Kommunales

Der Altmühlsee: Ein Urlaub an der Türkischen Rivera wäre unter Umständen günstiger – und gesünder. Foto DPA

05.04.2012

Viele Visionen – kein Konzept

Im heruntergekommenen Fränkischen Seenland sucht man verzweifelt nach Wegen aus der Krise – bislang leider erfolglos

In der Retortenregion Fränkisches Seenland, der man den Machbarkeitswahn der 1970er Jahre ansieht, steppt außerhalb der Badesaison nicht gerade der Bär. Große Hoffnungen setzten die angrenzenden Kommunen 2005 in die Aufnahme des Limes ins Weltkulturerbe – ohne Erfolg. Nun verfolgt man neue Pläne zur Aufwertung.
Zwar wurde letztes Jahr der Rückgang der Übernachtungen in 2010 wettgemacht, aber die Zeit des Booms ist im Fränkischen Seenland wohl endgültig vorbei und das Image ist schlecht. Außer Rothsee und Großer Brombachsee leiden die Gewässer unter Blaualgen.
Und die Zahlen sind beängstigend: Für das Fränkische Seenland wurden zwischen 1974 und 2000 30 Quadratkilometer Wälder, Äcker und ganze Ortschaften zerstört. Es gehörte wie der Main-Donau-Kanal zu den umstrittenen Megaprojekten aus dem Geist damaliger Wachstumseuphorie.
Die Seen dienen dem Hochwasserschutz und der Wasserverteilung zwischen Süd- und Nordbayern. Dabei wurde der Bedarf für Industrie und Kraftwerke im Nürnberger Raum weit überschätzt. Nach der Flutung führten veränderte Grundwasserströme und Sickerwasser in Anliegerdörfern zu massiven Gebäudeschäden.

Der jüngste Clou ist eine „Bikini-Parade“


Der Tourismus spielte für die Planung keine Rolle, wurde aber zum wichtigen Erwerbszweig mit rund 3000 Arbeitsplätzen und einem jährlichen Umsatz von etwa 150 Millionen Euro bei fünf bis sechs Millionen Euro laufenden Kosten.Zwar werden nun Kläranlagen nachgerüstet, trotzdem sieht man beim Wasserwirtschaftsamt Ansbach langfristig keine grundlegende Verbesserung: Die Region hat die größte Dichte von Biogasanlagen in Bayern, Tendenz steigend, und die Maisanbauflächen wachsen rasant. Damit gelangen immer mehr Nährstoffe ins Wasser. Zugleich ist die Infrastruktur vielerorts veraltet.
Geöffnete Gasthöfe sucht man außerhalb der Saison mit der Lupe; was sie servieren, ist selbst den billigen Preis oft nicht wert. Kommt ein abgewohntes Feriendomizil dazu, bucht man nächstes Mal lieber eine Woche Türkei im Luxushotel: Mit etwas Glück ist das sogar billiger. Dass man sich im europaweiten Wettbewerb befindet und beim heimischen Klientel auch an den Seen Ostdeutschlands und am aufstrebenden Oberpfälzer Seenland nebenan gemessen wird, kam bei den Verantwortlichen offenbar nicht an.
Das sind sehr viele: Drei Ministerien, das Wasserwirtschaftsamt, der Tourismusverband, Touristinformationen, drei Zweckverbände, die Zukunftsinitiative Altmühlfranken, Landräte und Bürgermeister basteln konkurrierend an Rezepten zur Verlängerung der Saison und an Alternativen zum Badeurlaub, aber immer im Blick auf eigene Interessen und Wähler. Vor lauter Visionen fehlt ein Gesamtkonzept: Vielleicht eine Seebühne oder ein schwimmendes Tagungszentrum oder, so der Gerhard Wägemann (CSU), der Landrat von Weißenburg, was mit „Fitness, Wellness, Gesundheit?“
Denn der Limes bringt die Rettung nicht. Unter 344 europäischen Welterbestätten – der Titel wird mittlerweile inflationär vergeben – ist er ein absurdes Schlusslicht: Geadelt wurde erstmals ein Bauwerk, das es nicht mehr gibt. Trotzdem haben sich die Touristiker in das Thema verbissen.
Der Zweckverband Altmühlsee setzt nun ein Projekt um, das aus einem Ideenwettbewerb des Umweltministeriums hervorging. Am Altmühlsee soll ein 1,2 Hektar großer, so genannter Generationen übergreifender Erlebnisspielplatz zum Thema „Römer und Alemannen“ entstehen, mit Kletterwald, Rutsche, Sport- und Spielgeräten. Allein der erste Bauabschnitt kostet stolze 400 000 Euro. Zur Erinnerung: Letztes Jahr platzte das Megaprojekt „Römerfreizeitpark“, weil sich über zehn Jahre kein einziger Investor für diesen Unfug fand. Nun dürfen die Steuerzahler eine Light-Version finanzieren.
Wie man eine Region kompetent aus der Krise bringt, zeigt das Welterbe Neusiedlersee im österreichischen Burgenland. Die Ausgangslage war ähnlich: ein schlammiger See, wenig attraktiv zum Baden, eine halbe Autostunde von der nächsten Metropole entfernt, veraltete Infrastruktur, abstürzende Gästezahlen. Alle entwarfen miteinander ein Gesamtkonzept jenseits kurzlebiger Trends und billiger Events: Naturschützer, Touristiker, Gemeinden, Gastronomen, Privatvermieter, Landwirte. Heute schätzen Urlauber jeden Alters die Gegend als attraktiv wie preiswert. Rund ums Jahr zieht hochwertige Gastronomie aller Preisklassen Gäste an. Ein Clou ist die Gästekarte, die es gratis zur Zimmerbuchung gibt. Damit kann man regionale Einrichtungen kostenlos nutzen, Bäder und Museen. Dagegen will das Fränkische Seenland heuer mit der „längsten Bikini-Parade der Welt“ allen Ernstes aus den Negativschlagzeilen kommen. (Rudolf Maria Bergmann)

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