Kommunales

In vielen Medien wird das Schicksal der Landärzte abschreckend geschildert. (Foto: dpa)

20.05.2016

Förderrichtlinie umgesetzt, Landarztpraxis tot

Ein tragfähiges Konzept gegen den Mangel an Medizinern im ländlichen Raum ist noch nicht gefunden

Stur hält die Politik am Numerus Clausus für ein Studium der Medizin fest – obwohl es viele Anwärter gäbe, die zwar schlechte Abi-Noten, aber viel Talent für den Job haben. Manche studieren deshalb im Ausland – doch denen will Ministerin Huml (CSU) kein Stipendium gönnen. In Deutschland gibt es zu wenige Studienplätze für Medizin und auch an einigen Universitäten im Freistaat fehlen medizinische Fakultäten. Mit den Folgen dieses Problems fühlen sich viele Kommunen vom Staat im Stich gelassen. Die ärztliche Versorgung im ländlichen Raum ist nicht nur für die Gesundheit der Bürger wichtig, sondern auch ein wichtiger Faktor für Lebensqualität und Wirtschaftsstandort. Sorgen um Praxisnachfolge und Bemühungen, Ärzte aus Metropolen aufs Land zu locken, plagen Landräte und Bürgermeister, nur nicht den Staat. „Lassen Sie uns dieses wichtige Thema gemeinsam anpacken!“ hatte Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) bayerischen Hausärzten auf deren Verbandsversammlung in Nürnberg zugerufen. Sie bat den Hausärzteverband, bei Medizinstudenten „stärker für die Arbeit auf dem Land zu werben“.

Das ist so rührend wie hilflos. Aktuell sind über ein Drittel der bayerischen Hausärzte 60 Jahre und älter. „Wir haben in den nächsten Jahren insgesamt einen höheren Bedarf an Ärzte-Nachwuchs und daher an mehr Studienplätzen“, so Huml. Doch dafür ist sie nicht zuständig. Über medizinische Fakultäten und Lehrstühle an Universitäten entscheiden der Wissenschafts- und der Finanzminister mit dem Landtag. Die halten es aber nicht für nötig, nur an einer Universität in Niederbayern und Oberfranken Studienplätze für Medizin zu schaffen.

„Wir werben Ausländer an, die eigenen Kinder aber schicken wir ins Ausland“


Damit würden die Studenten allerdings weiter in ihrer Heimatregion sozial eingebunden bleiben. Als Modell empfiehlt Huml die Kreisklinik Dillingen. Deren Chefärztin, Ulrike Bechtel, spricht Klartext: „Für das angeblich reiche Deutschland muss man sich doch schämen. Statt genügend Studienplätze für Medizin einzurichten, werben wir im Ausland armen Ländern ausgebildete Ärzte ab. Die eigenen Kinder müssen dann wegen des Nummerus clausus zum Medizinstudium ins Ausland – auf private Kosten der Eltern. Das ist doch grotesk!“

Die Kreisklinik Dillingen ist anerkannt als akademisches Lehrkrankenhaus (AKADemie) der Technischen Universität München (TUM) für innovative und patientennahe Ausbildung in Allgemeinmedizin. In Kooperation mit dem Institut für Allgemeinmedizin der TUM ist das ein bundesweit einmaliges Konzept. „Wer im ländlichen Raum fertige Ärzte anwerben will, kommt zu spät. Man muss sie früher abholen!“, sagt die Chefärztin: „Darum bereiten wir schon Studenten speziell auf Besonderheiten der Hausarzt-Praxis vor.“

Mit Begleitung durch Mentoren und Tutoren, Seminare und patientennahe Fachgespräche in der Klinik soll ihre Neugierde auf die ganze Breite der Medizin gefördert und ihnen ein sicherer Einstieg in unterschiedliche Fächer und Schwerpunkte ermöglicht werden. Junge Mediziner können so dort ihre Famulatur, ein praktisches Jahr und die Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin ablegen. Aber eben auch nur die mit Nummerus clausus! Daher hilft das „Dillinger Modell“ Krankenhäusern wenig, die keine Uni mit medizinischer Fakultät in erreichbarer Nähe haben. Zudem sind die Ärzte ungleich verteilt: In den Großstädten gibt es zu viele. Huml fordert wenigstens mehr Lehrstühle für Allgemeinmedizin als nur einen an der TUM: „Die Universitäten sind nicht nur für medizinische Forschung da, sondern auch für die ärztliche Versorgung der Bevölkerung!“ Die hausärztliche Versorgung in Bayern sei zwar noch sehr gut, beteuert sie, „aber in ländlichen Regionen gibt es Nachwuchssorgen.“

Davon sind vor allem Ärzte betroffen, die Nachfolger für ihre Praxen suchen. Diese Sorge lastet ebenso auf Kommunalpolitikern in Landgemeinden, die wissen, was es bedeutet, wenn Bürger vor Ort keinen Hausarzt mehr haben, sondern nur in der Stadt. Wird eine Praxis geschlossen, trifft das ein Dorf härter als bei Wirtshaus, Postamt oder Bank. Die Gemeinschaftspraxen und Ärztezentren in Städten erfordern zusätzlich ein gutes System des öffentlichen Nahverkehrs in die Dörfer. Probleme mit Ärzte-Nach-wuchs haben auch Kreiskrankenhäuser. Der Kardiologe Dr. Franz Haller in Regen sagt: „Es gibt doch im Bayerischen Grenzland zwischen Passau und Cham kaum mehr einheimische Ärzte im Krankenhaus. Die kommen aus Osteuropa und tun sich sehr schwer bei der Verständigung mit Patienten, die Dialekt reden. Und unsere jungen Ärzte gehen ins Ausland, wo Bezahlung und Arbeitsbedingungen besser sind: Mein eigener Sohn arbeitet jetzt in der Schweiz statt in meiner Praxis.“

"Zeitweilig haben wir Vermittlungsprämien gezahlt"


Der Bezirkstagspräsident von Niederbayern, Olaf Heinrich, kennt die angespannte Lage in den psychiatrischen Kliniken der Bezirke: „Da ist es auch schwer, geeignete junge Fach- und Assistenzärzte zu bekommen. In Mainkofen hat die Klinikleitung zeitweise eine Vermittlungsprämie bezahlt, wenn Mitarbeiter einen Arzt überzeugen konnten, dort hin zu wechseln.“ Probleme der Kreiskliniken sind ihm als Aufsichtsrat in Freyung bekannt: „Junge Mediziner sehen zu kleine Krankenhäuser als Sackgasse für ihre Karriere.“ Eine medizinische Fakultät an der Passauer Uni hielte Heinrich „natürlich für Niederbayern hilfreich wegen unserer Studenten selbst und wegen deren klinischer Ausbildung in den Kreiskrankenhäusern.“ Er schränkt allerdings ein: „Das würde aber nur den Studenten helfen, die den Numerus clausus geschafft haben.“

Im Rahmen der Europaregion Donau-Moldau verhandelt Heinrich mit der einer niederösterreichischen Privatuniversität in Krems. Ziel: eine private Medizin-Fakultät in Kooperation mit dem Krankenhaus in Passau. „Viele für den Arztberuf motivierte und an Landarztpraxen interessierte junge Leute schaffen kein Abitur unter dem obligatorischen 1,5 Notendurchschnitt“, klagt der Bezirkstagspräsident: „Die wollen aber Medizin studieren – oft um die Praxis der Eltern zu übernehmen – müssen aber zum Studium ins Ausland. Und das schaffen sie dann erfahrungsgemäß auch mit gutem Erfolg. Daher bieten sich in meinen Augen Kooperationen unserer Grenzregion mit Hochschulen in Österreich und Tschechien absolut an.“
Auch Bayerns Freie Wähler wollen den Nummerus clausus lockern und so das Medizinstudium erleichtern, um dem Hausarztmangel in Bayern vorzubeugen. Nach der Klausur seiner Landtagsfraktion im mittelfränkischen Kirchensittenbach sagte FW-Parteichef Hubert Aiwanger: „Von 7000 Hausärzten gehen pro Jahr 600 bis 700 in den Ruhestand, es kommen aber nur 250 nach.“

Der erfahrene Freyunger Hausarzt Horst Beckmann warnt vor Leuten, die ein Einser-Abitur als Sechser im Lotto verstehen: „Es ist falsch, wenn Leute glauben, dass man mit einem Einser-Abi unbedingt Medizin studieren muss – egal, ob man dafür geeignet ist oder nicht. Das sind Illusionen über Einkommen und Reichtum der Ärzte! Die Berufung zum Arzt bedeutet: Die Verantwortung für die Patienten geht allem vor!“ Beckmann ist überzeugt, Einser-Abiturienten seien eher für Wissenschaft und Forschung zu gebrauchen als für die alltägliche Versorgung kranker Menschen.

Fragt man etwa im Landkreis Freyung-Grafenau betroffene niedergelassene Ärzte, deren Sohn oder Tochter kein Wunderkind ist, aber Medizin studiert hat oder studiert, so nennen sie deren Universitäten: Nur einer ist in Regensburg immatrikuliert, die anderen jedoch im europäischen Ausland, im ungarischen Budapest, im böhmischen Pilsen, im kärnterischen Klagenfurt, im italienischen Padua, im steirischen Linz, im niederösterreichischen Krems und oder in Salzburg. Das kostet meist hohe Studiengebühren um die 1000 Euro im Monat – zusätzlich zum monatlichen Unterhalt des Sprösslings, wohlgemerkt.

Das Gesundheitsministerium vergibt Stipendien von 300 Euro im Monat an Studenten (ab Physikum), die sich nach Abschluss für fünf Jahre zur Arbeit am Land verpflichten – aber aus bürokratischem Kleingeist nicht für bayerische Studierende im Ausland.

Außer den Kosten für die Eltern hat der Nachwuchs ohne Einser mit dem Studium keine Probleme und nach dem Abschluss sind diese Ärzte auch in Deutschland willkommen. Gerade Kinder von Ärzten am Land ergreifen diesen Beruf mit wenig Illusionen und guter Kenntnis vom Praxisalltag der Eltern und vom sozialen Umfeld der künftigen Patienten.

Darum fordert auch Ressortchefin Huml: „Die Auswahl der Medizinstudenten soll weniger nach Abiturnoten und mehr nach Kompetenzen für den Arztberuf getroffen werden. Nicht die beste Studierfähigkeit ist entscheidend, sondern die beste Fähigkeit zur Versorgung von Menschen!“ An bayerischen Unis sollen deshalb jetzt wieder Tests einführt und soziale Vorleistungen in Sanitäts- oder Pfegediensten auch als Eignung angerechnet werden.

Abschreckend wirken auch Bürokratie und Regresspflicht


Während Bund und Länder am Medizinstudium herumdoktern, suchen im ländlichen Raum überall Kommunen nach kreativen Ideen für attraktive Angebote, um Ärzte anzuwerben. Im Landkreis Regen etwa bekommen Medizinstudenten Stipendien für ein Praktikum an den Kreisklinken Viechtach und Zwiesel. In Neukirchen beim Hl. Blut wird überlegt, ob man den Bau einer Gemeinschaftspraxis mit Bürgeranteilen finanzieren soll.

Das Gesundheitsministerium gibt 60 000 Euro als Starthilfe. „Das nehmen meist die an, die Gemeinschaftspraxen mit Kollegen eröffnen“, sagt der Hausarzt Richard Hofmann in Freyung, „aber das Geld ist bald weg. Damit sollte man lieber Studienplätze finanzieren.“ Abschreckender wirken die Bürokratie und die Regresspflicht für Verordnungen, „positiv sind dagegen die Verbesserungen beim Wochenend-Notdienst in Zusammenarbeit mit dem Krankenhaus und dem Fahrdienst der Sanitäter.“

In den Medien wird das Schicksal der Landärzte entweder abschreckend geschildert oder als Märchen vom wundertätigen Gutmenschen. Der Bergdoktor kann alles, nur nicht treu sein. Dabei ist der Arzt samt der „Frau Doktor“ nirgends so angesehen wie am Land. „Hier werden sie geholfen“ gilt für Golf- oder Tennisplatz, im Jagdrevier oder Fischwasser, beim Grundstückskauf oder Hausbau. Kandidiert ein beliebter Hausarzt wie Beckmann für Stadt- und Kreisrat, ist er auf Anhieb drin: „Aber wenn die ‚Frau Doktor’ aus der Großstadt ohne Oper nicht leben kann, dann ist das angesichts vieler kultureller Angebote bei uns im ländlichen Raum nur eine faule Ausrede.“

Ebenso wie den Nummerus clausus lehnen Hausärzte am Land die Reglementierungswut der Kassen mit dreifachen Dokumentationen, Formularen und Nachweisen ab. Aber Dr. Beckmann nennt noch einen wichtigen Faktor für den Ärzte-Nachwuchs am Land: „Entscheidend für viele junge Ärzte ist die Frage: Geht mein Partner dahin mit? Was erwartet uns als Familie an diesem Ort?“ Er bestätigt: Das gesamte Image der Region – Krankenhaus, Schulen, Wirtschaft, Kultur, Freizeit und Sport – sind als Paket weitaus wichtiger als Praxis-Häuser und finanzielle Lockangebote. (Hannes Burger)

Kommentare (1)

  1. Hein am 23.05.2016
    Warum soll man ein teures Artztstudium finanzieren, wenn mann fertig ausgebildete Ärzte aus den ärmeren Ländern abwerben kann. Oder eben aus Krisengebieten wie Syrien und Irak.erstens ist das billiger und zweitens arbeiten diese auch für weniger Geld. Nur wenn in diesen Ländern wieder der Aufbau los gehen soll fehlen diese Ärzte genau wie die ausgebildeten Ingenieure und Fachkräfte.
Die Frage der Woche
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.