Kommunales

Das Vertrauen ins Trinkwasser ist nicht immer gerechtfertigt. (Foto: DAPD)

09.12.2011

Teurer Kampf für sauberes Trinkwasser

Jährlich sterben in Deutschland tausende Menschen nach Legionellen-Infektionen – eine Gesetzesänderung, die helfen soll, wird den Freistaat Millionen kosten

Der Titel der beiden Informationsveranstaltungen, die kürzlich in Würzburg und Regensburg stattfanden, klingt eher harmlos – „Die Novelle der Trinkwasserverordnung: Änderungen und Umsetzungen“, – doch der Inhalt ist brisant und könnte eine der teuersten Neuerungen im Umwelt- und Gesundheitsrecht der deutschen Geschichte nach sich ziehen. Der Mammutanteil dabei dürfte auf die Kommunen und privaten Immobilienbesitzer zukommen.
Hintergrund: Nach Vorgaben der Europäischen Union muss die Bundesregierung einer der wohl am meisten unterschätzten Gesundheitsrisiken endlich zu Leibe rücken: der Vergiftung durch verunreinigtes Trinkwasser. Zwar rühmen sich die Versorger hierzulande immer wieder, dass alles, was aus deutschen Hähnen fließt, ein qualitativ hochwertiges und bedenkenlos konsumierbares Lebensmittel sei – die Realität aber sieht leider anders aus. Nach Berechnungen des Umweltbundesamtes sterben in der Bundesrepublik jährlich weit über 1000 Menschen an Krankheiten, die durch das Trinkwasser übertragen werden.
Verantwortlich dafür sind vor allem Verunreinigungen des Wassers, beispielsweise durch Coli-Bakterien, Arzneimittelrückstände und Düngemittel. Die größte und seit langem unterschätzte Gefahr geht aber von den Legionellen aus. Diese Stäbchenbakterien fühlen sich vor allem in warmem Wasser pudelwohl und vermehren sich dort explosionsartig. Die Gefahr droht dabei weniger durch das Trinken sondern vielmehr durch das Einatmen kleinster Wassertröpfchen, sogenannter Aerosolen – etwa beim ausgiebigen Duschen.
Die Folge sind neben Schwindel und Kreislaufbeschwerden vor allem schwere und nicht selten tödlich verlaufende Lungenentzündungen. In einer aktuellen Studie vom Oktober dieses Jahres spricht das Umweltbundesamt von bis zu 32 000 Infektionen durch verunreinigtes Trinkwasser pro Jahr, wovon mindestens 15 Prozent, also knapp 5000 Fälle, tödlich verlaufen. Das sind mehr Opfer, als der Straßenverkehr fordert. Den größten nachgewiesenen Einzelfall in der jüngeren bayerischen Vergangenheit gab es nach Angaben von Peter Schindler vom Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit im Jahr 2010 in Neu-Ulm. Damals erkrankten 65 Menschen, fünf davon starben. Gefährdet sind vor allem Ältere, Kinder und Menschen mit einem schwachen Immunsystem.
Es besteht also dringender Handlungsbedarf, sollte man meinen. „Doch im Bundesrat stimmte der Freistaat Bayern als einziges Bundesland gegen die Umsetzung der Novelle“, ärgert sich Experte Schindler. Dahinter verberge sich freilich keine Fahrlässigkeit bei der Volksgesundheit sondern schlichte Angst vor den daraus entstehenden Kosten. Die werden gewaltig, denn betroffen sind unzählige Einrichtungen.
Nach einer Studie des Landesamtes aus dem Jahr 2004 überschreiten bis zu 50 Prozent aller staatlich überwachten Einrichtungen – hierzu zählen unter anderem Schulen, Kindergärten, Alten- und Pflegeheime, Hotels und Krankenhäuser – bei der Legionellen-Konzentration die gesetzlichen Grenzwerte. „Und die Situation hat sich seit damals nicht verbessert“, bangt Schindler.
Laut der neuen Trinkwasserverordnung ist es künftig für gewerbliche Vermieter sowie Betreiber von öffentlichen Gebäuden ein Straftatbestand, wenn in ihren Immobilien Legionellen-Grenzwerte von 100 KBE (koloniebildende Einheiten) pro 100 Milliliter Wasser überschritten werden. Passiert das, hilft nach Ansicht von Experten meist nur eine Sanierung der gesamten Trinkwasseranlage. Viele Leitungssysteme sind überaltert, Ablagerungen von Rost oder Kalk an den Rohrwänden begünstigen die Bildung eines Biofilms aus Bakterien.
Die Betreiber der Häuser sind nun verpflichtet, sich um regelmäßige staatliche Kontrollen zu kümmern. Fragt sich nur, woher der Freistaat – geplant ist, die Aufgabe auf die bei den Landratsämtern und kreisfreien Städten angesiedelten kommunalen Gesundheitsämtern abzuwälzen – diese nehmen will. Peter Schindler rechnet vor: „Allein in München sind nach Schätzungen des Landesamtes für Gesundheit 35 000 Gebäude betroffen. Pro Gebäude werden etwa zehn Untersuchungen notwendig sein. Eine Untersuchung kostet zwischen 50 und 70 Euro. Nur leider fehlen dafür das Personal und die Labore.“
Doch selbst wenn alle vorgesehenen Maßnahmen korrekt umgesetzt werden, hilft das nur für eine bestimmte Zeit, denn abgetötete Legionellen bleiben als Nährboden für künftige Keim-Generationen im Leitungssystem erhalten. Zudem greifen Oxidationsmittel wie Chlor oder Ozon die Rohrleitungsmaterialien an und führen zur Korrosion in metallischen Leitungen oder Auslösung von Weichmachern in Kunststoffrohren. Fazit: In guter Absicht hat die EU-Bürokratie die nationalen Verwaltungen mal wieder vor ein gewaltiges, kaum lösbares Problem gestellt. (André Paul)
(Verkalkte Rohre bieten ein optimales Reservoir für Bakterien - Foto: BSZ)

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