Kommunales

Bürgerbegehren werden gegen alles mögliche initiiert: Besonders verhasst sind vielen Menschen langwierige und teure Bauprojekte vor ihrer Haustür. (Foto: dpa)

15.09.2017

Immer mehr Bürgerbegehren in Bayern

Die Verwaltung wird durch direkte Demokratie zeitlich, finanziell und logistisch gebunden – Kommunalpolitiker sind alarmiert

Immer öfter kommt es in Bayerns Gemeinden und Städten zu Bürgerbegehren. Kommunalpolitiker sehen diese Entwicklung mit gemischten Gefühlen.

Bürger wollen ihre Stadt mitgestalten. Das tun sie indirekt durch die Wahl von kommunalen Mandatsträgern. Manchmal entscheiden die allerdings nicht so, wie sich der Wähler das vorstellt. Dann haben Bürger die Möglichkeiten, ihren Wunsch und Willen durch ein Bürgerbegehren auszudrücken. Dies geschieht in Bayern nach Auskunft des Münchner Vereins „Mehr Demokratie“ bis zu 100 Mal im Jahr. Zwischen 80 und 90 Mal kommt es zum Bürgerentscheid.

„In immer mehr Gemeinden finden Bürgerbegehren statt“, erklärt Susanne Socher von „Mehr Demokratie“. Die Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung steigt nach ihrer Einschätzung, da man in Bayern nach mehr als zwanzig Jahren über eine rege Praxis verfügt. Bürgerbegehren seien heute nichts Besonderes mehr, immer mehr Bürger kennen dieses Instrument. „Unser großer Wunsch wäre nun die Einführung von Volksentscheiden auch auf Bundesebene. „Auch da sollten die Menschen Abstimmungen über einzelne Sachfragen initiieren können“, findet Susanne Socher.

Gern wird seitens der Stadt mit einem Ratsbegehren gekontert


In Würzburg wurden Anfang Juli dieses Jahres gleich zwei Bürgerentscheide durchgeführt. „Grün“ eingestellte Aktivisten versuchten, ihre Mitbürger davon zu überzeugen, dass der Kardinal-Faulhaber-Platz gegenüber dem Stadttheater begrünt und gleichzeitig komplett autofrei wird. In der Vergangenheit parkten hier nämlich etliche Fahrzeuge. Das gefiel auch der Stadtverwaltung nicht. Allerdings hätte die Kommune gern eine Tiefgarage unter den Platz gebaut. Darum stellte sie ein entsprechendes Ratsbegehren dem Bürgerbegehren gegenüber. Am 2. Juli gewann das Bürgerbegehren beim Entscheid: Der Kardinal-Faulhaber-Platz wurde daraufhin komplett von Autos befreit.

Die Wahlbeteiligung war mit 41,5 Prozent sehr hoch. Das lag an der Idee von Oberbürgermeister Christian Schuchardt (CDU), alle Abstimmungsunterlagen direkt zu versenden. Mit diesem Verfahren kam Würzburg eine Vorreiterrolle unter Bayerns Großstädten zu. Dass der Direktversand die Wahlbeteiligung erhöhte, belegt der Vergleich zu den drei vorausgegangenen Bürgerentscheiden in Würzburg: In allen drei Fällen lag die Beteiligung bei unter 20 Prozent.

Sehr viel Erfahrung mit Bürgerbegehren hat die Gemeinde Schliersee im Landkreis Miesbach. „Seit 1998 fanden bei uns fünf Bürgerbegehren statt“, sagt Gabi Scherer von der Bürgerinitiative „Schliersees Schönheit bewahren“. Viermal durften sich die initiierenden Bürger über einen Wahlsieg freuen. Einmal verlor man „denkbar knapp“ im Stichentscheid.

Vor allem in kleinen Orten werden Stadträte rasch wütend


Bei manchem Mandatsträger, dessen Pläne durch einen verlorenen Bürgerentscheid durchkreuzt wurden, kommt laut Scherer Ärger auf, der auch oft nicht so schnell abgebaut wird. „Da müssen Initiatoren durchaus Wochen und Monate später mit weniger angenehmen Reaktionen rechnen“, so die Schlierseerin. Scherer vermutet, dass dies vor allem in kleineren und mittleren Kommunen so ist. Wünschen würde sie sich, dass Mandatsträger „professioneller“ mit Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden umgehen: „Sie haben in einer Demokratie schließlich im Sinne des Gemeinwohls zu handeln.“

In Vaterstetten im Landkreis Ebersberg schlägt man sich derzeit mit der Frage herum, wie man mit den Planungen für eine Umgehungsstraße verfahren soll. Bund Naturschutz, Freie Wähler und Grüne überlegten, ein Bürgerbegehren gegen die Umfahrung auf den Weg zu bringen. „Doch das wurde vorerst fallengelassen“, so FW-Gemeinderat Wolfgang Schermann. Die Planungen seien schon zu weit fortgeschritten, hieß es im Mai in einer offiziellen Begründung. Zwölf Jahre liegt der letzte Bürgerentscheid in Vaterstetten zurück. Damals ging es um die Ausweisung eines größeren Baugebiets. Schermann: „Die Bürgerinitiative hatte gewonnen.“

So wichtig Bürgerbegehren für die Demokratie sind – sie sind gleichzeitig für jede Verwaltung sehr aufwendig, erklärt Peter Schlerf, Leiter des Hauptamts der Gemeinde Altdorf bei Nürnberg, wo seit 2007 drei Bürgerentscheide organisiert wurden. Berechnungen des Altdorfer Ordnungsamts zufolge schlägt ein Bürgerentscheid mit 28 000 Euro zu Buche. Allein rund 8000 Euro fließen jenen Männern und Frauen zu, die sich am Tag des Entscheids als Wahlhelfer engagieren. Die Materialkosten beliefen sich in Altdorf bisher auf jeweils rund 20 000 Euro.

Neue Strategie: Rechtzeitig auf Anliegen eingehen


Hinzu komme ein „gewaltiger zeitlicher Aufwand“. Rund 250 Stunden sei das Altdorfer Wahlamt mit einem Bürgerentscheid beschäftigt. Um die 40 Stunden kostet es beispielsweise den Bauhof, die Wahllokale einzurichten. Die Prüfung der Unterschriftenlisten verschlinge zehn, die Wahlhelferschulung fünf Arbeitsstunden. Als Ausgleich für die Wahlhelfer fallen 50 Arbeitstage an.

Manche Kommunen finden deshalb, es sei besser, Bürgerentscheide von vornherein zu vermeiden und auf berechtigte Anliegen einzugehen. So sah der Stadtrat von Wolfratshausen im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen im November ein, dass die Bürger ein interkommunales Hallenbad so oder so durchsetzen würden. 4500 Menschen hatten ein entsprechendes Bürgerbegehren unterschrieben. Wie von den Bürgern gefordert, beschloss der Stadtrat entgegen ersten Überlegungen, das Bad mit jährlich 105 000 Euro zu unterstützen – ein Sieg für die Einwohner. (Pat Christ)

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