Kommunales

Es gibt genügend junge Ärzte - aber kaum einer von ihnen will aufs Land und den Stress einer eigenen Praxis. (Foto: dpa)

20.01.2017

Medizinernachwuchs selbst gemacht

Die Staatsregierung bleibt hart beim NC – also finanzieren Kommunalpolitiker angehenden Ärzten das Auslandsstudium

Die Berufsaussichten für junge Mediziner sind bestens: In den kommenden Jahren werden viele Praxen frei, Krankenhäuser suchen Personal und gleichzeitig sorgt die alternde Gesellschaft für Nachfrage. Und trotzdem: Es finden sich keine Hausärzte, besonders auf dem Land. An drei Orten in Franken startet jetzt eine neuartige Kommunalisierung der Medizinerausbildung – ohne Numerus Clausus, aber beargwöhnt vom bayerischen Mediziner-Establishment. „Schon jetzt sind mehr als 30 Prozent der bayerischen Hausärzte 60 Jahre oder älter, eine ähnliche Tendenz gibt es bei den Fachärzten“, sagt Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU), selbst Ärztin. „Hier haben wir in den nächsten Jahren erhöhten Nachwuchsbedarf.“ Dass zum Beispiel an der neuen medizinischen Fakultät in Augsburg – der ersten Neugründung seit 30 Jahren in dem Fach – bis 2026 insgesamt 1500 neue Studienplätze entstehen sollen, ist nicht einmal ein Tropfen auf den heißen Stein.
Kommunalpolitiker wie Christian Meißner (CSU), Landrat des Landkreises Lichtenfels, verlässt sich nicht darauf: „Wenn ich darauf warte, dass der Staat mehr Medizinstudienplätze schafft, dann kann ich lange warten.“ Er braucht den Mediziner-Nachwuchs – für die Region und für das Lichtenfelser Krankenhaus – jetzt, sofort.

Aber Medizin darf halt nicht jeder studieren, man möchte elitär bleiben: Zum Wintersemester 2016/17 haben sich in Deutschland 43 827 Menschen um einen Medizinstudienplatz beworben, zu vergeben waren aber nur 9150 freie Plätze. Der Numerus Clausus lag bei sagenhaften 1,0. Der NC ist zudem für viele schier unüberwindbar, zum Beispiel für Melissa Schwalb. Die 25-jährige Lichtenfelserin wollte „von klein auf“ Krankenschwester werden, und hat nach der Realschule – während der Ausbildung – gemerkt, dass sie „mehr wissen möchte“. Melissa hat also die allgemeine Hochschulreife nachgeholt. Weil ihre Note (2,4) für Medizin nicht reicht, hat sie zunächst eine Ausbildung zur Rettungsassistentin gemacht, aber „ich bin in einem Alter, da sind 14 Wartesemester unmöglich“, so die junge Frau bedauernd.

„Das sind die Leute, die für Medizin brennen“, sagt Christian Meißner, „und nicht zwingend die, die ein Einser-Abi haben“. Aber „das“ sind eben auch die Leute, die hierzulande nicht Medizin studieren dürfen, und das sind dann oft die Leute, die Deutschland verlassen, um im EU-Ausland Medizin zu studieren: gegen Geld, aber ohne NC und mit der Möglichkeit, später in Deutschland zu arbeiten. Aber ob sie tatsächlich jemals zurückkommen, ist fraglich.

Das beklagt auch der Kulmbacher Oberbürgermeister Henry Schramm (CSU): „Wir können doch nicht zuschauen, wie jährlich zehntausend junge Leute weggehen.“ Und er betont, dass das ganze Thema nicht nur eine medizinische, sondern auch eine gesellschaftspolitische Dimension hat: „Eine Stadt mit einer Hochschuleinrichtung hat ganz andere Stärke als ohne. Junge Menschen werden uns in Kulmbach gut tun.“ Also werden die Kommunalpolitiker selber aktiv.

Der theoretische Teil findet an der Universität Split statt


Diese drei fränkischen Projekte krempeln die Medizinerausbildung in Bayern um:
– die Regiomed Medical School: Sie schickt pro Semester 25 Studenten für drei Jahre Theorie an die „School of Medicine“ der Universität im kroatischen Split, die dreijährige Praxis findet dann an einem der Regiomed-Häuser in Lichtenfels, Sonneberg, Hildburghausen, Coburg oder Neustadt statt.
Das Studium kostet pro Jahr 9000 Euro, Regiomed vergibt Stipendien. In die Zulassung fließen ein: Motivationsschreiben, Abitur, regionaler Bezug, etwaige Vorbildung, Auswahlgespräch auf Deutsch und Englisch, Gruppengespräche und - aufgaben. Die ersten 25 Studenten sind seit Oktober in Split, unter ihnen Melissa Schwalb.

– der (noch zu gründende) Medizincampus Oberfranken: Praktische und theoretische Ausbildung sollen in Kulmbach stattfinden, in einer Art Niederlassung einer Universität aus dem EU-Ausland. Vertreter der privaten Karl-Landsteiner-Universität im niederösterreichischen Krems haben gegenüber OB Schramm bereits erklärt, dass sie sich das für 2020 vorstellen können. Details sind keine bekannt. Lediglich die bisherigen Modalitäten in Krems sind im Internet einsehbar: Zulassungsvoraussetzung sind Abitur oder vergleichbarer Abschluss, Fragebogen, Test und Interview. Das Medizinstudium gliedert sich in Bachelor Health Science (sechs Semester) und darauf aufbauend Master Humanmedizin (ebenfalls sechs Semester). Kosten: 7000 Euro pro Semester. In Kulmbach kann man sich auch vorstellen, andere, ebenso unter Nachwuchsmangel leidende, ostoberfränkische Krankenhäuser mit ins Boot zu holen. Geforscht werden soll über die medizinische Versorgung einer Region im demografischen Wandel.

die Paracelsus Medizinische Privatuniversität Salzburg: Sie betreibt schon seit 2014 auf dem Gelände des Klinikums Nürnberg einen zweiten Standort. Dort kann man innerhalb von zehn Semestern zu einem „approbationsfähigen Abschluss“ kommen. Pro Jahr werden 50 Studenten aufgenommen. Auch hier gibt es ein Aufnahmeverfahren. Kosten: 14 200 Euro pro Studienjahr. Stipendien können beantragt werden.
Im bayerischen Wissenschaftsministerium gibt man sich seit Beginn der Diskussion betont sachlich: Rechtlich sei das alles möglich, solange die Partneruniversität ihren Sitz in der EU habe. Aber ansonsten gibt es kein zustimmendes offizielles Wort aus dem Haus von Ressortchef Ludwig Spaenle (CSU), er gilt als Verfechter der herkömmlichen Mediziner-Ausbildung samt NC. Gegner der Projekte nennen sie „Medizinstudium light“ und weisen auf deren angeblich „fehlende Wissenschaftlichkeit“ hin.

Spaenle und Huml finden eher NC-Studiengänge gut


Dass auch mit dem regulären NC-Studium regionale Nachwuchssorgen gelöst werden können, das findet man zum Beispiel in Bayreuth: Die dortige Klinik ist Lehrkrankenhaus der Friedrich- Alexander-Universität Erlangen und soll eine Außenstelle des Universitätskrankenhauses werden. Der Geschäftsführer des Klinikums, Joachim Haun, sagt: „Wir gehen von einer regionalen Verbundenheit der jungen Mediziner aus, die ihre Ausbildung und ihren Karrierestart in Bayreuth absolviert haben.“

Gesundheitsministerin Huml kann zwar keine neue Medizinlehrstühle einrichten, aber kann versuchen, Mediziner aufs Land zu locken: Prämien für Niederlassungen, Stipendien für Famulaturen, Förderung von Gesundheitsregionen. Doch auch sie macht kein Hehl daraus: „Als Gesundheitsministerin geht es mir um die medizinische Versorgung in Bayern - und um die zu erhalten, sind solche Ausbildungsalternativen eine gute Idee. Auf der anderen Seite bin ich eine Anhängerin der Medizinerausbildung, wie ich sie selber durchlaufen habe.“

Es werde viel über die ärztliche Versorgung im ländlichen Raum geredet. „Wir haben beschlossen, zu handeln“, so Christian Meißner. „Wir sind nicht naiv, natürlich bleiben nicht alle da“, weiß er, „aber ein paar ganz sicher, und das ist schon was“. Über die Stipendienvergabe hat Regiomed zum Beispiel ganz konkret in der Hand, wer wie lang bleibt: Eine Bedingung für ein Stipendium ist es, bis zum Ende der Facharztausbildung (etwa sechs Jahre nach Ende des Studiums) am Regiomed-Haus zu bleiben. Für die angehende Ärztin Melissa Schwalb ist das keine Hürde: „Ich habe es noch keine Sekunde bereut, nach Split gegangen zu sein, aber dass ich später mal in der Heimat arbeiten werde, das war für mich auch schon immer klar.“
(Anja-Maria Meister)

Kommentare (2)

  1. FJM am 25.01.2017
    Wenn ein Landrat "den Mediziner-Nachwuchs – für die Region und für das Lichtenfelser Krankenhaus – jetzt, sofort" braucht, was macht es dann für einen Sinn, jetzt ein Programm zu starten, dass erst in zwölf Jahren Ergebnisse liefert? Wenn der Landrat von Lichtenfels Ärzte benötigt, warum sorgt er nicht für geeignete Rahmenbedingungen? Wieso sollte sich ein Arzt für ein Jobangebot in der Schweiz entscheiden, wenn er in Deutschland bessere Arbeitsbedingungen vorfindet?

    Die Schweiz hat kaum Probleme, ihre offenen Arztstellen mit (deutschen) Ärzten zu besetzen. Es liegt also daran, dass die Schweiz deutlich attraktivere Bedingungen als Lichtenfels zu bieten hat.

    Der ärztliche Nachwuchs ist bestens beraten, sich nicht in Lichtenfels niederzulassen. Völlig unzureichende Honorare, eine überbordende Bürokratie, Regresse, zu wenig Zeit für zu viele Patienten - das alles spricht gegen Lichtenfels.

    Lichtenfels ist nur ein zufällig gewähltes Beispiel für Ärztmangel, wenn auch ein sehr gut gewähltes. Denn der Ärztemangel in Lichtenfels betrifft sowohl den ambulanten als auch den stationären Sektor. Wenn die Politik etwas am Ärztemangel ändern will, dann wird ihr nichts anderes übrigbleiben, als für attraktivere Rahmenbedingungen zu sorgen.

    Jeder andere Ansatz wird scheitern.
  2. wolben am 25.01.2017
    Es fehlt eine Analyse, weshalb Mediziner, die in Deutschland ihre universitäre Ausbildung durchlaufen und schliesslich mit der Approbation abschliessen, spätere ärztliche Tätigkeit ausserhalb Deutschlands bevorzugen.
    Jemand in Sicht, der das spezielle System in Deutschland mit weltweit einmaliger Sozialgerichtsbarkeit - die gesetzliche Krankenversicherung in Sozialgesetzbuch V penibelst in Paragraphen geregelt - einmal auf die Attraktivität der Arbeit in "vorderster Front" mit den Patienten untersucht?
    Anders ausgedrückt, wie fällt ein "Return on investment" ärztlicher Tätigkeit in Deutschland aus?
    Ärzte in Vorstandspositionen bei den Körperschaften öffentlichen Rechts arbeiten "hinter der Front" und oft sogar jenseits der Altersgrenze, weil sie mit bürokratischem Unsinn ohne jedes persönliche Risiko wahnsinnig viel Geld verdienen.
    So sieht "bewährte Selbstverwaltung" im deutschen Gesundheitswesen aus.
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