Kommunales

Über eine neue und stabilere Datenverbindung per Funk und W-LAN lassen sich nun während des Hagelflugs zusätzliche Wetterdaten von der Bodenstation zum Cockpit des Flugzeugs und wieder zurück zur Hochschule schicken. (Foto: Hochschule Rosenheim)

19.04.2013

Wie Ro-Berta die Piloten schützt

In Südostbayern werden Hagelunwetter schon lange mit Silberjodid-Beschuss in der Luft bekämpft: Doch das kann lebensgefährlich sein

In wenigen Wochen beginnt im bayerischen Voralpenland wieder die Hagelsaison. Schon länger helfen sich die Menschen der Region, beschießen das Unwetter in der Luft mit Silberjodid. Doch der Job ist für die Piloten gefährlich. Wissenschaftler der Hochschule Rosenheim haben die Technik jetzt deutlich verbessert und sicherer gemacht.
Nirgendwo in Deutschland verursacht der Hagel so schlimme Schäden wie auf einem schmalen, nur etwa 40 Kilometer breiten Streifen vom Allgäu bis ins Chiemgau. In den 1980er Jahren ging die „Münchner Hagelkatastrophe“ als größtes metereologisches Unglück seiner Art in die deutsche Wettergeschichte ein, richtete Zerstörungen in Milliardenhöhe an. Und vor knapp zwölf Jahren ging ein ähnliches Unwetter in der Gegend um Rosenheim nieder, das ebenfalls Sachwerte für fast 40 Millionen Euro zerlegte.
Für den Piloten Georg Vogl aus Rosenheim jedoch gehört der Zusammenprall kalter und warmer Luftmassen, das Aufbäumen gruseliger grauer Wolkenberge am Himmel zum täglichen Geschäft. Der Hagelflieger in den Diensten des Landkreises Rosenheim erledigt seinen Job schon seit über 30 Jahren. Und an manchen Tagen schaut seine kleine Maschine nach einem Einsatz aus wie nach einem Luftkrieg: zerbeult, zerkratzt und mit hunderten zentimetergroßen Einschlaglöchern.
Vogls Auftrag: Zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort in der Luft das Silberjodid zum Stopp der Hagelbildung ausbringen. „Impfen“ nennen das die Experten. Aus dem Silberjodid, das eine dem Eis ähnliche kristalline Struktur aufweist, entstehen dann Milliarden winziger Eiskeime, auf denen sich das unterkühlte Wasser der Gewitterwolken ablagert. Anstelle weniger großer Hagelkörner bilden sich so viele kleine Eiskristallkörnchen. Die schmelzen dann in den bodennahen Luftschichten zu harmlosen Regentropfen.
Doch der Erfolg dieser Aktion hängt allein ab vom Geschick des Piloten. Das Silberjodid wird vor dem Start in eine Brennkammer gespritzt und auf Knopfdruck des Fliegers, der in den Aufwindbereich der Gewitterzelle steuert, gezündet. Georg Vogl, ein grauhaariger, eher stiller Mann, ist dabei kein Draufgänger, kein John Wayne der Lüfte. Doch er weiß: Wenn er und seine Kollegen aufbrechen in ein sich anbahnendes Gewitter – dann fliegt der Tod unweigerlich mit. Die größte Herausforderung dabei: Die Übersicht behalten in diesem Chaos der Elemente.

Zuschauen im Internet

Dem Piloten deshalb seinen Job künftig etwas leichter und sicherer zu machen: Das hat sich Peter Zentgraf mit seinem fünfköpfigen Team vorgenommen. Er ist Professor an der Hochschule Rosenheim und wissenschaftlicher Leiter des Forschungsprojekts „Ro-Berta“. Das feminine Kürzel steht für „Rosenheims meteorologische Besonderheiten: eine Regelungs-Technische Aufgabe“. Und so funktionierts: Über eine neue und stabilere Datenverbindung per Funk und W-LAN lassen sich nun während des Hagelflugs zusätzliche Wetterdaten von der Bodenstation zum Cockpit des Flugzeugs und wieder zurück zur Hochschule schicken. „Und für uns wird es präziser, wenn wir wissen, wo genau sich das Zentrum des Unwetters befindet, es zeitnaher anfliegen“, freut sich Georg Vogl. „Mit dieser Technik können meine Kollegen und ich nun in Echtzeit auf die Radarmessungen des Deutschen Wetterdiensts zugreifen und so viel besser die richtigen Wolkenstelle zum Ablassen des Silberjodids finden“, erläutert der Pilot.
Auch interessierte Laien profitieren von der Erfindung: Sie können daheim am Computer mittels Live-Animation die genauer Position des Fliegers live mitverfolgen. Ganz modern per Twitter und Facebook werden die Neugierigen informiert, wenn wieder ein aktueller Flug im Voralpenland ansteht.
Der Praxistest dürfte auch bald anstehen, denn spätestens für Mitte Mai rechnen die Meteorologen mit dem Beginn der nächsten Hagelsaison im Voralpenraum. Dann starten die Flieger wieder vom Flugplatz Vogtareuth in ein Einsatzgebiet, das inzwischen über 4800 Quadratkilometer umfasst. Dazu gehören auf bayerischer Seite die Landkreise Rosenheim, Miesbach und Traunstein sowie 18 Gemeinden aus dem österreichischen Verwaltungsbezirk Kufstein. „Der Probeeinsatz mit Motorrollern und Autos hat gut funktioniert“, versichert Professor Zentgraf.
Finanziert wird das bisher etwa 100 000 Euro teure Projekt zum großen Teil von der Volks- und Raiffeisenbank Rosenheim-Chiemsee. Heinrich Köster, Präsident der Hochschule Rosenheim, kann sich dabei eine kritische Bemerkung nicht verkneifen: „Sowas wäre jetzt, nach der Abschaffung der Studiengebühren, ohne Unterstützung aus der Wirtschaft nicht mehr umzusetzen.“ Trotzdem freut er sich auf weitere Aufträge aus der Region. „Die Kommunalpolitiker sollen sagen, wo wir ihnen konkret helfen können – genau das ist ja das Prinzip einer Hochschule für angewandte Wissenschaften wie hier in Rosenheim.“
Allerdings stand der wissenschaftliche Gedanke als solcher, mittels Silberjodid die Hagelschäden zu minimieren, vor geraumer Zeit massiv in der Kritik, ineffektiv, gefährlich und teuer sei das Ganze, maulten Skeptiker, gerade aus Norddeutschland. Die Versicherungen sind ebenfalls nur mäßig begeistert von dieser Art Selbsthilfe – immerhin lassen sich gerade bei den von Hagelschlag bedrohten Landwirten so ja stolze Gebühren abkassieren.

Tradition seit 80 Jahren

Dabei können die Menschen in der Region schon auf eine lange positive Erfahrung verweisen. Erste Maßnahmen starteten bereits vor fast 80 Jahren. Das Silberjodid wurde damals noch mit Bodengeneratoren freigesetzt, später dann mit Raketen in die Luft geschossen. Immerhin konnte man dabei auch auf eine Statistik verweisen, wonach gezielte Maßnahmen die Schadenshöhe um bis zu 30 Prozent verringern helfen. Die Unkenrufe brachten also nichts: Nach einer spontanen Unterschriftenaktion der Bevölkerung verabschiedete der Kreistag des Landkreises Rosenheim einen Beschluss, die Hagelabwehr fortzuführen. „Und unser örtlicher Hagelforschungsverein zählt inzwischen über 9000 Mitglieder“, verkündet stolz Josef Huber (CSU), der stellvertretende Landrat des Landkreises Rosenheim und im Nebenjob Vorsitzender eben dieses Vereins.
Der mutige Pilot Georg Vogl und seine Kollegen wissen also, für wen und wofür sie in wenigen Wochen wieder Leib und Leben riskieren werden.
(André Paul)

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