Kommunales

06.05.2011

Richtig retten – ein Problem

Ein medizinischer Notfall in der Regionalbahn legt zahlreiche Missverständnisse und fehlende Kenntnisse offen

Ein medizinischer Notfall im Zug sollte heutzutage eigentlich keine Katastrophe mehr sein. Schließlich ist das Versorgungsnetz in Bayern gut ausgebaut und es gibt im Freistaat vergleichsweise viele Menschen mit einer Ausbildung in Erster Hilfe. Ein kürzlicher Vorfall in der Regionalbahn zeigt aber: Weil Bahn und Bürger unterschiedliche Vorstellungen über die richtige Art der Rettung haben, kann es rasch zu Missverständnissen kommen.
Die Regionalbahn RB 59162 von München nach Treuchtlingen war kurz vor dem Bahnhof Petershausen, als ein lauter Ruf durch Wagen 2 schallte: „Ist ein Arzt an Bord?“ Kurz nach der Durchsage herrschte das übliche Durcheinander in solchen Fällen: Gaffer drängelten sich im Gang, um einen Blick auf das Geschehen zu erhaschen, andere Passagiere flüsterten sich Mutmaßungen über die Art des Notfalls zu. Die Neugierigen sind übrigens nicht nur ein moralisches Problem: Eine Studie der Bundesanstalt für Straßenwesen aus dem Jahr 2010 kommt zu dem Ergebnis, dass Gaffer für über 75 Prozent der Verzögerungen bei Unfällen verantwortlich sind.
Inzwischen hatte RB 59162 den Bahnhof von Petershausen erreicht, die Türen öffneten sich – und die Passagiere boten teilweise ein erschreckendes Beispiel von Hilflosigkeit und fehlender menschlicher Anteilnahme. Ersthelfer hatten den Kranken unter den Schultern gepackt und versuchten, ihn von der oberen Etage des Zuges über die Treppen hinab zum Ausgang zu ziehen. Die blanken Füße rutschten über die Treppenstufen, bis es endlich einem weiteren Passagier gelang, sich durch die Gruppe der Gaffer zu drängen und die Beine des Mannes zu fassen. Gemeinsam wurde er nach draußen getragen.
Auf dem Bahnsteig wiederholte sich das unwürdige Schauspiel. Die drei Ersthelfer hatten vor lauter Zuschauern kaum Platz, den Bewusstlosen in die stabile Seitenlage zu bringen. Inzwischen war eine gebrauchte und blutige Nadel gefunden worden, das Schlagwort von der „Drogenvergiftung“ machte auf Bahnsteig 1 die Runde. Dass der Kontakt beispielsweise das Risiko einer HIV-Infektion birgt, schien kaum weiter zu kümmern – leichtsinnig wurde die Spritze herumgereicht, bis sie ein Mann in seinem Rucksack verstaute.
Im Zug ist die 112 falsch
Inzwischen waren ein Ersthelfer und die Zugbegleiterin in Streit darüber geraten, ob das Verhalten der Bahn-Beschäftigten korrekt war. Diese hatte nämlich noch im Zug beim Bekanntwerden des Notfalls „vorschriftsmäßig“ (wie sie immer wieder betonte) die Zentrale Leitstelle der Bahn in München angerufen. Dort wiederum werden alle relevanten Notfallnummern (Arzt, Feuerwehr) gespeichert und bei Bedarf kontaktiert. Der Ersthelfer wiederum hatte bereits während der Fahrt nachdrücklich gefordert, die 112 anzurufen. Auf diese Weise käme schneller ein Arzt zum Bahnsteig. Der Arzt kam dann tatsächlich erst eine halbe Stunde, nachdem der Passagier zusammengebrochen war, der Zustand des Kranken hatte sich inzwischen verschlechtert.
„Unsere Mitarbeiterin hat sich absolut korrekt verhalten“, argumentiert auf Nachfrage ein Bahn-Sprecher. Gerade während der Fahrt sei weder Personal noch Fahrgästen im Zug bekannt, wie der nächstgelegene Bahnhof beschaffen sei, ob es Treppen oder Rampen gibt und an welchem Bahnsteig der Wagen überhaupt zum Halten kommt. Im Freistaat käme es wöchentlich bis zu zwei Notfällen in Zügen. Eigenmächtiges Verhalten sei deshalb völlig unangebracht. (André Paul)

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