Kommunales

Die Stadt Traunstein verlor - mit 22 anderen bayerischen Kommunen - im Zuge der Kommunalgebietsreform von 1972 ihre Kreisfreiheit und wurde fortan mit dem Titel "Große Kreisstadt" getröstet. (Foto: dpa)

30.11.2015

Städtetag warnt Länder vor Zwangseingliederung in Landkreise

Kommunaler Spitzenverband sieht Prinzipien der Selbstverwaltung bedroht

Der Deutsche Städtetag appelliert an die Länder, bei geplanten kommunalen Gebietsreformen die Gestaltungsmacht kreisfreier Städte nicht durch den Entzug der Kreisfreiheit einzu­schränken. Kreisfreie Städte garantieren Bürgernähe und kurze Wege für die Bürgerinnen und Bürger. Die Menschen begreifen sich in erster Linie als Bürger ihrer Stadt. Das machen Oberbürgermeister und weitere Kommunalpolitiker aus ganz Deutschland während der Tagung „Einkreisung. Selbstverwaltung und Gestaltungsspielräume der Städte in Gefahr“ am Montag, 30. November 2015,  in Frankfurt (Oder) deutlich.  Der Deutsche Städtetag weist die Länder nachdrücklich darauf hin, die Grundsätze der kommunalen Selbstverwaltung zu erhalten und das staatliche Prinzip der Subsidiarität zu achten, wonach Aufgaben und Entscheidungen so weit wie möglich von der untersten staatlichen Ebene – also der Kommune und ihren Bürgern – wahrgenommen werden sollten. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Stephan Articus, erklärte: „Was von den Ländern positiv klingend Gebietsreform genannt wird, steht häufig für den Entzug der Kreisfreiheit von Städten und beschneidet damit das Recht der Stadtbevölkerung, die eigenen Angelegenheiten in eigener Verantwortung zu regeln.  Das ist nicht akzeptabel, denn Städte sind erster Ansprechpartner für die Bürger. Kreisfreie Städte stehen ganz wesentlich für die wirtschaftliche, soziale, kulturelle und verkehrliche Entwicklung in ihren Regionen.  Der Deutsche Städtetag fordert deshalb von den Ländern, bei Gebietsreformen auf den Entzug der Kreisfreiheit von Städten zu verzichten.“  Mit Blick auf die geplante Verwaltungsstrukturreform in Brandenburg sagte der Oberbürger­meister der Stadt Frankfurt (Oder), Martin Wilke: „Niemand bestreitet ernsthaft den Reformbedarf bei den Verwaltungsstrukturen. Wir alle müssen den demografiebe­dingten Herausforderungen Rechnung tragen. Hierfür benötigen wir einen Fahrplan, der den Weg in eine moderne und bürgerfreundliche Verwaltung aufzeigt. Starke und handlungsfähige Städte, die eine zentralörtliche Funktion als Oberzentrum umfassend ausüben können, sind dafür unverzichtbar. Die geplanten Einkreisungen schwächen diese Städte aber und schränken ihre kommunale Selbstverwaltung ein. Was wir brauchen, sind neue Impulse für Wachstum und Entwicklung und zukunftsfähige Rahmenbedingungen.“

Ein Landkreis, größer als das Saarland


Bisher liegen nach wie vor keine belastbaren Evaluierungen der Ergebnisse der Reform­maßnahmen der jüngsten Reformwelle in den neuen Ländern vor. Im Ergebnis der Kreisgebietsreform in Mecklenburg-Vorpommern, die im Jahr 2011 begann, ist beispiels­weise der Landkreis „Mecklenburgische Seenplatte“ mehr als doppelt so groß wie das Saarland und damit der größte Kreis Deutschlands. Auch die Stadt Neubrandenburg verlor ihre Kreisfreiheit. Paul Krüger, Oberbürgermeister a.D. von Neubrandenburg, zieht das Fazit: „Trotz hehrer Zielestand bei der Umsetzung der Reform ausschließlich die Kostensenkung durch Personalabbau im Fokus. Inzwischen ist klar, dass die Reform zu mehr Zentralismus, zu mehr Bürokratie und zu weniger Bürgernähe führte und vor allem erkennbar, dass sich aus der Reform negative Folgen für die Entwicklung der Region ergeben werden.“ Den umgekehrten Weg hat sich die bisher kreisangehörige Stadt Reutlingen zum Ziel gesetzt. Im Juli stellte die Stadt beim Land Baden-Württemberg den Antrag auf Gründung eines Stadtkreises. Das entspricht der Kreisfreiheit in anderen Bundesländern. Für Reutlingens Oberbürgermeisterin Barbara Bosch ist das die logische Folge, um der Sonderstellung als weiter wachsende Stadt gerecht zu werden: „Ein derart krasses Missverhältnis zwischen der Aufgabenfülle einer Großstadt und deren Finanzierung gibt es nirgendwo sonst in Baden-Württemberg, weil alle anderen Großstädte als Stadtkreis entsprechende Ausgleichszahlungen erhalten. Reutlingen hat bisher nicht die Souveränität eines Stadtkreises, das Subsidiaritätsprinzip ist nicht umgesetzt, die kommunale Selbstver­waltung ist eingeschränkt. Es geht für Reutlingen darum, die für Großstädte vernünftige und bewährte Verwaltungsstruktur zu übernehmen. Es ist für die Zukunftsfähigkeit der Stadt entscheidend, dass Reutlingen die gleichen Rechte und Gestaltungsmöglichkeiten erhält.“

Sechs Punkte umfassende Resolution

In einer sechs Punkte umfassenden Resolution hat der Deutsche Städtetag ausgeführt, welche Vorteile sich aus der kommunalen Selbstverwaltung der kreisfreien Städte ergeben und welche negativen Folgen der Verlust der Kreisfreiheit bislang kreisfreier Städte haben würde: 1. Eine pauschale Priorisierung von Kreisen zu Lasten der Städte und Gemeinden ist rechtlich fragwürdig und deshalb grundsätzlich abzulehnen. Das gilt umso mehr, wenn die Einkreisung nur deshalb erfolgen soll, um den Funktions- oder Einwohnerverlust von Landkreisen aufzuhalten oder zu verzögern. 2. Der allgemein bestehende Trend zur Verstädterung muss seitens der Länder die Stärkung städtischer Gestaltungsmacht zur Folge haben und gerade nicht eine Stärkung der Kreise. 3. Zwischen kreisfreien Städten und ihren Umlandgemeinden existieren leistungsfähige Kooperationen und beachtenswerte Formen der Zusammenarbeit, welche durch den Entzug autonomer städtischer Handlungsmöglichkeiten gefährdet wären. 4. Kreisfreie Städte gewährleisten die Attraktivität der Städte als Standorte für Unternehmen und private Haushalte und sorgen in nicht unerheblichem Maße dafür, dass Vorteile der Städte erhalten bleiben wie beispielsweise die umfassende Versorgung eines weiten Umlands mit einem spezialisierten, gehobenen Bedarf. 5. Kreisfreie Städte garantieren den Bürgern Ortsbezug, Erreichbarkeit und Bürgernähe. Jede Verlagerung von Verantwortlichkeiten auf eine dem Bürger unvermeidlich weniger direkt zugängliche Ebene ist ein Rückschritt. 6. Einkreisungen beschränken massiv die finanzielle Handlungsfreiheit bislang kreisfreier Städte, obwohl bis heute kein Nachweis erbracht worden ist, dass damit gleichzeitig auch wirklich Effizienzsteigerungen bzw. Kosteneinsparungen bei den Verwaltungen zu erzielen sind. (BSZ)

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