Kommunales

Das hausärztliche System in Bayern ist dringend behandlungsbedürftig. (Foto: DAPD)

04.02.2011

„Wir müssen über die Tabus sprechen“

Landrat Hubert Hafner, Vorsitzender des Gesundheitsausschusses beim Bayerischen Landkreistag, über die Probleme der medizinischen Versorgung im ländlichen Raum

Wenn die hausärztliche Versorgung im ländlichen Raum aufgrund der Überalterung in nicht allzu ferner Zukunft zusammenbricht, dürfte das die Abwanderung nochmals verstärken. Die bayerischen Landkreise bemühen sich derzeit fast verzweifelt, endlich junge Mediziner anzulocken. Aber die Erfolgschancen sind ungewiss.
BSZ Wie schlimm steht es wirklich um die hausärztliche Versorgung in Bayern? Glaubt man den Berufsverbänden, dann bilden sich demnächst unversorgte Menschenschlangen vor den letzten verbliebenen Praxen im ländlichen Raum.
Hafner Momentan läuft es noch, aber ein sehr großer Teil der Mediziner steht eben kurz vor dem Rentenalter. Die Nachwuchssorgen sind akut. In den nächsten drei bis acht Jahren brauchen viele Hausärzte einen jungen Kollegen, der die Praxis übernimmt, sonst muss diese leider schließen.  BSZ Wo sieht es richtig düster aus?
Hafner Verschont bleibt keine Gegend, aber in Ostbayern werden sich die Probleme wohl am stärksten bemerkbar machen: je weiter weg von größeren Städten, desto mehr.  BSZ Ein Hausarzt verdient in Bayern im Schnitt 200 000 Euro brutto im Jahr. Ist die Bezahlung damit wirklich so fürchterlich, dass es die jungen Ärzte nur abschrecken kann?
Hafner Eine Bewertung der Höhe des Einkommens maße ich mir nicht an. Aber ich bin sicher, die zögernde Bereitschaft, sich im ländlichen Raum niederzulassen, kann nicht allein mit der Entlohnung beziehungsweise Vergütung zusammenhängen.  BSZ Sondern?
Hafner Da wären beispielsweise die extrem ungünstigen Arbeitszeiten. Wir beobachten, dass prozentual immer mehr junge Frauen als Medizinerinnen von der Universität abgehen. Doch diese haben andere Lebensentwürfe als ihre überwiegend männlichen Kollegen in früheren Jahren. Sie möchten irgendwann Kinder und dann sind sie natürlich als Mütter stärker gefordert. Der Schicht- und Bereitschaftsdienst ist eben mit den klassischen Öffnungszeiten der Kindertagesstätten von 8 bis 16 Uhr nicht vereinbar.  BSZ Aber dagegen könnten konkret die Kommunen etwas tun, etwa mit mehr Betreuungsangeboten.
Hafner Tun wir ja. Bei uns im Landkreis konzipieren wir ein Betreuungsangebot für Kinder von 6 bis 22 Uhr. Wir wollen aber nicht, dass dann ein Kind tatsächlich die komplette Zeit dort untergebracht wird, das wäre auch nicht gut für dessen Wohl. Aber es soll ein Angebot sein.  BSZ In Ostdeutschland wetteifern Kommunen um junge Ärzte, indem sie ihnen kostenlos ein ganzes Haus zur Verfügung stellen.
Hafner Das kann man machen, günstige Kredite für das Einrichten der Praxis sind auch ein Weg. Aber das allein wird das Problem nicht lösen. Gut wäre auch, die Medizinstudenten zu Praktika in eine Kommune einzuladen, damit sie die Region schon vor ihrem Abschluss kennen lernen. Wenn jemand erst einmal in die Großstadt gezogen ist, dann wird es schwer, ihn dort wieder wegzulocken.  BSZ In den neuen Bundesländern, aber auch in Skandinavien setzt man auf medizinische Versorgungszentren in Trägerschaft der Kommune. Die Allgemeinärzte sind angestellt und bekommen ein normales Gehalt. Viele bayerische Kommunalpolitiker denken dabei jedoch gleich an Sozialismus.
Hafner Ich bin auch kein Anhänger der medizinischen Versorgungszentren, aber bei großer Versorgungsnot kann man darüber nachdenken. Was mir gefällt, sind eher Praxisgemeinschaften. Die entlasten den einzelnen Hausarzt nicht nur von Verwaltungsaufgaben, sondern bieten weiblichen Medizinern verstärkt die Möglichkeit, Teilzeit zu arbeiten. BSZ Gibt es die Chance auf eine kurzfristige teilweise Entlastung?
Hafner Ab Mai dieses Jahres fällt die Beschränkung für den Zuzug von Fachkräften aus den neuen EU-Ländern. Das könnte eventuell den grenznahen Kommunen in Ostbayern helfen.
BSZ Nicht nur bei der hausärztlichen Versorgung brennt es vielerorts in Bayern. Auch zahlreiche Kreiskrankenhäuser schreiben rote Zahlen. Wenn aber saniert werden soll, etwa durch Privatisierung, gehen die Menschen auf die Straße und protestieren.
Hafner Ja, aber es gibt da Unterschiede. Bei vielen Einrichtungen hat sich auch die Situation gebessert, da hat das Management die zahlreichen Anregungen auch umgesetzt. Doch oft sehen sich die Kommunalpolitiker noch mit dem Widerstand der Bürger konfrontiert, auch wenn ihnen oft gar keine andere Möglichkeit bleibt als zu schließen oder zu fusionieren. Der Beschluss des Kreistages, immerhin ein demokratisch gewähltes Gremium, wird vielfach einfach nicht akzeptiert. In Bad Reichenhall hat es sogar Morddrohungen gegeben.  BSZ Die Kosten steigen auch deshalb, weil medizinisch immer mehr möglich ist.
Hafner Ja, gerade auf das letzte Lebensjahr und besonders bei Schwerkranken entfällt oft der größte Teil. Dabei handelt es sich oft um sehr alte Menschen, die Qualen leiden. Aber das ist leider immer noch ein Tabu, und wenn man es anspricht, kann man großen Ärger bekommen. Doch wir müssen die Fakten auf den Tisch legen und ehrlich darüber sprechen.  BSZ Wie sehen Sie das persönlich?
Hafner Ich habe mit meiner Frau vereinbart, dass ich in einem solchen Fall nicht mit Apparaten künstlich am Leben gehalten werden möchte und damit dem Gemeinwesen auch noch hohe Kosten aufbürde. Aber das ist eine Entscheidung jedes Einzelnen.
(Interview: André Paul)

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