Kommunales

Im Alltag ist von einem angeblich zusammenwachsenden Europa häufig nicht viel zu spüren. (Foto: BSZ)

29.05.2015

Nicht mal Brandhilfe ist erlaubt

Wie tschechische und deutsche Ministerialbürokratie das praktische Miteinander von Grenzkommunen verhindert

Seit Jahren reden die wechselnden Ministerpräsidenten von Tschechien und Bayern über „gute Nachbarschaft“. Wenn jetzt der tschechische Ministerpräsident Bohuslav Sobotka zu Bayerns Regierungschef Horst Seehofer (CSU) nach München kommt, wird es wieder eine Menge warmer Worte geben – aber nicht mehr. Denn um die konkrete nachbarschaftliche Kooperation in den Grenzregionen ist es schlecht bestellt, vor allem bei der Infrastruktur. Und das liegt mitnichten immer nur am fehlenden Geld, sondern auch an der Ministerialbürokratie in den Landeshauptstädten, die Kooperation häufig erschwert oder verhindert, statt zu ermöglichen.

„Wir brauchen keine Gutachter, um die Nachbarschaft mit Tsche-chien enger zu verzahnen; das wüssten wir schon selber, wenn wir es nur tun dürften!“ Michael Adam (SPD), der Landrat des Landkreises Regen, des östlichsten im Freistaat, spielt im Gespräch mit der Staatszeitung damit auf das Gutachten an, das Heimatminister Markus Söder (CSU) zu diesem Thema bestellt hat, und auf die Abhängigkeit der Grenzkommunen von desinteressierten staatlichen Stellen in Prag, Berlin und München.
Adam nennt Beispiele, wie diese die Kommunen behindern, alle nachvollziehbar in den Orten Bayerisch Eisenstein und Elezná Ruda (Markt Eisenstein). Beide Grenzorte sind im Tal des Großen Regen nahe am Arber in drei Kilometer Entfernung auf gute Nachbarschaft angewiesen. Sie leiden aber – wie alle Gemeinden hier – an Nachwuchsmangel und Abwanderung der Jugend in die Zentren.

Verkehrsinfrastruktur ist ein Trauerspiel


Es ist geschichtsträchtiger Boden: Das gesamte Gebiet im Eisensteiner Tal (benannt nach einer Eisenhütte) war eine politische Einheit, bis Böhmen und Bayern 1764 die Grenze per Vertrag festlegten. Der bayerische Teil konstituierte sich 1835 als Gemeinde Eisenstein, die seit 1951 „Bayerisch Eisenstein“ heißt. 1877 wurde die Eisenbahnlinie von Plattling über Eisenstein nach Pilsen eröffnet – ein starker Entwicklungsschub für die Region im Bayer- und Böhmerwald.
Der große Grenzbahnhof steht je zur Hälfte auf tschechischem und deutschem Gebiet. Darin befinden sich heute Museen, Ausstellungen und ein Informationszentrum über angrenzende Natur- und Nationalparke. Kurz nach dem Fall des Eisernen Vorhangs stand Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) auf einem Güterwagon und verkündete unter Beifall, die Eisenbahn werde bald wieder bis Pilsen durchfahren. Bis heute darf aber die Waldbahn von Plattling nur bis Elezná Ruda und Pizák (Dorf Eisenstein) fahren. Adam: „Der Antrag zur Durchfahrt bis Pilsen muss in Berlin und Prag genehmigt werden, er kommt dort aber nicht voran. Auf deutscher Seite mangelt es an Interesse und auf tschechischer an Kontinuität; dort wechseln ständig die Regierungen.“
Nicht viel besser steht es um den Ausbau der B 11 von Deggendorf (A 3 und A 92) über Eisenstein in die heute boomende Kulturhaupt-stadt Pilsen. „Jetzt ist der Ausbau im deutschen Verkehrswegeplan drin“, sagt Adam, „im tschechi-schen aber wieder nicht. Da besteht die Gefahr, dass er bei uns rausfliegt. Jede Seite plant nur für sich!“
Der dritte Brennpunkt an der Grenze betrifft die Feuerwehren. Auf der tschechischen Seite ist sie als Berufsfeuerwehr beim Bezirk Pilsen angesiedelt, aber die nächste Einsatztruppe in Klatovy (Klattau) ist rund 45 Kilometer von Elezná Ruda entfernt. Darum hat der Feuerwehr-Oberst von Pilsen angefragt, ob bayerische Feuerwehren die Brandlöschung im Grenzbereich (gegen Kostenersatz) abdecken könnten. Regens Kreisbrandrat, der Landrat und die Bürgermeister wollten mit dem Bezirk Pilsen dazu einen Vertrag schließen, dürfen es aber nicht – ohne ein staatliches Abkommen über Rettungsdienste ginge das nicht, heißt es. Adam ist sauer: „Wenn wir alarmiert werden, fährt unsere Feuerwehr aber trotzdem rüber. Wir schauen doch nicht einfach zu, wenn es bei den Nachbarn brennt!“

Tschechische Lehrer für bayerische Kinder: verboten


Ein Abkommen für schnelle Ret-tung und für Krankenversicherung über die Grenze wäre ebenso not-wendig. Die Kreiskrankenhäuser in Zwiesel und Viechtach haben zu wenig Hinterland mit ausreichend Patienten, die Menschen in Tschechien wiederum kein Krankenhaus in Grenznähe. Nun kommen immer mehr tschechische Patienten in die Krankenhäuser über der Grenze und zahlen zuerst privat; für normale Erkrankungen oder Unfälle zahlt die böhmische Kasse nämlich nicht. „Wir haben da glücklicherweise wenigstens keine Sprachprobleme, denn bei uns arbeiten auch viele tschechische Ärzte und Krankenschwestern.“
Das letzte Beispiel für staatlich verhinderte Nachbarschaft betrifft Kindergärten und Schulen. Bayerisch Eisenstein hat bereits seine Grundschule geschlossen, die Kinder müssen 15 Kilometer bis Zwiesel hin- und herfahren; das böhmische Eisenstein in nur drei Kilometern Entfernung verfügt über ein großes, nicht ausgelastetes Schulhaus. Auf bayerischer Seite wiederum gibt es einen Kindergarten, der den Tschechen fehlt. Eltern, Lehrer und Bürgermeister wollten nun alle Kinder gemeinsam nach Bayern in den Kindergarten und nach Tschechien in die Grundschule schicken. „Mit beiden Lehrprogrammen abgestimmt und langfristig zweisprachig“, versichert Michael Adam: „Aber das ist trotzdem nicht erlaubt, weil ja tschechische Lehrer nicht bayerische Schüler unterrichten dürfen!“ Nun hoffen alle, dass Bayerns Kultusminister und Tschechiens Schulminister bei Verhandlungen über ein Schulabkommen für die Kinder beiderseits der Grenze einen Sonderstatus zulassen. (Hannes Burger)

Kommentare (1)

  1. klaus-net am 29.05.2015
    Zwischen Ansbach und Crailsheim bestehen (obwohl nur Bundeslandgrenze) in vielen
    Infrastrukturbereichen ( a. geplanter S4-Halt nur bis Dombühl und nicht bis Schnelldorf, b. Realisierung
    eines echten Stundentaktes in beide Richtungen zwischen Crailsheim und Ansbach ) ebenso schwerwiegende bundesländergrenzbedingte innerdeutsche Defizite. Dieser Thematik sollte sich die
    Politik zuerst einmal widmen. Zuständig wären hier vorrangig die beiden Landesregierungen von BY und BW.
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