Kommunales

Immer mehr Spielcasinos in den Städten werden zum Risiko. Foto DAPD

05.04.2012

Sucht-Behandlung kommt teuer

Zahl der Abhängigen nimmt seit Jahren kontinuierlich zu

Das Phänomen Spielsucht, sagen Experten der bayerischen Landesstelle Glücksspiel, steigt seit der Jahrtausendwende rasant an. Eine Beobachtung, die von bayerischen Kommunen geteilt wird. „Auch in unserer Stadt hat Spielsucht ebenso wie Alkoholsucht in den letzten Jahren zugenommen“, sagt Carla Willer vom Landratsamt im mittelfränkischen Ansbach. Ihr Kollege Josef Ehrl aus Deggendorf macht ähnliche Beobachtungen. Der Bedarf gerade bei der Spielsucht, aber auch bei Essstörungen übersteige das Angebot, sagt er.
Mit Appellen wie „Sucht ist keine Schande!“ werden Abhängige ermuntert, eine Beratungsstelle aufzusuchen. Immer mehr tun dies auch, weshalb die Wartelisten länger werden. „Die Suchtberatungsstelle unseres Landkreises stößt an ihre Leistungsgrenze“, bestätigt Ehrl. Eine Sozialpädagogin berät und begleitet an rund 20 Stunden pro Woche Deggendorfer Suchtkranke und deren Angehörige. Ehrl: „Zurzeit steigen die Anfragen, die Betroffenen müssen mit Wartezeiten bis zum Erstgespräch rechnen.“
Dies gilt auch für Altötting. „Den Hilfesuchenden müssen teilweise Wartezeiten von mehreren Wochen zugemutet werden“, erklärt Gesundheitsamtsleiter Dr. Franz Schuhbeck.
Welch skurrile Blüten das auch in seinen Augen seit Jahren ungebrochen brisante Thema „Sucht“ in öffentlichen Diskussionen treiben kann, darauf verweist sein Kollege Winfried Strauch, Leiter des Gesundheitsamts in Bamberg. „Wir wurden 2010 ausgerechnet von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen an den Pranger gestellt als die Stadt mit den meisten Koma saufenden Jugendlichen“, erinnert er. Laut DHS mussten in Bamberg 2007 und 2008 insgesamt 115 junge Menschen bis zu 19 Jahren in einer Klinik ausnüchtern. Das waren im Jahresdurchschnitt neun von 1000 Heranwachsenden dieser Altersgruppe. Bundesweit lag der Anteil mit drei von 1000 deutlich darunter.
Laut Straub hängt dies jedoch damit zusammen, dass das Thema „Jugend und Alkohol“ in Bamberg weniger stiefmütterlich behandelt wird als möglicherweise in anderen Kommunen: „Wir thematisieren das Problem seit Jahren.“ Früher durch Projekte wie „Mit 13 voll im Leben“, aktuell mit „Hart am Limit“ (HaLT) – daher die hohe Sensibilität in seiner Stadt. Dass nicht überall ausreichend Prävention betrieben wird, liegt Straub zufolge an mangelndem Personal: „Die Kommunen versuchen es mit Mitarbeitern vom Jugendschutz oder vom allgemeinen Sozialdienst, bleiben aber bei klammen Kassen immer bescheiden.“ Der Staat müsste deutlich mehr Geld in Vorbeugung durch die Gesundheitsämter investieren.
Um junge Menschen davor zu bewahren, bei Problemen in eine Traumwelt aus Alkohol abzutauchen, gibt es in Ansbach einen Arbeitskreis „Prävention für die Stadt und den Landkreis“, dessen „schlüssiges Konzept“ von Suchtexperten gelobt wird. „Wir setzen auf eine zielgerichtete, nachhaltig wirksame Prävention“, sagt Holger Nießlein, Sozialreferent der kreisfreien Stadt. So wird heuer im August beim Taubertalfestival zum vierten Mal die Aktion „Tanzen statt Torkeln“ stattfinden. Wie wichtig Suchtvorbeugung gerade für junge Menschen ist, bestätigt Franz Schuhbeck aus Altötting: „Der Beratungsbedarf Jugendlicher die ‚missbräuchlich’ oder ‚suchtgefährdet’ sind, hat bei uns stark zugenommen.“
In Unterfranken unterzogen sich Suchtfachkräfte der Mühe, die Situation in den einzelnen Kommunen akribisch zu analysieren. Ein volles Jahr waren sie damit beschäftigt. Heraus kam ein „Suchtkonzept“ mit dem Fazit: Überall in der Region, vor allem aber am Bayerischen Untermain, müsste das Angebot „dringend“ verbessert werden. Ausgehend von der durchschnittlichen Personalausstattung in Bayern wäre eine Verdoppelung des Beratungspersonals erforderlich. Derzeit verfügt die Region über sechs Fachkräfte wie Psychologen oder Sozialpädagogen. Rein statistisch muss sich jede Fachkraft um über 1100 alkoholabhängige Menschen am Untermain kümmern.
Auch das unterfränkische Suchtkonzept konstatiert, dass immer mehr Menschen Gefangene der virtuellen Welt werden. Bis zu sechs Prozent aller Internetnutzer sind dem Suchtkonzept zufolge als „süchtig“, doppelt so viele als „stark gefährdet“ zu betrachten. Die ohnehin stark beanspruchten Beratungsstellen bekämen durch die neuen Abhängigkeitsformen „Pathologisches Glücksspiel“ und „Online-Sucht“ neue und zusätzliche Klienten. Das bringe viele Einrichtungen an ihre Kapazitätsgrenzen. Ganz zu schweigen davon, dass die Mitarbeiter nicht unbedingt qualifiziert für die Therapie verhaltenssüchtiger Menschen seien.
Würde er alle Forderungen der Autoren des Suchtkonzepts erfüllen, so der Bezirk Unterfranken, würden Kosten auf ihn zukommen, die in der aktuell prekären Haushaltslage nicht zu schultern wären. Eine Schlüsselverbesserung bei den psychosozialen Suchtberatungsstellen sei darum „derzeit nicht realisierbar“. Auch wird es keinen Ausbau der stationären Versorgung geben. Spielsüchtige dürfen ebenfalls nicht auf mehr Hilfe hoffen. „Für den Bereich der Essstörungen und des Glückspiels“, lautete die Antwort des Bezirks auf das Suchtkonzept, „werden die Psychosozialen Arbeitsgemeinschaften beauftragt, die weitere Entwicklung zu beobachten und darüber zu berichten.“ (Pat Christ)

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