Kommunales

Wohin mit dem Kind? Vor allem für Alleinerziehende ist das ein Problem. (Foto: dpa)

20.02.2015

"Gutverdiener werden künftig zuerst versorgt"

Der Bildungsforscher und Ex-Ministerialbeamte Reinhard Wiesner über die Folgen des wachsenden Ansturms auf Betreuungsplätze für Kleinkinder

Die Stadt Leipzig musste einer gut verdienenden Mutter, der für ihr Kind keine Betreuung zur Verfügung gestellt werden konnte, den Verdienstausfall zahlen. Wohl bald kein Einzelfall mehr, denn trotz aller Bemühungen der Kommunen dürfte das Angebot mit der Nachfrage nicht Schritt halten.

BSZ Herr Herr Professor Wiesner, wenn jetzt Kommunen klagen, dass sie die Ausgleichszahlungen für Eltern ohne Betreuungsangebot teuer kommt – haben Sie dafür Verständnis?
Wiesner Nun, bevor im August 2013 der Rechtsanspruch für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr in Kraft trat, war die gesellschaftliche und politische Debatte um die Verbesserung und den Ausbau des Betreuungsangebots ja schon mehrere Jahre im Gange. Insofern konnten die Kommunen schon wissen, was auf sie zukommen wird.

BSZ Das mag stimmen – ändert aber nichts an den aktuellen Problemen: Der Bund schafft an – und die Städte und Gemeinden können sehen, wie sie es bewältigen.
Wiesner Das liegt an unserer Finanzverfassung. Die Kosten hat danach nicht der Bund als Gesetzgeber, sondern die Ebene zu tragen, die das Gesetz auszuführen hat. Zudem gibt es keine unmittelbaren Finanzbeziehungen zwischen Bund und Kommunen. Im Übrigen darf der Bund zwar Investitionsbeihilfen gewähren, aber nicht die laufenden Kosten direkt fördern. Förder- oder Ausgleichsmöglichkeiten bestehen also nur „auf dem Umweg“ über die Länder, die aber auch eine eigenständige Pflicht zum Ausgleich von Mehrbelastungen der Kommunen haben. Notwendig wäre eine Generalrevision unserer Finanzverfassung, für die es wohl wegen der weitreichenden Konsequenzen auf keiner Ebene Mehrheiten gibt.

BSZ Hätten die Länder nicht wissen können, dass es für ihre Kommunen schwierig werden wird, als sie dem Gesetz im Bundesrat zustimmten?
Wiesner Ja, schon. Aber beim Ausbau der Kinderbetreuung war ein solcher gesamtgesellschaftlicher und medialer Druck dahinter – da konnte es sich gar kein Land erlauben, dagegen zu stimmen.

BSZ Warum tut sich eigentlich eine ostdeutsche Stadt wie Leipzig so schwer mit der Betreuungsgarantie – das hat doch dort angeblich eine viel längere Tradition als in den alten Ländern?
Wiesner Das stimmt. Aber in den neuen Ländern gab es nach 1990 einen gewaltigen Geburtenrückgang - viel stärker als im Westen. Hinzu kam die Abwanderung. Die Kommunen dort haben darauf zunächst reagiert, viele Einrichtungen geschlossen und auch kein neues Personal mehr eingestellt. Seit einigen Jahren aber boomen viele ostdeutsche Städte, es gibt Zuzug aus den alten Ländern, die Einwohnerzahl wächst. Damit kann das vorhandene Betreuungsangebot nicht Schritt halten.

BSZ Wird es solche Fälle wie in Leipzig bald verstärkt auch in den alten Bundesländern geben?
Wiesner Genau kann man das natürlich nicht voraussagen – aber wenn, dann eher in den wirtschaftlich prosperierenden Ballungsräumen wie etwa in Stuttgart oder München.

BSZ In München dagegen sind weniger die fehlenden Plätze, sondern die nicht vorhandenen Kindergärtnerinnen das Problem – denen ist die Stadt einfach zu teuer. Aber dass ihnen der Oberbürgermeister übertariflich mehr Geld geben will, passt wiederum den Kommunen im Umland nicht.
Wiesner Das wird noch eine spannende Auseinandersetzung. Die Rechtslage ist klar: Eine Stadt muss die nachgefragten Betreuungsplätze zur Verfügung stellen. Vor Gericht, wenn Eltern klagen, gilt das Argument iIch habe keine Erzieherinnen“ nicht und auch nicht, dass man ihnen nicht mehr zahlen darf. Da muss eine Stadt dran bleiben, auch wenn es Konflikte mit den Nachbarkommunen gibt.

BSZ Wenn dann Eltern klagen, dass ihnen bei einem fehlenden Betreuungsangebot der Verdienst wegbricht – dann hilft das Menschen mit vorher gutem Einkommen doch mehr, oder?
Wiesner Wenn man so will, ja.

BSZ Droht da nicht ein Missbrauch?
Wiesner Ich glaube nicht, die klagenden Personen müssen ja nachweisen, dass sie ihre Erwerbstätigkeit wieder aufnehmen wollten, dies aber wegen des fehlenden Betreuungsplatzes nicht konnten. Ich sehe aber ein anderes Problem: Weil Kommunen schon aus finanziellen Erwägungen allen Grund haben, vor allem die Klagen der besserverdienenden Eltern zu fürchten, werden sie womöglich auch diesen Personen bei einer Mangelsituation vorrangig einen Platz zur Verfügung stellen.

BSZ Und die Mutter des Migrantenkindes, die vorher entweder daheim war oder nur einen schlecht bezahlten Aushilfsjob hatte, die hat erst mal das Nachsehen?
Wiesner Das könnte unter Umständen passieren, ja. Damit wären die Bemühungen, gerade die Eltern dieser Kinder zum Besuch eines Kindergartens zu animieren, erst mal gescheitert.

BSZ Obendrein dürften die steigenden Kosten für die Betreuung doch auch irgendwann bei den Gebühren zu spüren sein – was sozial Schwache zusätzlich abschreckt?
Wiesner Hier haben die Kommunen aber die Möglichkeit, die Tarife noch deutlich stärker als bisher zu staffeln – was der Bund ja auch verlangt, sofern die Länder keine andere Regelung treffen. Natürlich müssen sozial Schwache häufig weniger oder nichts bezahlen. Aber man kann auch nach oben noch weiter differenzieren: Jemand mit 10 000 Euro im Monat zahlt dann eben deutlich mehr als jemand mit 5000 Euro.

BSZ Nun wurde in den vergangenen Jahren die Kinderbetreuung ja massiv ausgebaut – auch immer zum Vorteil der Kinder?
Wiesner Bei der Betreuung gerade der jüngeren Kinder hat die Qualität noch lange nicht überall das wünschenswerte Niveau erreicht, da ist sich die Wissenschaft einig. Zudem sind die Unterschiede in der Fachkraft- Kinder- Relation zwischen den einzelnen Ländern sehr groß. Und man kann auch darüber streiten, ob für ganz kleine Kinder die tägliche Belastung in einer großen Gruppe nicht wirklich zu groß ist und manche Kinder zu früh von ihrer primären Bezugsperson – in der Regel der Mutter – getrennt werden.

BSZ Das sehen in Bayern viele Politiker so – weshalb es ja das Betreuungsgeld gibt.
Wiesner Wenn man darunter ausschließlich verstehen würde, dass sich ganz konkret die Mutter oder der Vater um das Kind kümmert – dann wäre es eine gute Sache. Grundsätzlich gibt es für ganz kleine Kinder nichts Besseres als die Interaktion mit ihren Eltern. Was aber nicht geht, ist Geld zu zahlen, nur weil Eltern eine staatliche Leistung nicht in Anspruch nehmen, ihr Kind aber dann womöglich im Bekanntenkreis betreuen lassen oder schlimmstenfalls sogar sich selbst überlassen.
(Interview: André Paul)

Kommentare (1)

  1. Chris am 20.02.2015
    Richtig so, weg mit der Asylpolitik!
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