Kommunales

Organisator Friedrich Brunner formiert seine Demonstranten-Kette entlang der Innpromenade. (Foto: Denk)

06.04.2018

Schönheit vor Schutz

In Passau macht eine Bürgerinitiative gegen Hochwasserverbauung mobil – der Reiz des Stadtbilds könnte darunter leiden

Die größte Hochwasserkatastrophe der Neuzeit, die manche Stadtteile von Passau bis zu den ersten Stockwerken versinken ließ, jährt sich im Juni zum fünften Mal. Die Behörden haben aus dem Unglück gelernt, die Schutzmaßnahmen sind in vollem Gange. Einigen Bürgern gehen diese aber zu weit.

Mit staatlicher Hilfe von bis zu 85 Prozent auferstanden aus den Fluten zeigt sich die Dreiflüssestadt heute frisch renoviert in nie dagewesener Schönheit. Alles wäre also gut, säße bei manchen die Angst, dass sich diese Flut jederzeit wiederholen könnte, nicht so tief. Die Gegner der neuen Flutmauern befürchten, dass der Anmut der Kommune Schaden nimmt – wie schon geschehen in der Ilzstadt und am Anger nach der Hochwasserverbauung aus den 1960er-Jahren.

Kürzlich haben bei Eiseskälte knapp 200 Bürger mit der Menschenkette gegen neue Hochwassermauern protestiert. Der Schauplatz ist ein Ort, an dem wie bei keinem anderen die Anmut mit Bagger und Beton zerstört werden würde: die Innpromenade im südlichen Neumarkt, gesäumt von einer streckenweise dreireihigen Kastanienallee, rund 120 Bäume, viele 150 Jahre alt; die Allee ist eine von einem Dutzend ausgewiesenen städtischen Naturdenkmälern. „Wo sind die Reißnägel?“, fragen Kinder. Sie wollen die roten Papierherzchen an die Rinde einer alten Kastanie heften, ihren Patenbaum markieren. „Doch nicht mit Reißnägeln, das könnte den Baum verletzen“, mahnt Urban Mangold (ÖDP), der Zweite Bürgermeister. Er hat sein rotes Herz geschickt in eine Schuppe der Rinde geschoben. Hält auch.

Knapp 200 Vereinsmitglieder bilden eine Menschenmauer

„Sollen wir tatenlos zusehen, bis der Stadtratsbeschluss zur Zerstörung der Innpromenade gefallen ist?“ Heinz Madeker, schlohweißes Haar, pensionierter Pastoralassistent und passionierter Radfahrer, eines der ältesten Mitglieder im sogenannten Stadtbildbewahrerverein namens „Forum Passau“, hält ein Plädoyer für „kreativen Protest“. Die Bürger sollen sich in regelmäßigen Abständen treffen am Naturdenkmal Innpromenade und eine Menschenkette bilden: eine symbolische Menschenmauer zum Protest gegen die geplante Flutmauer. „Er hat uns überzeugt“, sagt Forumsvorsitzender Friedrich Brunner. Zum Frühlingsanfang fand die Auftaktveranstaltung statt und Brunner, der Kunstmaler, steuerte die Idee mit den roten Herzen bei. „Jeder sucht sich einen Patenbaum!“, forderte er die knapp 200 Mitglieder der Menschenmauer auf. Seine 70 Papierherzen reichten nicht aus.

Im Februar 2015 hatten die Stadträte einstimmig beschlossen, weitere 200 000 Euro für die Planungen des Hochwasserschutzes bereitzustellen: Bis zu zwei Meter hohe, kilometerlange Betonmauern sollen weitere Stadtteile schützen, darunter den nördlichen Neumarkt an der Donau und den südlichen am Inn sowie die etwa drei Dutzend Häuser in der Senke am Unteren und Oberen Sand. Ihnen vorgelagert liegt die Innpromenade mit der 150 Jahre alten Kastanienallee. In nicht-öffentlichen Sitzungen eines ausgewählten Hochwasserschutzforums haben sechs Landschaftsarchitekturbüros ihre Ideen vorgestellt: Wie könnte die Flutmauer an der Innpromenade möglichst schonend für den Baumbestand umgesetzt werden?

Die besten Entwürfe wird eine Jury in geheimer Sitzung am 2. Mai auswählen. Sie werden dem Stadtrat zur Entscheidung vorgelegt. Vertreter aller Stadtratsfraktionen, des Architekturforums und des Vereins „Forum Passau“, der Denkmalpflege und der Stadtplanung gehören dem Kreis des Hochwasserschutzforums an.

Die Hochwassermauer an der Innpromenade gehört neben der Nordtangente zu den umstrittensten Passauer Bauprojekten dieses Jahrzehnts. Die Bürgerinitiative „Rettet die Innpromenade“ mit dem Verein „Forum Passau“ an der Spitze will als letztes Mittel zum Bürgerbegehren greifen. Die Baumaßnahme scheint politisch so gut wie entschieden zu sein. Es stellt sich im Rathaus derzeit wie folgt dar: Die SPD (zwölf Sitze) mit dem Oberbürgermeister bildet zusammen mit der CSU (zwölf Sitze) eine solide Pro-Mehrheit; die FDP (zwei Sitze) ist wohl für den Hochwasserschutz; die ÖDP (sechs Sitze) und die Passauer Liste (drei Sitze) kämpfen geschlossen dagegen; die Freien Wähler (drei Sitze) sind unentschlossen, die Grünen (fünf Sitze) sind gespalten.

"Ich hätte es dem Stadtrat gern erspart", gesteht OB Dupper

Die Landschaftsarchitekten haben dem Naturdenkmal Kastanienalle einen hohen städtebaulichen Wert zugemessen. Drei Büros verlegten deshalb die Hochwassermauer ziemlich ufernah, was viele Bäume retten könnte, aber gravierende Auswirkungen auf die Optik von der Innstadt her hätte; ein anderes verlegte die Mauer direkt an den südlichen Fahrbahnrand der Gottfried-Schäffer-Straße und räumte damit die Parkplätze ab. Diese Mauerführung hätte den Vorteil, dass der Park vom Verkehrslärm abgeschnitten würde, für die Bewohner der Häuserzeile dagegen würde er lauter. In anderen Varianten würden ganze Baumreihen fallen, die Allee wäre amputiert. „Eine Zauberlösung hatte niemand zu bieten. Am Ende standen wir wieder da, wo wir am Anfang standen“, sagt ein Teilnehmer resigniert.

Die grüne Lunge im Herzen der Stadt geht auf das Geschenk eines ehemaligen Fürstbischofs zurück, Joseph Franz von Auersperg (1734 bis 1795). Er ließ die Promenade mit Park zur Erholung und Erbauung für die Passauer anlegen. Solche Treffpunkte sollten die sozialen Schranken abbauen. Jeden Dienstag ab 18 Uhr werden künftig Vertreter der Bürgerinitiative an der Innpromenade mit einem Infostand anwesend sein, um mit Bürgern zu diskutieren. Für Madeker ist die Teilnahme Ehrensache. Die nächste größere Veranstaltung wird am Dienstag, 1. Mai abgehalten. „Wir wollen an diesem Tag allen Wohltätern der Kastanienallee danken: vom Fürstbischof von Auersperg bis zur Stadtgärtnerei“, kündigt Friedrich Brunner an.

OB Jürgen Dupper (SPD) mahnt: „Wir müssen uns nicht in Wertschätzung der Innpromenade überbieten.“ Es sei „nicht die schönste Lösung“, er hätte dem Stadtrat gerne solch Entscheidungen erspart; aber mit zunehmenden Katastrophenlagen werde der Freistaat nicht mehr so leicht seinen Geldbeutel öffnen wie 2013.
(Hubert Denk)

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