Kommunales

13.07.2012

Von der Schweiz lernen

Nach dem Vorbild der Alpenrepublik möchte Bayern neue Formen der Bürgerbeteiligung erproben

Bei jedem neuen Großprojekt erst von den Politikern gefragt und dann auch noch ernstgenommen zu werden, davon können viele Bürger in Deutschland nur träumen. In der Schweiz hingegen sind solche Abläufe der Bürgerbeteiligung bereits Realität. Wie nun das Schweizer Modell auf Deutschland übertragen werden könnte, das war jetzt Thema bei der Münchner Evangelischen Stadtakademie. Unter dem Motto „Von der Schweiz lernen – Bürgerbeteiligung bei Großprojekten“ diskutierten Referenten und Bürger über Modelle der Zukunft. Das Ziel: dauerhafte Beteiligung.


Andere Konfliktkultur


Eingeladen, um das bürgernahe Vorbild Schweiz im Detail zu erklären, war die Soziologin Jeannette Behringer. Die gebürtige Deutsche wohnt seit 1996 in der Schweiz. Dort herrsche eine ganz andere Konfliktkultur als in Deutschland. „Die Schweiz ist besonders auf Kohäsion angewiesen.“ Weil es einerseits so viele unterschiedliche Bevölkerungsgruppen gebe, die andererseits auf so begrenztem Raum zusammenlebten, hätten die Schweizer lernen müssen, sich zu einigen.
Heute ist die Bürgerbeteiligung in der Schweiz institutionalisiert. Viermal im Jahr werden die Bürger zur Abstimmung gerufen, um über Themen zu entscheiden, die sich angesammelt haben. Das können sowohl kommunale als auch nationale Themen sein, Bauprojekte oder Gesetzesnovellen. „Natürlich machen nicht immer gleich viele mit“, sagt Behringer. Gute Beteiligung erlangte etwa das Thema Gentechnik, bei dem zwei Drittel der Wähler abstimmten.
Diese Ausführungen entlockten Ursula Ammermann, der Geschäftsführerin des Münchner Forums, sehnsüchtige Seufzer und ein „frustriertes Lachen“, wie sie es nannte. „Wir schauen neidvoll auf die Schweiz.“ In Deutschland würden die Bürger viel zu selten und dann oftmals viel zu spät gefragt, etwa bei Stuttgart 21. Ammermann regte an, Bürgerbeteiligung auch in Deutschland routinemäßig zu verankern. Es müsse normal sein, dass vor einem Projekt alle beteiligten Gruppen befragt würden.
Diese Einbindung aller Gruppen funktioniert in der Schweiz bereits, wie Behringer erzählte. Sei ein neues Gesetz geplant, würden beim sogenannten „Vernehmlassungsverfahren“ alle Verbände, die sich mit dem fraglichen Thema beschäftigten, zu einer Stellungnahme eingeladen. Auch einfache Bürger dürften sich äußern. Die Anregungen würden dann in den endgültigen Text mit eingearbeitet. „Weil die Leute regelmäßig eingebunden werden, ist das Vertrauen in das System sehr groß.“
Auch im Schweizer Prozedere erkannten die Diskutierenden ein Vorbild. Stehe dort ein Großprojekt an, gebe es meist zwei Abstimmungen. Zunächst werde über die Frage abgestimmt, ob das Projekt überhaupt gewollt sei. In einem zweiten Schritt werde dann über die konkrete Umsetzung entschieden. Das dauert zwar mitunter einige Jahre – nicht aber bis zu einem knappen halben Jahrhundert, wie das gelegentlich in Deutschland der Fall ist. Dort wird oft eine Generation, die gar nicht gefragt worden ist, mit einem uralten Projekt konfrontiert. „Doch zum Glück ändert sich das gerade, vor allem auf kommunaler Ebene“, freut sich Ammermann. Vor allem München sei hier Vorreiter, das müsse ausgebaut werden.
Behringer und Ammermann stellten gemeinsam mit dem Publikum einen Mentalitätsunterschied fest: Während in der Schweiz der Bürger die wichtigste Instanz sei, vertraue man in Deutschland den Bürgern eher weniger und versuche stattdessen, sie zu umgehen. Doch wenn die Bürger sich nicht ernstgenommen fühlten, gingen sie eher „auf die Barrikaden“.


Langfristige Veränderung


Etwa bei der Energiewende führe kein Weg daran vorbei, die Bürger stärker zu beteiligen. Wenn solch wichtige Dinge über die Köpfe hinweg entschieden würden, blockiere der Widerstand die Projekte nachher ohnehin. Da sei es sinnvoller, die Menschen vorher einzubinden, anstatt nachher tausende Beschwerden zu bearbeiten. Auch der Dialog koste Zeit. „Das ist eine sehr langfristig angelegte Veränderung“, sagte Behringer, „und das war auch noch nie ein Vergnügen“. (K. Antonia Schäfer)

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