Kommunales

Am Ende, fürchtet der Gemeindetag, wird es auch böses Blut geben unter den Kommunen. (Foto: DPA)

29.06.2012

Es droht ein Hauen und Stechen

Viele besonders notleidende Gemeinden hoffen auf Geld aus dem neuen Sondertopf des kommunalen Finanzausgleichs

Er ist der Sahneklecks auf dem heuer ohnehin vergleichsweise üppigen kommunalen Finanzausgleich: der 100 Millionen Euro umfassende Sonderetat aus Stabilisierungshilfen und Bedarfszuweisungen. Er soll, unabhängig von den üblichen Zahlungen im komplizierten Geflecht – das künftig ohnehin ärmere Kommunen etwas besser stellt und wohlhabendere stärker belastet –, die besonders notleidenden Gemeinden zusätzlich unterstützen. Und gerade seine variable Verwendungsfähigkeit macht ihn besonders begehrt. Bei der Entscheidung, wer Nutznießer sein darf, dürfte es aber auch Probleme geben.
Vier Hauptkriterien haben das bayerische Finanzministerium und die kommunalen Spitzenverbände dafür definiert: eine signifikant unterdurchschnittliche Steuerkraft, einen massiven Einwohnerrückgang, einen deutlichen Verlust an Arbeitsplätzen sowie eine aktuelle Haushaltsnotlage. Während die ersten drei noch vergleichsweise einfach zu belegen sind, verdient der letztgenannte Punkt eine ausführlichere Erörterung. Denn wer ihn geschickt zu seinen Gunsten auslegt, der hat die besten Chancen, etwas vom Sonderetat abzubekommen. Einfach nur Schulden zu haben, weil sich etwa das neue Erlebnisbad nicht rechnet, das reicht nicht aus.
Wie viele Gemeinden in Bayern in diese Kategorie „besonders notleidend“ fallen, darüber gehen die Schätzungen von Finanzministerium und Bayerischem Gemeindetag deutlich auseinander. Während die Beamten von Hausherr Markus Söder (CSU) etwa 200 Orte nennen, kalkuliert Johann Keller, der Finanzreferent des Bayerischen Gemeindetags, mit etwa 400, also der doppelten Zahl. Und während die Ministerialen die Problemregion weitgehend an der ehemaligen Zonengrenze in Oberfranken und der nördlichen Oberpfalz verorten, sieht der Experte vom kommunalen Spitzenverband auch Orte in anderen Gegenden Bayerns gefährdet, etwa im westlichen Mittelfranken und Teilen Schwabens.


Der Betrag wird definitiv nicht für alle reichen


Es wird ein Hauen und Stechen um dieses Geld geben – und am Ende auch böses Blut bei jenen, die meinen, zu kurz gekommen zu sein. „Nicht jede Gemeinde wird sofort Ansprüche bewilligt bekommen, es wird Härten geben“, warnt Johann Keller. „Das ist wie bei einem Verkehrsunfall“, erläutert er. „Wenn da der Arzt kommt, muss er sich erst einmal um die lebensgefährlich Verletzten kümmern.“ Platzwunden stünden erst einmal zurück.
Wer aber hat nun die besten Chancen? Kämmerer sprechen bei einer strukturellen Haushaltsnotlage von einer sogenannten negativen freien Finanzspanne. Das bedeutet, dass die Zuführung vom Verwaltungs- zum Vermögenshaushalt geringer ist als die Mindestzuführung in Höhe der regulären Tilgung von Krediten. Auch ein kommunaler Kassenwart, das schreibt die bayerische Gemeindeordnung vor, darf nämlich seine Tilgungsraten nicht anders bedienen als ein privater Häuslebauer. Das Geld muss aus dem Einkommen, sprich den laufenden Einnahmen stammen. Vom Sparbuch abzweigen, das geht nicht. Und wie etwa einem Familienvater mit Reihenhauskredit durch den Verlust des Jobs plötzlich die Finanzierung wegbricht, so kann auch ein Bürgermeister ziemlich schnell mit sinkenden Einnahmen konfrontiert werden.
Da gibt es beispielsweise am fiktiven Ort Kleingroßhausen einen bedeutenden Gewerbesteuerzahler, der die Hälfte der eine Million Euro aus diesem Sektor überweist, der Rest stammt von Kleinbetrieben. Hinzu kommen dann vielleicht noch 600 000 Euro vom Einkommenssteueranteil. Doch nun entschließt sich der Großbetrieb, die Produktion zu verlagern. Damit brechen auf einen Schlag 500 000 Euro weg. Weil aber auch viele Beschäftigte des Unternehmens ihrem Job hinterherziehen oder arbeitslos werden, sinkt ebenso der Einkommenssteueranteil, ebenfalls um die Hälfte. Zwar reduzieren sich dadurch auch ein wenig die Ausgaben der Gemeinde – aber eben bei weitem nicht im entsprechenden prozentualen Anteil. Der Bürgermeister steht also von jetzt auf gleich vor einem Problem.


Haushaltszahlen allein sind nicht aussagefähig genug


Denn nun muss er seinen neuen Haushalt aufstellen. Und weil im Ort, zumindest bisher, viel Geschäftsverkehr herrschte, sind die Straßen in einem desolaten Zustand. Gut 150 000 Euro, das hat der Gemeinderat beschlossen, sollen deshalb für die Ausbesserung der Schlaglöcher ausgegeben werden. Die Gemeinde hat auch gar keine andere Wahl, denn sie unterliegt der Straßensicherungspflicht. Passieren Unfälle, drohen Schadensersatzansprüche. Auch darf man die verbliebenen Gewerbesteuerzahler nicht vergrätzen.
Doch die Gemeinde hat ihre Rechnung ohne das Landratsamt gemacht. Die Rechtsaufsichtsbehörde sagt: Wenn ihr euren Haushalt nicht ausgleichen könnt, müsst ihr eben die Ausgaben zusammenstreichen. Zähneknirschend begnügen sich der Bürgermeister und seine Gemeinderäte mit 50 000 Euro für die Straßensanierung, es bleibt dann eben nur Flickschusterei. Und weil auch noch hier und da etwas abgezweigt wird, etwa bei der Subventionierung der Gemeindebibliothek, passt der Haushalt irgendwie, wenn auch Spitz auf Knopf. „Man kann also wirklich nicht sagen, nur weil eine Gemeinde es schafft, ihren Haushalt auszugleichen, geht es ihr gut“, urteilt Johann Keller. „Eine Haushaltsnotlage lässt sich nicht allein aus den Zahlen ableiten.“
Diese differenzierte Sicht der Dinge wird Keller aber noch manche Überstunde kosten. Soll es wirklich fair zugehen bei der Verteilung der Mittel, „dann wird das Prüfen eine Herausforderung“, warnt der Finanzreferent. Die Verbände und das Finanzministerium erarbeiten gerade die detaillierten Kriterien, für den Herbst ist eine „Bedarfszuweisungssitzung“ geplant. Viele Gemeinden sind zu befragen – eine Aufgabe, welche die vergleichsweise kleine Geschäftsstelle des Gemeindetags kaum schaffen kann und deshalb auf die Hilfe der Landratsämter hofft. Dazu scharren auch bereits die ersten Bürgermeister unruhig mit den Füßen. „Sie haben Angst, etwas zu verpassen“, berichtet der Verbandsexperte. Doch detaillierte Ergebnisse würden wohl erst Anfang 2013 feststehen.
Immerhin: Wer diesmal nicht zum Zuge kommt, kann auf später hoffen. Denn Söders Beamte versprachen den Kommunen, dass der Sondertopf eine mehrjährige Angelegenheit werden solle – egal unter welchen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. (André Paul)

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