Kommunales

Der Ausländeranteil in den deutschen Kommunen beträgt im Schnitt 8,2 Prozent. Zwei Drittel von ihnen stammen von außerhalb der EU. (Foto: dpa)

08.08.2014

Jedem (s)ein Kreuz

SPD fordert Wahlrecht für alle Ausländer in Deutschland – zunächst in den Kommunen, später auch in Land und Bund

Auch in Deutschland lebende Ausländer aus einem Nicht-Mitgliedstaat der Europäischen Union sollen bei Kommunalwahlen künftig mitwählen dürfen; später müssten dann auch die Hürden für Landes- und irgendwann sogar für Bundestagswahlen fallen – so die Forderung von Ralf Stegner, SPD-Bundesvize und Partei- und Fraktionschef in Schleswig-Holstein, mithin also kein Hinterbänkler. Widerstand aus dem Lager des schwarzen Koalitionspartners vorausahnend schob Stegner hinterher, die Union möge doch „die Bedeutung dieser Frage für die Integration erkennen“.
Die Forderung selbst ist, zumindest auf Urnengänge in Landkreisen und Gemeinden bezogen, nicht neu. Schon einmal kam ein Vorstoß zu einer Revolution des Kommunalwahlrechts aus Schleswig-Holstein: Vor 25 Jahren wollte die SPD im Land lebenden Bürgern der Staaten Norwegen, Schweden, Dänemark, Niederlande, Irland und Schweiz – damals gab es noch kein Wahlrecht für EU-Ausländer – die Möglichkeit zubilligen, an kommunalen Abstimmungen teilzunehmen. Das Bundesverfassungsgericht kassierte das Gesetz später mit Verweis auf Artikel 20 Absatz 2 des Grundgesetzes, wonach alle Staatsgewalt ausschließlich von den Staatsbürgern auszugehen habe. Erst zwei Jahre später ermöglichte der Vertrag von Maastricht es Bürgern aus Ländern der Gemeinschaft, in Deutschland die Bürgermeister, Gemeinderäte und Kreistage mitzuwählen.
Die SPD aber lässt bei dem Projekt nicht locker – was nicht verwundert, wenn man sich ihre Zustimmung unter Wählern mit Migrationshintergrund anschaut: Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest Dimap vom Juli dieses Jahres bevorzugen 39 Prozent der Ausländer allgemein bei Kommunalwahlen die Sozialdemokraten – gegenüber nur 31 Prozent SPD-Anteil unter der Gesamtbevölkerung. Auch Linkspartei und Freie Wähler profitieren. Union und Grüne landen dagegen deutlich unter ihrem allgemeinen Schnitt bei 30 (statt 37) und 7 (statt 12) Prozent. Die FDP weist mit 5 Prozent in beiden Gruppen keine Veränderung auf.

Initiative aus Bremen


In Bayern startete vor vier Jahren mit einer Tagung in Zirndorf eine Initiative der Arbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte in Bayern, die Ausländern mehr politische Mitbestimmung ermöglichen soll. Immerhin zeigt sich der Freistaat im bundesweiten Vergleich am wenigsten aufgeschlossen: Anders als etwa in Nordrhein-Westfalen dürfen selbst EU-Ausländer in Bayern nur ehrenamtlich tätig werden, als Stadtrats- oder Kreistagsmitglied. Der Posten eines Bürgermeisters bleibt ihnen verwehrt. Gut 3000 Unterschriften kamen in einem ersten Kraftakt zusammen, die damalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), in Starnberg wohnhaft, signalisierte Unterstützung. Inzwischen versandete die Kampagne.
Der jüngste Anlauf zur Wahlrechtsänderung erfolgte im März in Bremen: Die Bürgerschaft – das ist dort zum einen so etwas wie in München der Stadtrat; weil Bremen aber ein eignes Bundesland ist, fungiert sie gleichzeitig auch als Äquivalent zum bayerischen Landtag – beschloss, dass EU-Ausländer eben jene Bürgerschaft mitwählen dürfen. Bisher ist ihnen nur die Abstimmung bei den Bezirksausschüssen gestattet. Doch der Bremer Staatsgerichtshof (entspricht dem bayerischen Landesverfassungsgericht) entschied, dass das Wahlrecht nicht ausgeweitet werden darf.
Normativ ließe sich lang und trefflich über das Ausländerwahlrecht streiten. Befürworter argumentieren, dass auch diese Menschen hier Steuern zahlen und somit auch mitbestimmen sollten, was mit diesen Steuern passiert. Kritiker wiederum finden, Wählen solle ein Privileg für Staatsbürger bleiben, die sich bewusst zu einem Land bekennen und eben nicht nur dort wohnen und arbeiten wollen.

Stadtrat ist kein Parlament


Die Stadträte von Köln und München dürfen EU-Ausländer also weiterhin mitwählen, die Bürgerschaften von Bremen und Hamburg aber nicht und damit wohl auch nicht die Landtage in den Flächenbundesländern: Das klingt verwirrend. Doch der Unterschied erklärt sich aus der verfassungsrechtlichen Stellung: Auch wenn der Stadtrat oder Gemeinderat umgangssprachlich gern mal als „Lokalparlament“ tituliert wird – er ist es nicht. Ein Gemeinderat oder Kreistag ist – genau wie der Bürgermeister oder der Landrat – ein wählbares Verwaltungsorgan, also ein Teil der Exekutive, nicht der Legislative. Und nur die Legislative (Landtage und Bundestag) darf Gesetze machen. Ein Gemeinderat erlässt nur Verordnungen.
Schwieriger könnte dagegen in den nächsten Jahren die Begründung werden, warum zwar Österreicher, Italiener und Dänen, nicht aber Norweger, Türken und Schweizer hierzulande bei Kommunalwahlen teilnehmen dürfen. In 15 EU-Ländern – geknüpft an unterschiedlich lange Aufenthaltsdauern – dürfen auch einige bestimmte Ortsansässige von außerhalb der Gemeinschaft mitwählen, in den Niederlanden etwa Bürger aus den ehemaligen Kolonien.
Salopp könnte man sagen: Diese anderen EU-Staaten riskieren damit auch nicht gerade viel, denn ein so hohes Maß an kommunaler Selbstverwaltung wie in Deutschland gibt es in keinem anderen Land. Die Präfekten französischer Departements etwa (vergleichbar mit einem deutschen Landrat) werden vom Präsidenten ernannt.

Innenminister: Einbürgerung wurde erleichtert


„Das kommunale Wahlrecht für EU-Ausländer setzt eine Regelungsverpflichtung des europäischen Gemeinschaftsrechts um, die für Bürger anderer Länder nicht besteht“, lautet die Position von Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) – es besteht also aus seiner Sicht kein Handlungsbedarf. Der Ressortchef verweist obendrein darauf, dass eine kommunalpolitische Mitbestimmung für diese Personengruppe zum einen über die Ausländerbeiräte möglich ist, zum anderen habe man die Einbürgerungsmöglichkeiten in den vergangenen Jahren deutlich erleichtert.
Doch nur mal angenommen, man stünde dem ganzen Projekt so aufgeschlossenen gegenüber wie Ralf Stegner, so ist es mit einem einfachen neuen Gesetz leider nicht getan. Der Bundestag müsste schon – mit Zwei-Drittel-Mehrheit – Artikel 20 des Grundgesetzes ändern. Artikel 20 GG aber – und hier wird es richtig kompliziert – unterliegt der so genannten Ewigkeitsklausel aus Artikel 79, die eine Verfassungsänderung in bestimmten Punkten untersagt. (André Paul)

Kommentare (1)

  1. Karl am 11.08.2014
    Ewarten sich die Parteien davon ein mehr an Stimmen?
    Wenn schon bei einer Wahlbteiligung von 50% eine
    Partei nur 40% der Stimmen bekommen,
    wo ist dann die Mehrheit der Wahlberechtigten?
    Da dürfte in den nächsten Jahren die Wahlbeteiligung
    noch weiter sinken!
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