Kommunales

Disponent Robert Hufnagel nimmt in Ingolstadt die Notrufe entgegen. (Foto: Lissy Kaufmann)

16.11.2012

"Laufen Sie doch mal die Straße auf und ab"

Technische Probleme und Kompetenzstreitigkeiten behindern oft noch die schnelle Hilfe in den Integrierten Leitstellen

Ein Unfall im Dunkeln, fernab von jeder Ortschaft: Wer nun die 112 ruft, weiß oft nicht, wo er sich eigentlich befindet. Eine Lösung sollten hier die Stationsnummern entlang der Straßen bringen. Doch die Bürger sind mit dem System häufig überfordert. Und das Innenministerium lässt sich mit einer Überarbeitung Zeit.
Freitagmorgen, 4 Uhr: Juliane Gruber fährt mit Freunden von einer Party in Ingolstadt auf der Bundesstraße zurück in ihren Heimatort Neuburg. Dann kommt sie von der Fahrbahn ab, das Auto überschlägt sich. Sie schafft es noch, die 112 zu wählen. Doch die junge Frau hat keine Ahnung, wo sie genau ist, welche Gemeinden sie schon passiert hat.
Die fiktive Geschichte steht stellvertretend für zahlreiche andere Fälle in Bayern, in denen Anrufer den Telefonisten der Integrierten Leitstellen nicht sagen können, wo genau ein Unfall passiert ist. Zu diesem Zweck wurden in Bayern bereits 2009 die so genannten Stationskennzeichen eingeführt: kleine, weiße Schilder auf Autobahnen, Bundes-, Staats- und Kreisstraßen, alle 500 Meter am Straßenrand postiert. Diese Zeichen sollten helfen, den genauen Ort eines Unfalls zu melden. Auf ihnen stehen der Straßenname, der Abschnitt und die Stationsnummer. Wenn ein Telefonist in der Integrierten Leitstelle diese Daten erhält und eingibt, sollte er per Mausklick sofort eine genaue Reihenfolge der nächsten zu alarmierenden Rettungskräfte angezeigt bekommen.


320 000 Datensätze


Doch die Datensätze, welche die Integrierten Leitstellen benötigen, um mit den Zahlen auf den Täfelchen etwas anfangen zu können, sind noch nicht im System. „Eigentlich hätten wir schon vor drei Jahren mit den Stationskennzeichen arbeiten sollen“, beschwert sich Jörg Pfeifer, der Leiter der Integrierten Leitstelle in Ingolstadt. „Es ist sehr ärgerlich, dass das noch nicht funktioniert.“ Zuständig dafür ist das bayerische Innenministerium. „Wir haben uns schon mehrmals an die Behörde gewandt, aber man bittet uns immer nur um Geduld.“ Auf Nachfrage heißt es dort, es handele sich um über 320 000 Datensätze, die alle „sinnvoll aufbereitet“ werden müssen. Das sei „nicht so einfach“, denn das müsste später auch „hieb- und stichfest“ sein, erklärte ein Sprecher von Minister Joachim Hermann (CSU).
In der Integrierten Leitstelle in Ingolstadt sitzen an diesem Vormittag sechs Männer an langen, einzelnen Tischen, auf jedem Schreibtisch stehen mehrere Monitoren. Zwei der Männer nehmen die Anrufe entgegen, zwei weitere disponieren die Feuerwehren, die übrigen beiden die Rettungskräfte. Sie sind zuständig für die Regionen Eichstätt, Pfaffenhofen, Neuburg, Schrobenhausen und Ingolstadt. Wer auch immer in diesem Bereich die 112 wählt, landet bei Robert Hufnagel. Im Minutentakt klingelt sein Telefon. Er muss die Stichworte eingeben: Was ist passiert, wie viele Menschen sind verletzt? Und vor allem: Wo ist der Unfall passiert. Sobald Hufnagel einen Ort eingegeben hat, erscheint auf dem linken Bildschirm eine Landkarte. Doch während es bei Unfällen und Bränden in Häusern kein Problem ist, den genauen Ort anzuzeigen, ist das auf Straßen schon schwieriger. Vor allem, weil viele Anrufer in der Hektik nicht wissen oder vergessen, wo sie gerade sind.
Doch Notfälle von unterwegs sind an diesem Morgen eher selten. Die meisten Anrufe kommen aus Praxen, Arzthelferinnen fordern Krankentransporte an für Patienten, die ins Krankenhaus müssen. Für solche Fälle sind die Stationskennzeichen allerdings irrelevant. Sie sollten eher bei Unfällen auf der Straße zum Einsatz kommen, dort, wo es meist am schwierigsten ist, die nächstgelegenen Rettungskräfte schnell an die richtige Stelle zu dirigieren.
Mit den neuen Stationskennzeichen sollte auch eine neue Bereichsfolge eingeführt werden, die detaillierter gliedert, in welchem Straßenabschnitt welcher Rettungswagen und welche Feuerwehr alarmiert wird. Derzeit gebe es, so Pfeifer, ein so genanntes Zonenmodell. Das heißt: Die Landkarte ist in verschiedene – allerdings teilweise recht grobe – Zonen unterteilt. Bei einem Unfall im August wurde das zum Verhängnis. Bei einem schweren Crash auf der Bundesstraße B 16 bei Rockolding wurde eine 63-Jährige im Auto eingeklemmt. Der Alarm ging aber nicht an die nächstgelegene Feuerwehr Ernsgaden, sondern an die Kameraden in Vohburg, die viermal so weit fahren mussten. Grund: Der Disponent bekam die Reihenfolge nach dem alten Zonenmodell angezeigt. Der Fall hatte heftige Kritik ausgelöst seitens der Ernsgadener Feuerwehr. Denn oft zählt jede Minute, zum Beispiel bei einem brennenden Auto.
Auch die meisten anderen Integrierten Leitstellen warten seit drei Jahren auf die Datensätze. Doch die Dringlichkeit wird nicht allerorts gleich beurteilt. Auf Nachfrage gaben zahlreiche Integrierte Leitstellen an, die Stationskennzeichen würde nur in ganz wenigen Fällen wirklich helfen – nämlich dann, wenn zufällig ein Beobachter oder Beteiligter genau neben einem solchen Stationskennzeichen stehe. Harald Rehmann von der Integrierten Leitstelle in Würzburg muss es am besten wissen, denn bei ihm sind die Datensätze für die Stationskennzeichen bereits in das System eingepflegt.
„Es ist eine sinnvolle Ergänzung“, sagt er. Doch die Zahl der Anrufer, die sofort die Zahlen auf den Stationskennzeichen nennt, tendiert zu null. Die Telefonisten müssten den Leuten dann sagen: „Laufen sie mal die Straße ab und suchen Sie die kleine weiße Tafel.“ Das sei aber viel umständlicher, als mit dem Rettungs- oder Feuerwehrauto den Abschnitt abzufahren, auf dem der Unfall ungefähr passiert ist. Außerdem wüssten viele Bürger gar nicht von der Existenz dieser Kennzeichen: „Hätte ich beruflich nicht damit zu tun, würde ich es vermutlich auch nicht wissen“, gesteht Rehmann. Wer bei Tempo 80 Kilometern an einem der kleinen Schildchen vorbeifährt, könnte dies gar nicht entziffern. Und sehr oft würden Unfälle auch von Leuten gemeldet, die auf der anderen Seite vorbeifahren und dann vom Auto aus im Weiterfahren die Rettungskräfte alarmieren.
„Das ist jetzt nicht der große Renner“, sagt Stephan Rudolph von der Integrierten Leitstelle in Kempten. „Doch wenn ein Unfall neben einem Kennzeichen passiert, ist es natürlich von Vorteil.“ Auch im Allgäu stehen bisher nur die Schilder auf den Straßen, die Daten im System aber fehlen. Gerade in einer Urlaubsregion, in der viele Touristen unterwegs sind, die sich nicht auskennen, könnten die Stationskennzeichen aber helfen. Die Integrierte Leitstelle Regensburg will – ebenso wie die Ingolstädter – nun nicht länger auf das Innenministerium warten. Beide Leitstellen haben selbstständig begonnen, die Daten für die jeweiligen Abschnitte ins System einzutragen, zunächst für die Bundesstraßen.
Doch noch ein weiteresProblem haben die Integrierten Leitstellen, nämlich bei Unfällen an der Grenze zum Bereich einer anderen Leitstelle. Zum einen passiert es häufig, dass Handyanrufer in Grenznähe an die benachbarte, aber offiziell nicht zuständige Leistelle weitergeleitet werden. Zum anderen ist es manchmal nötig, dass im Grenzbereich auch Rettungskräfte oder Feuerwehren aus dem Nachbargebiet informiert werden.
In beiden Fällen sollten die Disponenten die Daten des Unfalls mit wenigen Klicks weiterleiten können. Laut Innenministerium funktioniert das auch. Manche Leitstellen aber haben damit noch Probleme. „Wir müssen jedes Mal anrufen, wenn wir Rettungskräfte aus dem Nachbarbereich anfordern wollen“, erklärt Jörg Pfeifer. Und Hubert Pauly von der Leitstelle in Regensburg erklärt, dass sie die Daten sogar extra faxen müssen. (Lissy Kaufmann)

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