Kommunales

Die Müllabfuhr ist, gerade aus deutscher Sicht, eine ureigene kommunale Aufgabe und muss demzufolge nicht ausgeschrieben werden. Wettbewerbsversessene Brüsseler Bürokraten haben dazu mitunter eine andere Meinung. (Foto: dpa)

28.10.2016

EU-Wettbewerbshüter sitzen Kommunen im Nacken

In Brüssel streiten Städte und Gemeinden derzeit mit Kommissionsvertretern, was künftig noch unter geschützte Daseinsvorsorge fällt - und was nicht

Darüber, was Kommunen nach EU-Recht dürfen und was nicht, herrscht Unsicherheit. Die Brüsseler Wettbewerbshüter geben ihre Pläne zur Beschneidung der Daseinsvorsorge nicht auf.

Die Wettbewerbsabteilung ist die mächtigste aller 33 Abteilungen der EU-Kommission. Trotz des Subsidiaritätsprinzips mischt sie sich auch ein bei kleinen Beihilfen der Kommunen an Verkehrsbetriebe, an Betriebe der Gas-, Wasser-, und Elektrizitätsversorgung, der Müllabfuhr, der Abwasserbeseitigung, den Bildungs- und Kultureinrichtungen, den Krankenhäusern, Schwimmbädern, Regionalflughäfen und Friedhöfen.

Den 350 Regional- und Kommunalvertretern aus den 28 EU-Ländern ist das zu viel. Sie finden das derzeitige Regelwerk für zu komplex und zu bürokratisch. Kürzlich auf der Europäischen Woche der Regionen und Städte forderten sie Einfachheit und klarere Regeln. Sie stimmten dem Bericht des nordrhein-westfälischen Landtagsabgeordneten Markus Töns (SPD) zu.

Ausschuss der Regionen hat kein Mitspracherecht


In der vergangenen Woche wurde vom europäischen Ausschuss der Regionen (AdR) und der Generaldirektion für Regional- und Städtepolitik der Europäischen Kommission (GD REGIO) organisiert. Der AdR hat in der EU-Politik kein Mitspracherecht, sondern muss laut EU-Vertrag nur von der EU-Kommission, dem EU-Parlament und dem EU-Rat gehört werden.

Und in diesem Fall scheint er von ihnen ernst genommen zu werden. Der französische Europaabgeordnete Jean-Paul Denanot (sozialdemokratische Fraktion) soll die Sache genauso sehen wie der Landtagsabgeordneten Markus Töns. Nach dessen Angaben arbeitet Denanot an einem Initiativbericht zu dem Thema.

Was der EU-Parlamentarier und der nordrhein-westfälische Landtagsabgeordnete in Brüssel tun, dürfte auch im Sinne der bayerischen Kommunen sein. Da ist zum Beispiel der Plan in Oberfranken, ein Sportcamp mit rund 200 Betten zu bauen, das Schulen, gemeinnützigen Sportvereinen sowie sozialen und pädagogischen Aktivitäten offenstehen sollte. Die EU-Kommission sah das skeptisch. Erst im September lenkte sie ein und stellte die wettbewerbliche Unbedenklichkeit des Vorhabens fest.

Der Fall in Oberfranken war einer von fünf aus den Ländern Deutschland (2), Portugal (1) und Spanien (2). Der andere Fall in Deutschland betraf ein Investitionserweiterungsvorhaben des Hafens auf der nordfriesischen Insel Föhr. Alle Fälle hätten keine Auswirkungen auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten, hatte die EU-Kommission festgestellt. Sie stellten daher keine unerlaubte staatliche Beihilfe dar.

Im Zweifelsfall wir besser gar nichts getan


„Dürfen wir oder dürfen wir nicht?“, fragen sich die Kommunalpolitiker und tun im Zweifelsfalle nichts. „Insbesondere kleineren lokalen und regionalen Gebietskörperschaften fehlen die Ressourcen und die Kapazitäten, um mit den Entwicklungen auf EU-Ebene Schritt zu halten“, so Markus Töns. Dadurch würden sie nicht nur daran gehindert, ihrer Stimme in den laufenden Debatten Gehör zu verschaffen - sie könnten auch die auf EU-Ebene geltenden Ausnahmebestimmungen für die Daseinsvorsorge nicht entsprechend nutzen. Das habe zur Folge, dass Investitionen der öffentlichen Hand behindert würden. „Deshalb brauchen wir weniger Bürokratie und mehr Orientierungshilfen.“

Die EU-Kommission glaubt indes, genug Orientierungshilfen gegeben zu haben. „In vielen Fällen können die Mitgliedstaaten Investitionen ohne Rücksprache mit der Kommission fördern“, hatte die dänische EU-Wettkommissarin Margrethe Vestager im September beschwichtigt. In einem Beschluss aus dem Jahr 2015 sei schon festgelegt, welche Arten von öffentlichen Fördermaßnahmen keine staatlichen Beihilfen darstellen würden, so die EU-Wettbewerbsbehörde. Und im Mai 2016 hatte die EU-Kommission solche öffentliche Fördermaßnahmen explizit genannt, die nicht unter die Beihilfenkontrolle fallen: Öffentliche Investitionen in Straßen, Binnenwasserwege, Schienen- und Wasserversorgungsnetze. Sie dürften ohne vorherige Prüfung durch die EU-Kommission durchgeführt werden.

Ausschluss von künftigen Freihandelsabkommen


Schon die im Mai 2014 erlassene Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung erlaube den Mitgliedstaaten, in zahlreichen Wirtschaftsbereichen – wie etwa Forschung, KMU-Förderung und Tourismus – Beihilfen zu gewähren, ohne dass diese bei der Kommission zwecks vorheriger Genehmigung angemeldet werden müssten. Rund 90 Prozent aller in der EU durchgeführten Beihilfemaßnahmen fielen unter diese Vorschrift.
Doch sieht die EU-Kommission Änderungsbedarf bei dieser Verordnung und überarbeitet sie gerade, um die Anwendung von Investitionsbeihilfen für Häfen und Regional-Flughäfen zu vereinfachen. In kleinen Fragen werde sich die EU-Kommission noch mehr zurückzuhalten, versprach die EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager.

Der nordrhein-westfälische Landtagsabgeordnete Markus Töns sieht das als gutes Vorzeichen für eine andere Einstellung der EU-Kommission zu den Beihilfen der Kommunen. Aber er fordert mehr. Er will einen weiten Begriff der Daseinsvorsorge, um neuen Entwicklungen und Sozialdienstleistungen wie der Flüchtlingshilfe oder der digitalen Infrastruktur Rechnung zu tragen. Die Kommunen sollen investieren dürfen, wenn der Markt versagt.

Überdies soll die Daseinsvorsorge bei künftigen Freihandelsabkommen ausgeschlossen werden. Die sollen die lokalen Gebietskörperschaften selbst regulieren dürfen. Bei Investitionen in kleine regionale Flughäfen (bis 300 000 Passagiere jährlich) soll die EU-Kommission die Kommunen in Ruhe lassen. Den 200 Hektar großen Allgäuer Regional-Flughafen Memmingen, auf dem die irische Billig-Fluggesellschaft Ryanair und die ungarische Wizz Air landen, müsste sie demnach unter die Lupe nehmen dürfen. Denn der zählte 2015 rund dreimal so viele Passagiere. „Ich bin zuversichtlich,“ sagte Töns, nachdem die 350 Regional- und Kommunalvertretern aus den 28 EU-Ländern seinen Bericht angenommen hatten. „Aber die Kuh ist noch nicht vom Eis.“ (Rainer Lütkehus)

Kommentare (1)

  1. Miiich am 28.10.2016
    Ausschuss der Regionen hat kein Mitspracherecht....wenn ich das schon lese kommt mir die Galle hoch.
    Im gegensatz zur kleinen belgischen Region Wallonie hat der zumindest auf dem Papier immer noch teilsouveräne Freistaat Bayern als deutsches Bundesland keinerlei Mitspracherecht.
    Selbst in diesem 350 Mitglieder zählende, machtlosen "Ausschuss der Regienen" ist der Freistaat Bayern und somit das Bayerische Volk von 12 Millionen mit genau 1 Mitglied vertreten. Im europäischen Parlament hat der Freistaat nur halb soviele Abgeordnete und kein EU-Kommissionsmitglied, die ihm nach seiner Einwohnerzahl (als eigenes EU-Mitglied zuständen).
    Und da soll Bayern etwas bewirken, wenn es erst beim Bund nachfragen muss, ob dieses ihm auch genehm ist unser Anliegen in Brüssel vorzutragen?
    Sollen Bayern und sein Volk, seine Regionen und Gemeinden in Europa eine (gestalterische) zukunft haben, so müssen wir den schottischen Weg gehen und unsere Unabhängigkeit vom Deutschen Staat zrückerlangen um als eigenes EU Mitglied, als (incl. GB!) neuntgrößter Staat Europas mit der sechstgrößten Volkswirtschaft unsere Zukunft in einem wirklich föderalen und subsidiären europäischen Staatenbund (nicht Bundesstaat!) zu gestalten. Ansonsten werden wir als rein administrative Berliner Provinz in einem europäischen Bundesstaat enden.
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