erst waren es nur ein paar Hundert, zuletzt demonstrierten auf der Veranstaltung von Pegida (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes) in Dresden mehr als 15 000 Menschen. Inzwischen gibt es auch Ableger in anderen Städten. Die meisten Politiker ergehen sich noch in Beschimpfungen oder wollen das Phänomen totschweigen. Aber Wissenschaftler wie der Dresdner Politikprofessor Werner Patzelt warnen, dass sich hier eine neue bürgerliche Protestbewegung jenseits rechtsradikaler Milieus formiert.
BSZ Herr Professor Patzelt, ist es ein Zufall, dass die Pegida-Demonstrationen gerade in Dresden entstanden sind – laut Erfolgsautor Uwe Tellkamp die „bürgerlichste Stadt“ der neuen Länder?
Patzelt Dass es speziell Dresden war, ist kein Zufall – wenngleich die Demonstranten wenig gemein haben mit dem gehobenen Bildungsbürgertum aus Tellkamps Roman Der Turm. Es handelt sich eher um „kleine Leute“, um Menschen aus der Mittelschicht und darunter. Aber für einen solch zahlreichen Protest braucht man ja eine ausreichend große Stadt, und da gibt es in den neuen Bundesländern außerhalb von Berlin nicht viele. Außerdem gilt Besorgnis über Einwanderung und Integration als ein „rechtes“ Thema; das aber hat in einer überwiegend rot-grünen Stadt kein großes Echo. Nun ist keine andere Großstadt in den neuen Bundesländern so wenig links wie Dresden – und eben das erklärt, warum Pegida gerade dort so große Chancen hat.
BSZ Die sächsische Staatskanzlei soll Gegendemonstranten bezahlt haben, die CDU-Oberbürgermeisterin beschimpft die Teilnehmer, der Union nahestehende örtliche Honoratioren rufen zu Gegendemos auf. Warum reagiert gerade die lokale CDU-Spitze so aggressiv?
Patzelt Die CDU-Führung saß einer falschen Lagebeurteilung auf und hielt die Pegida-Demonstranten mehrheitlich für Rechtsradikale. Solche muss man wirklich bekämpfen. Die Pegida-Demonstranten sind derlei aber gerade nicht. Sie sehen sich vielmehr mit ihren Sorgen – unter anderem denen ob der starken Einwanderung nach Deutschland – von der Union nicht mehr politisch repräsentiert. Die CDU wiederum hat es sich in der Mitte bequem gemacht und besitzt derzeit weder die analytische Kraft noch den Mut, das ganze politische Spektrum bis zum rechten Rand abzudecken und so an die Mitte anzubinden. Das ist eine Mischung aus politischer Bequemlichkeit und Feigheit.
BSZ Vor 25 Jahren sind die Menschen an gleicher Stelle auch auf die Straße gegangen. Und damals wurden sie auch von Politik und Medien diskreditiert – ein Déjà-vu?
Patzelt Genau so fühlt sich das für viele Demonstranten an! Sie haben den Eindruck, als Störenfriede behandelt, als Andersdenkende nicht respektiert und in ihrer Meinungsfreiheit beschränkt zu werden. Tatsächlich sollte man mit ausdrücklichen „Gegen“-Demonstrationen vorsichtig sein. Sie sind richtig, wenn die Prämisse stimmt, dass es sich bei Pegida um Rechtsradikale handelt. Sie sind aber ungehörig, wenn es sich bei Pegida um ganz normale Bürger mit bloß anderen Meinungen handelt, die ein diskutables Anliegen vertreten. Im Übrigen halte ich es für besser, nicht gegen, sondern für etwas zu demonstrieren – etwa für eine offene, liberale Gesellschaft.
BSZ In den Demonstrationen werden primär bundespolitische Probleme artikuliert, konkret betroffen sind aber die Kommunen. Wie soll sich ein Bürgermeister denn klugerweise verhalten, wenn Pegida in seiner Stadt demonstriert, erste Ableger aus Dresden gibt es ja schon?
Patzelt Er sollte zunächst genau hinschauen, wer da tatsächlich demonstriert, und nicht Urteile von außen ungeprüft übernehmen. Dann sollte er hinhören, welche konkreten Anliegen die Leute haben, etwa zum konkreten Standort eines Flüchtlingsheims. Anschließend sollte er intensive Gespräche führen – mit Arbeitgebern und Gewerkschaften, mit Kirchengemeinden und weiteren zivilgesellschaftlichen Organisationen, um die Probleme vor Ort bestmöglich zu lösen. Außerdem sollten die Bürgermeister und Kommunalpolitiker der Bundespolitik klar machen, dass sie das schwächstes Glied in der politischen Kette sind, und deshalb darauf drängen, dass in Deutschland endlich ein Einwanderungs- und Integrationsgesetz beraten und beschlossen wird, das zu einem die Gesellschaft befriedenden Kompromiss über alle einschlägigen Regelungen führt.
BSZ Die Kommunalpolitik wird ja immer heterogener, Initiativen von so genannten Wutbürgern setzen sich meist kurz darauf auch im Stadtrat fest – könnte das bei Pegida auch der Fall sein?
Patzelt Das ist schwer abzusehen; bislang ist Pegida ja nur eine wöchentliche Zusammenkunft. Aber es spricht nicht viel dafür, dass daraus ein Freie Wählervereinigung oder eine Partei wird. Die Anhänger von Pegida stammen ja meist nicht aus Schichten, die sich stark in der Kommunalpolitik engagieren. Doch vielleicht tauchen bei der nächsten Wahl einige auf den Listen der Freien Wähler oder der AfD auf.
(Interview: André Paul)
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