Kommunales

Nichts wie raus hier: Der Regionalexpress aus Nürnberg fährt in den Münchner Hauptbahnhof ein. (Foto: Paul)

04.07.2014

Schwitzen für den Druckausgleich

Auf der Strecke zwischen Nürnberg und München ist die Bahn längst an ihre Leistungsgrenzen gestoßen.

Stärker als die meisten anderen Strecken im Freistaat legt die Zugverbindung von Nürnberg nach München immer wieder aufs Neue die Fehlentwicklungen und Versäumnisse bei der Bahn bloß. Die Route zwischen der Landeshauptstadt und der fränkischen Metropole gehört zu den am stärksten frequentierten Schienenwegen im Land; das rechtfertigt manches, aber nicht alles.
Am Dienstagmorgen, 8.40 Uhr, Bahnhof Pfaffenhofen an der Ilm, der Regionalexpress aus Nürnberg rollt mit gut fünfminütiger Verspätung ein. Er wird vor allem von Pendlern genutzt, entsprechend gut gefüllt ist er täglich, ein Sitzplatz für die knapp 30 Minuten Fahrzeit also eher Glückssache. Insofern mochten die über 100 Wartenden ihren Augen kaum trauen, als statt der üblichen vier bis fünf Wagen nur drei einrollen. Beim Öffnen der Türen präsentiert sich den Wartenden dann ein Anblick wie bei Überlandfahrten zwischen Bombay und Kalkutta: die Sitzplätze, der Gang, alles übervoll, der Passagier mutiert zur Ölsardine. Die Toilettentür steht weit offen und bietet ungewollte Ausblicke.

"Ist wie bei einem alten Auto"


„Die Wagen sind kaputt derzeit, werden repariert, und ob sie diese Woche wieder zum Einsatz kommen kann ich nicht sagen“, teilt der freundliche Zugbegleiter auf Nachfrage mit. Das hätte man sich fast denken können, auch die ergänzende Auskunft, dass es sich um bereits deutlich angejahrte Modelle handelt bei den besagten Wagen und deshalb naturgemäß mit häufigeren Ausfällen zu rechnen sein müsse in den nächsten Monaten. „Ist eben auch nicht anders als bei einem alten Auto, das muss ja auch öfters in die Werkstatt.“
Gut, aber man könnte seitens der Bahn ja wenigstens dafür sorgen, dass sich die natürliche menschliche Ausdünstung nicht in unheilvoller Weise verbindet mit den sommerlich hohen Außentemperaturen und im Zuginneren ein Klima schafft, geeignet zum Anbau von Tomaten. „Dafür gibt es ja die Klimaanlage“, erklärt der Zugbegleiter geduldig. Und begründet ob der kaum spürbaren Wirkung derselben dem verwunderten Reisenden auch gleich, warum das so ist: „Die Kapazität der Klimaanlage ist für eine solche Überfüllung der Wagen nicht ausgelegt. Hier geben gerade viel zu viele Menschen ihre Körperwärme ab.“ Auch klar, und die seligen Erinnerungen an die Eisenbahnerlebnisse der Kind- und Jugendzeit werden wach, so vor 30 Jahren, als man in derlei Fällen einfach das Fenster öffnete für ganz normale frische Luft.
„Das dürfen wir aber heutzutage aus Sicherheitsgründen nicht mehr“, ist vom Zugbegleiter zu erfahren, „bei hohen Geschwindigkeiten ist da besonders in Tunneln der Druckausgleich nicht mehr garantiert“, kommuniziert er noch immer nachsichtig und verständnisvoll. Wenn nicht in die Modernisierung der Technik, so scheint die Bahn doch wohl in die psychologische Kompetenz ihrer Beschäftigten zu investieren, Deeskalation wird großgeschrieben. „Aber der Zug schafft doch ohnehin kaum die Höchstgeschwindigkeit, meist fährt er Schritttempo oder hält gleich ganz an, wenn ihm ein anderer Zug entgegenkommt?“ Der Zugführer lächelt schweigend, dass es einem Siddhartha Gautama alle Ehre machen würde.

Bald noch mehr Pendler


Eine Debatte darüber, dass man die alten Wagen ja längst gegen neuere Versionen hätte eintauschen können, wäre nun ebenso selbstverständlich wie müßig. Bekanntermaßen hat der Staat ja – trotz Rekordsteuereinahmen und kalter Progression und sinkender Arbeitslosigkeit – noch immer zu wenig Geld für seine Verkehrs-, Bau- und Infrastrukturaufgaben beziehungsweise gibt selbiges etwa für einen Flughafen im Nordosten der Republik aus, von dem keine Flugzeuge starten. Den Flughafen wiederum verantwortet – es klingt wie aus einer Tragikomödie – nun ausgerechnet jener Mann, der mit seinem Sparprogramm die Bahn überhaupt erst auf das derzeitige Niveau gebracht hat.
Bis 2016, vielleicht aber auch 2017, keiner weiß es genau, keiner mag sich mittlerweile mehr verbindlich festlegen bei deutschen Verkehrsprojekten, sollen dann wohl die neuen Wagen des Regionalexpress fahren auf der Strecke zwischen Nürnberg und München. Momentan werden die aus Tschechien stammenden Wagen noch für den Einsatz getestet. Die Zahl der Pendler, der Prosperität der Metropolregion München sei dank, dürfte bis 2017zwischen München und Ingolstadt nochmals um fünf bis acht Prozent gestiegen sein.
Womöglich ließe sich die Situation vorher entspannen, wenige, mutige Entscheidungen wären dafür notwendig wie etwa jene, den Fahrpreis zwischen München und Nürnberg zu verteuern. Doch das Bayernticket etwa spült zum Spottpreis – 39 Euro für fünf Personen – wochentags zahlreiche fidele Vergnügungsreisende in die Züge, die all jenen den Platz streitig machen, die mit der Bahn fahren müssen. Und bei Petershausen etwa könnte der Regionaexpress getrost ohne Halt vorbeifahren, schließlich steht ab dort ja auch die S 2 Richtung München zur Verfügung – grotesk, wie die manchmal fast leere S-Bahn neben dem Regionalexpress herrollt, weil zehn Minuten Fahrtstreckenersparnis bis München manchem Langschläfer unverzichtbar erscheinen.
„Wir erleben im Zug tagtäglich die Auswirkungen der Ideen von Verkehrspolitikern, die in klimatisierten Autos mit Ledersitzen von ihren Wohnungen zum Büro kutschiert werden“, meint der freundliche Zugbegleiter und tupft sich dezent den Schweiß von der Stirn. Gleich erreichen wir München Hauptbahnhof, immerhin nur acht Minuten zu spät – die Tortur startet sofort retour. (André Paul)

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