Kommunales

Stau im Brudermühltunnel: München ist die dichtbesiedeltste deutsche Stadt - was man auch beim Verkehr spürt. (Foto: dpa)

02.09.2015

Umwelt- und Verkehrsverbände: München droht der Verkehrsinfarkt

Ihr 10-Punkte-Plan werde von der Stadtverwaltung leider weitgehend ignortert

Zur Neubesetzung des Münchner Stadtrats unterbreitete ein Bündnis aus Umwelt- und Verkehrsverbänden Oberbürgermeister Dieter Reiter am 3. September 2014 einen 10-Punkte-Plan für eine nachhaltige und sozial-gerechte Verkehrspolitik. Ein Jahr später stellen sie fest: Es sind lediglich zaghafte Verbesserungen erkennbar. Aufgrund falscher und fehlender wichtigerEntscheidungen in der Verkehrsplanung droht München im Verkehr zu ersticken.

Der Planungseuphorie für neue Auto-, S-Bahn- und U-Bahntunnel steht Andreas Schuster von der Umweltorganisation Green City e.V. skeptisch gegenüber: „München ist bereits heute die mit Abstand am dichtesten besiedelte Stadt Deutschlands. Tendenz rasant steigend. Vergräbt die Stadtweiterhin dringend benötigte Steuergelder, anstatt eine sinnvolle Stadt- und Verkehrsplanungvoranzutreiben, die auf den Umweltverbund und kurze Wege setzt, dann erleben wir einen Verkehrskollaps.“
Hier setzt der 10-Punkte-Plan des Bündnisses an. So soll durch die Einführung einer intelligentvernetzten Münchner Mobilitätskarte eine echte Alternative zum motorisierten Individualverkehr(MIV) geschaffen werden. „Die Politik muss es den Nutzerinnen und Nutzern einfach machen. Ein gemeinsamer Zugang zu ÖPNV, Radverleihsystem und Car-Sharing-Angeboten ist dringend nötig, um Nutzungshemmnisse abzubauen und neue Kunden zu gewinnen“, erklärt Wolfram Liebscher vom Verkehrsclub Deutschland und ergänzt: „Wir fordern bezahlbare Mobilität aus einer Hand.“ Wien zeigt seit einigen Jahren wie es auch in München funktionieren könnte.

Alle Busse und Bahnen für nur einen Euro am Tag

Für nur einen Euro am Tag nutzen die Wiener Bürger die gesamte Bandbreite öffentlicher Verkehrsmittel.Um die Pendlerströme umweltfreundlich und stadtverträglich abwickeln zu können, fordert das Bündnis eine Stadt-Umland-Bahn, die an das bestehende Trambahnnetz anschließt. So entstehenattraktive Verbindungen zwischen der Landeshauptstadt und den umliegenden Gemeinden abseitsder S-Bahn-Strecken. Die Stadt-Umland-Bahn bietet Fahrgästen attraktive Tangentialverbindungen im Umland an. Innerstädtisch verbinden Trambahn-Tangenten die Stadtteile direkt miteinander. Sie verhindern, dass Bürgern zuerst in die Stadt hinein und dann wieder heraus fahrenmüssen. Berthold Maier vom Arbeitskreis Attraktiver Nahverkehr sieht hier jedoch keinerlei Fortschritte: „Die Stadt München hält mit dem geplanten U-Bahnausbau und dem zweitenStammstreckentunnel weiterhin daran fest, alle Fahrgäste über das Stadtzentrum fahren zu lassen.“ Neue Trambahnlinien verkürzen die Fahrzeit erheblich. Sie steigern die Attraktivität des Münchner ÖPNVs damit deutlich mehr als neue Tunnelbauten und sind im Bau und Unterhalt wesentlich günstiger. „Hier werden teure Denkmäler gesetzt, die von einer transparenten, bürgernahen undnachhaltigen Verkehrsplanung weit entfernt sind“, ärgert sich Maier. Nur beim Radverkehr gäbe es erste Fortschritte. Beim Radverkehr sieht das Bündnis erste positive Entwicklungen. So forderte es den Bau vonRadschnellwegen, wie sie derzeit in München untersucht werden und von der SPD in ihrem Leitantrag „München mobil“ als Pilotversuch vorgesehen sind. Für das Bündnis ist dies ein erfreuliches Bekenntnis, an dem sich die SPD in Zukunft messen lassen muss.
Mit der Entwicklung des MVG Rads wurde auch die Forderung nach einem flächendeckenden Fahrradverleihsystem zu Teilenin die Tat umgesetzt. Andererseits endet der Wille zur Radverkehrsförderung bei CSU und SPDregelmäßig dort, wo sich der Radverkehr nur zu Lasten des KFZ-Verkehrs verbessern ließe. Die Diskussion um die Rosenheimer Straße steht hier nur als prominentestes Beispiel: „Der nichtvorhandene Wille zu einem wirklich fahrradfreundlichen Ausbau der Rosenheimer Straße geht aufKosten der Sicherheit der Verkehrsteilnehmer und steht in offensichtlichem Widerspruch zum Zielder Stadt München, Radlhauptstadt zu werden“, bringt Martin Glas, der Vorsitzende des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) München die Situation für Radfahrerinnen und Radfahrer auf denPunkt. „Wenn München weiter so halbherzig handelt, wird es wichtige Radverkehrsentwicklungenverpassen“, befürchtet Glas.

Fußgängerleitsystem

Mit der vorgesehenen Etablierung eines Fußgängerleitsystems in München wurde ein weiterer Baustein des 10-Punkte-Plans aufgegriffen. Paul Bickelbacher vom Fuss e.V. freut sich über dieEntscheidung des Stadtrates: „Damit wird Einheimischen und Touristen die Orientierung erleichtertund das Zufußgehen gefördert.“ Er befürwortet die Realisierung eines bewährten Systems, das sicham Londoner Modell orientiert, und dass die Realisierung des Leitsystems sich nicht auf die Altstadtbeschränkt. Das Orientierungssystem sollte dabei der erste Schritt eines Programms zurflächendeckenden und umfassenden Förderung der Nahmobilität sein. Dominik Lypp vom Bund Naturschutz, Kreisgruppe München, vermisst weiterhin Pioniergeist bei denMünchner Stadträten, mutige Pilotprojekte und Experimente anzustoßen. „Dabei zeigen internationale Leuchtturmprojekte, wie die Verkehrsberuhigung des Times Square in NewYork oder die Renaturierung des Cheonggyecheon Flusses im Stadtzentrum von Seoul, dass dietreibenden Protagonisten ein positives Renommee und internationale Beachtung bekommen. Zudem werden die Projekte von der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung positiv aufgenommen. Die Münchner Politik muss den Mut aufbringen, anfängliche Skepsis auszuhalten und engagiert voran zugehen.“ Private Initiativen, wie das Projekt „Freie Lastenradler“, das per Crowdfunding Lastenräderfür die Stadtviertel anschafft oder die Mobilitätskonzepte für autoreduziertes Wohnen der Wohngenossenschaft Wogeno, zeigen was möglich ist. „Derartige Mobilitätskonzepte müssen bei allen Neubauprojekten zur Pflicht werden, damit umwelt- und stadtfreundliche Mobilität schon ander Quelle gefördert wird“, so der Initiator des 10-Punkte-Plans, der Münchner Geograph, Michael Droß.
Insgesamt stellen die Umwelt- und Verkehrsverbände ein Jahr nach Regierungsantritt von SPD undCSU fest, dass nur an Symptomen herumgedoktert wird. Eine grundlegende, bürgernahe undergebnisoffene Debatte, mit welchen Verkehrsträgern die Münchnerinnen und Münchner im immerenger werdenden Stadtraum ihre Mobilitätsbedürfnisse befriedigen wollen, wird nicht angestoßen. Das Bündnis fordert daher weiterhin die zügige Umsetzung seines 10-Punkte-Plans für einenachhaltige und sozial-gerechte Mobilität. Denn darin sehen sie die Grundpfeiler eines lebenswertenMünchens. Das Bündnis wird weiter konstruktiv an der Stadt- und Verkehrsplanung mitarbeiten und in zirka einem Jahr erneut Resümee ziehen. (BSZ)

Kommentare (3)

  1. HeGe am 23.01.2018
    Wir haben in München mit derzeit etwa 715.000 zugelassenen PKW die Obergrenze einer lockeren Einstellung „Da geht immer noch was oben drauf.“ immer weiter ausufern lassen – auf Kosten aller anderen, eben der schwächeren Verkehrsteilnehmer*innen. Da wurden über viele Jahre hinweg Gehwege durch Radwege-Striche halbiert, damit der Radverkehr von den Auto-breiten Fahrstraßen weggeschoben werden konnte. Und mit der Erfindung des Verkehrszeichen 315 wurden „ausreichend breite“ Gehwege als hälftige Parkplatz-Ersatzflächen umgenutzt, damit die stetig anwachsenden Wirtschaftswunder-Produkte der Automobil-Industrie ausreichend viel Neuraum zum Herumstehen geschenkt bekamen.
    Nun ist aber selbst eine Großstadt wie München mit einer Stadtfläche von (nur) 310 qkm nicht endlos zuparkbar und daher braucht es einige – scharf zu drehende – neue Denk-Schrauben: http://perspektive.muenchen-mitdenken.de/vorschlag/von-wie-abschaffpraemie-g-wie-garagenpflicht-bis-z-wie-zulassungsbeschraenkung
  2. Hans am 03.09.2015
    Das macht nix, dafür gibts im Radio Bayern die
    Staumeldungen!
  3. Gerda am 03.09.2015
    Nicht nur in München, sondern auch in manchen Großstädten wie z.B. Freising, Dachau oder
    Erding, kommt man in der Innenstadt nicht mehr weiter, da sich der immer dichter werdende
    Berufsverkehr zunimmt.
    Es droht der vollständige Kollaps.
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