Derzeit laufen in der Bundesrepublik mehrere tausend Konzessionsverträge für die Strom- und Gasversorgung aus. Nachdem die Kommunen jahrelang privatisierten, wollen sie die Netze nun zurück kaufen, die Versorgung wieder selbst in die Hand nehmen. Aus diesem Grund kommt es überall zu Neugründungen von Stadtwerken oder städtischen Eigenbetrieben, allein 50 im vergangenen Jahr. Wettbewerbsexperten wie der Düsseldorfer Professor für Volkswirtschaftslehre, Julius Haucap, sehen das kritisch.
BSZ Herr Haucap, was ist so schlecht am Trend zur Re-Kommunalisierung?
Haucap Im Einzelfall sicher nichts – aber in der Häufigkeit, mit der Städte und Gemeinden nun frühere Privatisierungen rückgängig machen. Und es geht ja auch nicht nur um die Gründung einer privatrechtlichen AG in mehrheitlich städtischer Hand. Häufig werden Versorger direkt in die Verwaltung eingegliedert – womit sie insbesondere bei der Wasserversorgung – jeder kartellrechtlichen Aufsicht entzogen sind und der Verbraucherschutz ausgehebelt wird.
BSZ Bei der Trinkwasserversorgung hört man doch aber auch nichts Gutes aus unseren Nachbarländern, wenn das dort Private managen.
Haucap Bei der Trinkwasserversorgung herrscht in Deutschland aber auch schon jetzt faktisch ein Monopol der öffentlichen Hand. Es ist das letzte unregulierte Monopol und die Verbraucher werden regelmäßig abgezockt. Private Versorger gibt es dort übrigens kaum. Wenn es jetzt um Rückübertragungen in kommunale Hand geht, dann vor allem bei der Strom- und Gas- und Wärmeversorgung.
BSZ Was reizt die Kommunen denn so daran?
Haucap Da kommen verschiedene Erwartungen zusammen: den Haushalt sanieren, Renditen einfahren, ein Dividendenfundament bilden. An sich ist das ja auch keine schlechte Idee – nur eben mit Risiken behaftet. Es besteht die Gefahr, dass sich viele Städte über den Tisch ziehen lassen und am Ende muss der Steuerzahler dafür blechen. Hinzu kommt: Die Netzentgelte sind im Strom- und Gasmarkt komplett reguliert und werden durch Bundesnetzagentur und Landesregulierungsbehörden überwacht – da kann man selbst nicht viel gestalten.
BSZ Ein häufiges Argument, gerade aus dem Bayerischen Städtetag, lautet, die großen Versorger würden viel zu wenig auf Ökostrom setzen und mit Eigenbetrieben könnten die Kommunen die Energiewende stärker vorantreiben.
Haucap Wissen Sie, wie viele Ökostromanbieter es in Deutschland gibt? Hunderte! Brauchen wir da wirklich noch ein Stadtwerk mehr? Wenn Sie ein Windrad bauen, gilt der Anschlusszwang auch für private Energiekonzerne. Gleiches gilt, wenn Sie auf Ihrem Dach eine Solaranlage errichten. Für Ihre Einspeisevergütung ist das völlig egal, ob Sie in ein privates oder kommunales Netz einspeisen. Wieviel Ökostrom in Deutschland erzeugt wird, hängt allein von den Regeln des Erneuerbaren Energien Gesetzes (EEG) ab, die für private und kommunale Energieunternehmen haargenau identisch sind. Da verkauft man die Leute doch für dumm, wenn man behauptet, durch ein öffentliches Stadtwerk würde mehr Ökostrom verkauft!
BSZ Bleibt als dritter Bereich der Öffentliche Personennahverkehr.
Haucap In Einzelfällen ist das in diesem Bereich sicher gut, wenn das die Stadt selbst betreibt – aber das muss ja ohnehin europaweit ausgeschrieben werden. In Berlin allerdings hat man – es gab dafür einen juristischen Trick – auf die Ausschreibung verzichtet. Und nun schauen Sie sich den Zustand der Berliner S-Bahn an!
BSZ Vielen Städten sind aber auch die Löhne und Arbeitsbedingungen der dort Beschäftigten wichtig.
Haucap Das ist eine Vertragsgestaltungsfrage, da können Sie als Kommune vorab durchaus auch bei einem privaten Anbieter Einfluss darauf nehmen. Wenn höhere Löhne gezahlt werden für die Busfahrer, dann wird das im Übrigen über eine stärkere Subventionierung der Tickets gegenfinanziert. Oder Sie sparen als Kommune woanders – etwa bei den Kita-Plätzen. Da muss man sich als Kommunalpolitiker überlegen, was wichtiger ist. Zweimal kann man das Geld leider nicht ausgeben.
"Die Aufsicht haben Laien ohne Sachverstand"
BSZ Die Kritik scheint aber die Kommunen nicht zu berühren – zumindest erleben wir derzeit eine wahre Gründungswelle von Eigenbetrieben und Stadtwerken.
Haucap Das stimmt, da herrscht gerade Euphorie. Generell ist da auch anfangs immer viel Enthusiasmus im Spiel, die Kommunalpolitiker haben viele tolle Ideen. Aber irgendwann schießen die eben ins Kraut und werden übermütig. Die wollen sich dann ständig neue Geschäftsfelder erschließen, die mit dem ursprünglichen Bereich der Daseinsvorsorge nichts mehr zu tun haben. Ein Beispiel: Im saarländischen Völklingen – einer finanziell nicht auf Rosen gebetteten Stadt – haben sie eine Salzwasserfischzucht gebaut. Wofür bitteschön braucht eine Stadt, die rund 500 Kilometer vom Meer entfernt liegt, eine eigene Salzwasserfischzucht?!
BSZ Was passierte damit?
Haucap An dem Projekt ist fast das ganze Stadtwerk bankrottgegangen. In den meisten neu gegründeten Stadtwerken läuft es in den ersten zehn bis 15 Jahren gut – aber dann werden die ersten kapitalen Böcke geschossen und Sie als Steuerzahler müssen dafür einstehen.
BSZ Aber sollte genau das nicht durch eine wirksame Kontrolle der politischen Institutionen rechtzeitig verhindert werden?
Haucap Richtig – aber genau da liegt ein weiteres Problem der kommunalen Eigenbetriebe. In den Aufsichtsräten sitzen nicht primär Fachexperten, sondern häufig Laien, die aber so schön den gesellschaftspolitischen Querschnitt repräsentieren: der pensionierte Oberstudienrat, die Studentin, die Hausfrau. Die überwachen dann Millionen-Budgets, aber überblicken das gar nicht. So etwas würde es bei einem Privatunternehmen nicht geben. Und wenn dann was passiert, muss selbstverständlich keiner von denen haften. Es ist ja ohnehin nicht ihr Geld.
BSZ Die Kommunen argumentieren aber auch, dass in Eigenbetrieben erwirtschaftete Gewinne den Bürgern der Stadt zugutekommen – bei privaten Firmen fließt das Geld an die Aktionäre.
Haucap Das ist teils richtig, denn bevor Gewinne ausgeschüttet werden, können die Eigenbetriebe durchaus noch andere Sachen mit dem Geld machen – beispielsweise den örtlichen Eishockeyverein sponsern, weil er dem Vorstand am Herzen liegt. In Bochum beispielsweise haben die Stadtwerke den früheren Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) eingeladen, eine Rede zu halten – für 25 000 Euro Honorar! In Stadtwerken kann man sehr viel Geld loswerden. Hinzu kommt das Problem der intransparenten Vorstandsgehälter. Bei börsennotierten Aktiengesellschaften muss das per Gesetz offen gelegt werden – nicht aber bei Eigenbetrieben, die direkt der Stadtverwaltung angeschlossen sind. Darüber hinaus nutzt man das – egal ob Schwarze oder Rote – nach gewonnenen Wahlen gern als Versorgungsposten für verdiente Parteimitglieder. Es gibt Stadtwerkechefs, die verdienen deutlich über 200 000 Euro im Jahr – mehr als der Oberbürgermeister. Nach deren fachlichen Kompetenz wird aber häufig nicht wirklich gefragt.
BSZ Trotzdem scheinen die Menschen mehrheitlich zu wollen, das die Daseinsvorsorge in öffentliche Hand kommt.
Haucap Richtig, derzeit ist das so – und dass muss die Politik auch respektieren. Das Pendel schlägt aber immer mal in die eine oder in die andere Richtung. Nach der Finanzkrise sind die Menschen von der Privatwirtschaft verunsichert. Aber in einigen Jahren werden sie sich wieder über den phlegmatischen öffentlichen Dienst aufregen und eine Re-Privatisierung fordern.
(Interview: André Paul)
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