Kommunales

Alles voll: In den meisten bayerischen Kitas herrscht Platzmangel. (Foto: DAPD)

08.06.2012

Protest gegen "Hartz IV-Mandys"

Langzeitarbeitslose als Erzieherinnen: Kommunen reagieren empört auf den Vorschlag von Ministerin von der Leyen

Nun sollen es also die Hartz IV-Empfänger richten: Weil es zu wenig ausgebildete Kindergärtnerinnen gibt, um den Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz ab 1. August 2013 auch praktisch umzusetzen, brachte Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) jetzt den Vorschlag ins Spiel, doch Langzeitarbeitslose in die Kitas zu schicken. Bei den Kommunen in Bayern herrscht darüber Unverständnis und Empörung.
Es ist wohl ein Akt der Verzweiflung seitens der schwarz-gelben Koalition: Denn nicht nur, dass innerhalb eines Jahres deutschlandweit 750 000 Plätze geschaffen werden müssen. Es fehlen auch nach Schätzungen von Experten mindestens 25 000 Fachkräfte. Im Freistaat ist die Lage in Niederbayern am drängendsten, in Mittelfranken spüren die Gemeinden noch etwas Luft.
Formal sind für die Umsetzung des Rechtsanspruchs die Kommunen zuständig. „Und wir haben schon lang gewarnt, dass die Vorgabe nicht zu schaffen ist“, sagt Gerhard Dix, Referent beim Bayerischen Gemeindetag. „Aber anstatt vernünftig darüber nachzudenken, ob man den Stichtag nicht doch verschieben könnte, will die Regierung das Ganze nun offenbar mit Gewalt einführen.“


Auch Eltern sind skeptisch


Denn die Bedenken gegen die potenziellen neuen Kollegen sind groß und das nicht nur bei den Kindergärtnerinnen, die eine Aufweichung ihrer beruflichen Standards befürchten. Auch bei vielen Eltern haben die Hartz IV-Empfänger nicht eben ein gutes Image. Das mag nicht zuletzt durch das Klischee der Privatsender befördert sein. Dort werden die Langzeitarbeitslosen gern als faul und ungepflegt dargestellt, die rauchend und Chips kauend vor der Glotze hocken. Aber das negative Bild hat sich verfestigt. „Meinen Bub möchte ich jedenfalls nicht so einer Mandy mit Arschgeweih und Nasenpiercing anvertrauen“, schimpft eine 29-jährige Zahnärztin aus München, die wieder in den Beruf einsteigen möchte und nach einem Betreuungsplatz sucht.
Dabei versucht die Bundesregierung, diese Bedenken nach Kräften zu zerstreuen. Selbstverständlich müsste die zwei- bis vierjährige Ausbildung „strengsten Kriterien“ unterliegen und „die normalen Qualitätsstandards sicherstellen“, versichert ein Sprecher der Bundesarbeitsministerin. Doch weil es sich bei den Betreuerinnen um eine sogenannte schulische und keine duale Ausbildung handelt, hat der Bund gar nicht die Kompetenz, einheitliche Anforderungen zu erstellen. Die Vorgaben kommen von den jeweiligen Bundesländern. Und die können in Bayern ganz anders sein als beispielsweise in Brandenburg. Also auch wenn Bayern, wofür es ja bekannt ist, selbst ein hohes Level vorgibt, kann sich die besagte „Mandy“ aus den neuen Bundesländern im Freistaat doch bewerben.
Nicht zuletzt deshalb sieht Rainer Kinzkofer den Plan bestenfalls als Übergangslösung in Notfällen. Der SPD-Politiker ist Bürgermeister von Veitshöchheim und beim Deutschen Städte- und Gemeindebund stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Bildung, Kultur und Soziales. „Wir reden gerade lang und breit darüber, welchen hohen Stellenwert die frühkindliche Bildung hat und dass wir dafür sehr gut ausgebildetes Personal brauchen“, wundert sich Kinzkofer. „Da ist ein solcher Schnellschuss doch kontraproduktiv.“
Wobei ohnehin nicht klar ist, ob Ministerin von der Leyen nicht zu optimistisch rechnet. Bis zu 3000 geeignete Kandidaten will sie ausgespäht haben. Die Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg mag das freilich nicht bestätigen. Dort weiß man nur, das derzeit bundesweit bereits 11 000 ausgebildete Erzieherinnen arbeitslos gemeldet sind – womit sich die Frage stellt, warum diese Frauen trotz ihrer Qualifikation und des drängenden Bedarfs nicht in Lohn und Brot gebracht werden können.
Eine Ingolstädter Kita-Leiterin erklärt es sich so: „Kleine Kinder bedeuten Stress. Wenn man da mal für ein paar Jahre raus ist und schon älter, dann hat man einfach nicht mehr die Nerven dafür.“ Und auch wenn die Ausbildung für die Hartz IV-Empfänger sofort startet, stehen die ersten Absolventen frühestens 2014, wahrscheinlich aber erst deutlich später zur Verfügung.
Unterdessen sucht der Bayerische Gemeindetag nach Auswegen, wie möglichen Klagen von Eltern vorgebeugt werden kann, wenn sie nächstes Jahr keinen Betreuungsplatz bekommen: durch einen Ausbau der Kapazitäten bei den Tagesmüttern. „Denn der Rechtsanspruch besteht ja nicht auf einen bestimmten Platz“, erläutert Gerhard Dix. (André Paul)

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