Kommunales

Mitten in Tännesberg startet der 2,5 Kilometer lange „Rebhuhnweg“: 2. Bürgermeister Hans-Peter Klünner (links) und Thomas Schwarz von der Projektgesellschaft Landimpuls begeistern sich für die Naturschönheiten. (Foto: Fuchs)

24.12.2010

Öko-Kommune der Zukunft

Tännesberg in der Oberpfalz ist die erfolgreichste Modellgemeinde für Biodiversität im Freistaat

Zugegeben, Biodiversität klingt als Begriff alles andere als sinnlich. Gemäß Artikel 2 des UN-Übereinkommens über die biologische Vielfalt versteht man darunter „die Variabilität unter lebenden Organismen jeglicher Herkunft, darunter Land-, Meeres- und sonstige aquatische Ökosysteme und die ökologischen Komplexe, zu denen sie gehören. Dies umfasst die Vielfalt innerhalb der Arten und zwischen den Arten und die Vielfalt der Ökosysteme.“ Bestandteil der Biodiversität soll also neben der Artenvielfalt die genetische Vielfalt und die Vielfalt von Ökosystemen sein.
In Tännesberg im Landkreis Neustadt an der Waldnaab leben zwar nur gut 1500 Menschen, sie haben sich diesem Gedanken aber komplett verschrieben. Das kleine oberfränkische Dorf ist inzwischen die erfolgreichste Gemeinde für Biodiversität im Freistaat, eine Öko-Kommune der Zukunft (dabei regiert Bürgermeister Max Völkl im Namen der CSU). Doch nirgendwo sonst in Bayern laufen so viele Bayernnetz-Naturschutzprojekte, in kaum einem anderen Ort sind die drei landesweit agierenden Naturschutzorganisationen (Bund Naturschutz, Landesbund für Vogelschutz und Wildland-Stiftung) zusammen mit der Kommune und dem Naturpark daran beteiligt.


Zucht historischer Rassen


Gemessen am Gemeindesäckel genehmigt Tännesberg gigantische Summen für Umwelt und Naturschutz: 55 000 Euro sind heuer zusammengekommen, 85 000 sollen es im kommenden Jahr sein. Zum Vergleich: Dafür müsste die Landeshauptstadt zirka 50 beziehungsweise 80 Millionen Euro aufbringen. Die Tännesberger haben erkannt: Die biologische Vielfalt, der Reichtum an Arten und Lebensräumen, ist Grundlage der landschaftlichen Schönheit. Die Vielfalt macht den Reiz der Landschaft aus, sie ist Voraussetzung für Erholung und Tourismus sowie Basis für gesunde Lebensmittel und sauberes Wasser. Doch trotz aller Bemühungen ist die biologische Vielfalt weltweit bedroht. Die Roten Listen der gefährdeten Arten werden immer länger, die Auswirkungen des Klimawandels sind nicht absehbar.
Anlässlich der Naturschutzkonferenz der Vereinten Nationen 2008 in Deutschland hat die bayerische Staatsregierung eine Strategie zum Erhalt der biologischen Vielfalt beschlossen, mit deren Hilfe Arten- und Sortenvielfalt bewahrt, das landesweite Biotopnetz noch enger geknüpft und die Umweltbildung verstärkt werden soll.
Tännesberg hatte in den zurückliegenden Jahren schon mehrere Naturschutzprojekte erfolgreich umgesetzt. So wurde dort nicht nur die Artenvielfalt wild lebender Tiere und Pflanzen gefördert, sondern auch auf die Zucht alter Nutztierrassen wie der Rinderrasse Rotes Höhenvieh und alte Kultursorten wie der Weizenart Emmer großer Wert gelegt.
Um neue Quellen zu erschließen und die Wasserqualität zu sichern, wurde bereits Anfang der 1990er Jahre in Zusammenarbeit mit dem Naturpark Nördlicher Oberpfälzer Wald das Projekt Kainzbachtal gestartet. Moore wurden dort wieder freigelegt, die Fichtenaufforstung nahm man aufgrund der Übersäuerung zurück, artenreiche Wiesen säumen seitdem den Kainzbach. Das Tal bietet heute einer Vielzahl seltener Tiere und Pflanzen einen wichtigen Lebensraum. Das Ackerwildkraut Kornrade, die Vogelart Bekassine, der Schwarzstorch, die Kreuzotter oder verschiedene Libellenarten: Sie alle sind vom Aussterben bedroht, aber um Tännesberg herum wieder anzutreffen.
Zur Beweidung der umliegenden Flächen wurde kurz darauf durch den Landesbund für Vogelschutz das Rotvieh-Projekt ins Leben gerufen. Die ursprüngliche Rinderart aus der Oberpfalz steht heute auf der Liste der bedrohten Rinderrassen. Die Landwirte waren dem Projekt von Anfang an aufgeschlossen gegenübergestanden, mittlerweile gibt es vier Bauern, die wieder Rotvieh halten.
Aufsehen erregte auch das Rebhuhn-Projekt der Wildland-Stiftung Bayern. Hier taten sich die Jäger besonders hervor, indem sie Hecken angepflanzt, alte Kartoffel- und Getreidesorten wie Emmer, Einkorn oder Dinkel wieder belebt hatten und so einen idealen Lebensraum für das Rebhuhn schufen. Davon profitiert wiederum der Verbraucher. Was auf den „Rebhuhn-Äckern“ wächst, kann der Feinschmecker in der Bäckerei Spickenreither am Marktplatz als Rebhuhn-Loibl kaufen. Das aus den Urgetreidesorten handwerklich eingebraute Rebhuhn-Zoigl gilt unter Bierkennern längst als Geheimtipp.


Vorteile für den Tourismus


Dies alles seien wichtige Gründe dafür, warum die 1500-Einwohner-Gemeinde zur Bayerischen Modellgemeinde Biodiversität ausgewählt wurde, erklärt Agraringenieur Thomas Schwarz von der regionalen Entwicklungsgesellschaft Landimpuls aus Regenstauf, die das Management für die Modellgemeinde übernommen hat. Ziel des Projektes sei es, eine Strategie zum Erhalt und zur Förderung der biologischen Vielfalt zu entwickeln, die einmalige Kulturlandschaft zu erhalten und das Bewusstsein für die biologische Vielfalt in der Bevölkerung zu stärken.
Geplant sind mittlerweile ein Themenwanderweg, Angebote zum aktiven Naturerleben oder zur Naturvermittlung beispielsweise in den Schulen. Daneben ist der Ankauf von über 6 Hektar naturschutzfachlich wertvoller Flächen bereits in Vorbereitung und soll noch heuer abgeschlossen werden.
Von den Projekten profitieren nicht nur die Landwirte. Sie werden über das Vertragsnaturschutzprogramm oder das Kulturlandschaftsprogramm (KULAP) entlohnt werden. Die Gemeinde hofft, auch den Tourismus wieder ankurbeln zu können. Dazu wird unter anderem ein Nordic-Walking-Stützpunkt errichtet, der sehenswerte geologische Lehrpfad erweitert. Der alljährlich am zweiten Septembersonntag stattfindende Regionalmarkt hat sich aus kleinen Anfängen heraus längst zum Renner entwickelt. Die Kosten der Bayerischen Modellgemeinde Biodiversität Tännesberg liegen bei 250 000 Euro pro Jahr (inklusive Flächenankauf und Ausgaben für das Vertragsnaturschutzprogramm). 70 bis 100 Prozent davon trägt – je nach Maßnahme – das Bayerische Umweltministerium, den Rest im Wesentlichen die Gemeinde und die verschiedenen Projektpartner. (Stephan Herbert Fuchs)

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