Sie heißen „Dorfladen“, „Marktladen“, „Klostermarkt“, „Schlossmarkt“, „Minimarkt“ oder „Miniladen“: In 109 bayerischen Gemeinden sind innerhalb der letzten zehn Jahre neue Dorfläden entstanden, viele als Kooperative. Aber das neue Tante-Emma-Laden-Idyll trügt: Auf jeden neuen Dorfladen kommen sechs zuvor geschlossene Geschäfte. Und auch das Lädchen ums Eck steht vielerorts schon wieder vor dem Aus.
Jeden Monat machen fünf kleine Läden im Freistaat zu. Oft wissen die Bürgermeister nicht, wie sie rettend eingreifen können. Wenn der Bürgermeister von Bayerisch Eisenstein durch seine knapp 1050 Seelen zählende Gemeinde geht, dann könnte er manchmal verzweifeln. „Ich weißt ja nicht einmal wie ich helfen darf“, sagt Thomas Bauer (FW).
Jetzt versucht er es mit einem offenen Brief an die Bürger. Darin bekniet der Rathauschef die Menschen, den Dorfladen am Leben zu halten. „15 Euro pro Woche für jeden Bürger, das würde ja schon reichen“, rechnet Bauer vor. Der Einkauf im 15 Kilometer entfernten Zwiesel schlage ja bereits mit 50 Cent Kilometergeld für den Treibstoff zu Buche, ganz zu schweigen vom ökologischen Fußabdruck, der Zeit oder fehlender Mobilität. Ein einziges Mal in sieben Jahren habe der kleine Laden eine schwarze Null geschrieben. Jetzt sind die Rückstellungen aufgebraucht. Die teure Registrierkasse mit IT-Anschluss für das Finanzamt, neuerdings Pflicht, und die Abhängigkeit vom Tourismus machen dem Genossenschaftsladen das Leben schwer.
„Mit Ehrenamtlichen kommen Sie nicht weit“
Nicht jeder Bürgermeister kennt einen Unternehmensberater wie Wolfgang Gröll. Seit 20 Jahren gründet er erfolgreich mit Bürgern und dem Netzwerk Dorfladen Genossenschaftsläden, die auch wirtschaftlich überleben. „Ohne klares Konzept und die Bereitschaft zu Innovation geht es nicht“, sagt Gröll. „Mit Ehrenamt kommen Sie da nicht weit.“ Der Geschäftsmann bemängelt die oft auch wirtschaftliche „Ahnungslosigkeit“ in den Rathäusern und Landratsämtern. Die Dorfläden sollen die Nahversorgung sichern, aber auch attraktive Arbeitsplätze schaffen. „Das geht nur mit einer finanziell soliden Basis.“
Die Beratungstätigkeit ist ein durchaus einträgliches Geschäft für den Unternehmer. Und er macht seinen Job gut. Das bescheinigt ihm auch der SPD-Landtagsabgeordnete Klaus Adelt, früher selbst Bürgermeister im strukturschwachen Oberfranken. Adelt sieht die Staatsregierung in der Pflicht und fordert seit Jahren eine kostenlose und unabhängige Beratungsstelle für Betreiber von Dorfläden. Außerdem will er den Kommunen eine Sonderförderung von rund zwei Millionen Euro pro Haushaltsjahr bereitstellen und verweist auf Artikel 83 Abs. 1 der Bayerischen Verfassung: Danach sei die Staatsregierung verpflichtet, die Nahversorgung aller Bürger zu sichern – und zwar „in fußläufiger Erreichbarkeit“, so Adelt. Ein Leitfaden zur Gründung eines Dorfladens, ein paar Flyer und gute Ideen auf einer Webseite reichen nicht aus, wettert der SPD-Politiker.
Besonders engagiert in Bayern sind die Schwaben
Im bayerischen Wirtschaftsministerium stößt Adelt damit auf taube Ohren. Zur Begründung des ablehnenden Bescheids heißt aus dem Haus von Ressortchefin Ilse Aigner (CSU): Ein Bürgermeister könne sich „nicht um Bananen und Windeln“ kümmern. Staatssekretär Franz Josef Pschierer (CSU) hält Adelts Anträge für „überflüssig“ und verweist auf die besagten Neueröffnungen in 109 Gemeinden innerhalb der vergangenen zehn Jahre.
Besonders engagiert dabei sind übrigens, was den Augsburger Pschierer freuen dürfte, die Schwaben: 30 der neuen Läden (und damit fast jeder Dritte) sind in diesem Bezirk eröffnet wurden, 29 in Oberbayern, 15 in Unterfranken. Mittelfranken hat zwölf Läden aufgebaut, je neun gibt es je in Oberfranken und der Oberpfalz. Das Schlusslicht ist Niederbayern mit ganzen fünf Dorfläden.
Klaus Adelt dagegen verweist auf die 510 Gemeinden in Bayern, die gar keinen eigenen Lebensmittelladen mehr besitzen, 153 davon nicht mal mehr einen Bäcker. „Seit 2005 schwinden die Lebensmittelläden im zweistelligen Prozentbereich. In manchen Landkreisen sind es mehr als 30 Prozent“, klagt Adelt.
Besonders dramatisch ist die Lage in den Landkreisen Neustadt (ein Rückgang von 37,1 Prozent), Hof (34,2 Prozent), Bad Kissingen (33,8 Prozent) (31 Prozent) und Coburg (30,5 Prozent). Der Rest der Kreise liege ausnahmslos bei mehr als 20 Prozent. „Die Staatsregierung schaut seelenruhig zu, wie die Nahversorgung im ländlichen Bereich zugrunde geht“, beschwert sich der SPD-Abgeordnete.
Zuschuss aus freiwilligen Leistungen ist rechtlich umstritten
Den Vorwurf der CSU, er betreibe staatlichen Dirigismus, weist Adelt zurück. „Damit hat das nichts zu tun.“ Wohl aber mit der Möglichkeit einer Kommune, konkret einzugreifen, wenn der Dorfladen in eine prekäre Lage gerät. Denn anders als in Schleswig-Holstein, das gerne als negatives Beispiel von „zu viel Staat“ bei der Nahversorgung herhalten muss, tun sich Gemeinden in Bayern schwer, wenn es darum geht, in den laufenden Etat einzugreifen. Im Freistaat kann ein solcher Zuschuss nicht ohne Weiteres aus freiwillige Leistungen der Kommune gewährt werden.
Im Landkreis Bad Kissingen will man den kleinen Laden vor Ort zwar unterstützen. „Im Grunde aber setzt die Rathausspitze aber auf Mobilität“, sagt Jürgen Metz, Leiter der Stabsstelle Kreisentwicklung und Wirtschaftsförderung. Der ÖPNV müsse ausgebaut werden. Er geht sogar noch weiter. „Ja, wir wollen die Bürger durchaus zur Mobilität erziehen“, sagt Metz. Im Klartext: Wenn die Leute etwas essen wollen, müssen sie sich halt auf die Socken machen.
Konkret sieht das so aus: Der Supermarkt in der nächst größeren Stadt und das Bus-Unternehmen gehen eine Kooperation ein. Zweimal in der Woche werden Senioren zum Einkaufen kutschiert. Damit wolle man auch die Senioren zusammenbringen, heißt es aus dem Landratsamt. Bei Kaffee und Kuchen werde schließlich „auch das Sozialgefüge gestärkt“. Gleichzeitig soll eine „Bring-Mit-App“ beim Einkaufen helfen. „Wenn zehn Eier fehlen“, so schwärmt Metz, „einfach in die App eingeben.“ Die Einzelhändler sollen eingebunden sein. Jemand der im Laden ist, packt die Eier einfach mit ein und bringt sie dem Kunden.
Manager wollen sich die Kunden der Zukunft erziehen
Welche Auswirkung diese Denkhaltung für jene Menschen haben, die psychisch krank oder körperlich behindert sind und deshalb ungern das Haus verlassen, kann man sich vorstellen. Ein selbstbestimmtes Leben mit frei wählbaren Einkaufszeiten und ohne Essenszwang in tristen Supermarkt-Stehcafés, gehört damit der Vergangenheit an. Immer häufiger bestimmt nicht der Kunde sein Einkaufsverhalten, sondern Manager formten sich ihre Kunden nach betriebswirtschaftlichen Erfordernissen.
Wirtschaftsförderer Metz verteidigt das Modell. Die Konzentration von Gesundheitszentren, Ladeneinrichtungen und Gastronomie sei „eben nicht mehr rückgängig zu machen“. Auch Einzelhändler, die übers Land fahren und Brot, Butter, Wurst und Käse bringen, Kartoffeln und Gemüse direkt vor die Haustür liefern, scheinen genausowenig praktikabel wie Dorfläden.
Bleibt die viel zitierte „Renaissance des Tante Emma-Ladens“ also nur Folklore im digitalen Zeitalter? Gut möglich. Experten raten dennoch zur Vernetzung von analoger und digitaler Welt. Wer digital nicht sichtbar ist, den nehme der Kunde auch nicht wahr.
Schweden probt bereits den Laden ohne Personal
Neben vielen genossenschaftlichen Modellen haben inzwischen auch Internet-Riesen wie Amazon Dorfläden als Marktlücke entdeckt. Laut Wall Street Journal plant der Online-Händler bereits erste Tante-Emma-Läden und Drive-in Abholstationen für Lebensmittel in den USA und Großbritannien. Kunden bestellen digital zum Beispiel mit dem Smartphone. Frische Ware wie Milch, Fleisch Obst oder Gemüse können sie in den kleinen Läden abholen. Haltbare Lebensmittel sollen am gleichen Tag geliefert werden – alles zu einem monatlichen Abo-Preis von 15 Dollar plus den Kosten für den Einkauf. Auch in Schweden gibt es den „Dorfladen 2.0“ schon: ganz ohne Personal und geöffnet bis tief in die Nacht hinein.
In Deutschland sollen einige Start up-Unternehmen an ähnlichen Modellen arbeiten. In jedem Fall würden sie eine Marktlücke schließen. Die kleinen Genossenschaftsläden wollen meist mehr sein, als nur die Adresse für den täglichen Bedarf oder den Noteinkauf. Ihr Konzept setzt auf Vielfalt, lokale Produkte, einen intensiven Service und den Anspruch, auch soziale Anlaufstelle zu sein. Für sie könnte das Geschäft dadurch noch schwerer werden.
Bürgermeister Bauer hofft indes, dass der Laden in seiner Grenzkommune ökonomisch doch noch die Kurve kriegt. „Das Konzept ist gut“, glaubt er, „und die Leute mögen es. Wurst, Käse, Honig: alles aus der Region und in super Qualität.“ Auf seine Anweisung tragen Rathausmitarbeiter Senioren den Einkauf ins Haus.
(Flora Jädicke)
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